Flächendeckende Warnstreiks in der Chemiebranche

Übernommen von Yeni Hayat – Neues Leben:

Die Tarifverhandlungen in der Chemiebranche gehen weiter. Nach zwei bundesweiten Verhandlungsrunden im Anschluss an die regionalen Verhandlungen hat die IGBCE in mehr als 200 Betrieben zu Warnstreiks aufgerufen. Zur dritten Verhandlungsrunde beteiligten sich über 50.000 Beschäftigte an Warnstreiks und Aktionen.

Nachdem neun Verhandlungsrunden in den Regionen ergebnislos verliefen, wurden die Verhandlungen zwischen der IGBCE und dem Chemie-Arbeitgeberverband BAVC auf der Bundesebene fortgesetzt.
Die IGBCE fordert eine Lohnerhöhung von 7 % und verlangt außerdem die Modernisierung des bundesweit abgeschlossenen Tarifvertrags und Leistungen für Gewerkschaftsmitglieder. Über die Modernisierung des Vertrages und den Inhalt der Leistungen für die Gewerkschaftsmitglieder wurden bisher keine Informationen gegeben.
„Obwohl wir für den 18. und 19. Juni aufgerufen hatten, demonstrierten die Beschäftigten des Pharmaherstellers Merck mit tausend Beschäftigten schon am Montag vor dem Hauptsitz des Unternehmens in Darmstadt „, so die IGBCE in einer Erklärung. Der IGBCE-Darmstadt Bezirksleiter, Michael Reinhart, sagte bei der Kundgebung vor der Merck-Zentrale, in der sich auch das Büro des BAVC-Verhandlungsführers Matthias Bürk befindet: „Diese Demonstration ist ein sehr starkes Signal an die Arbeitgeber, den BAVC und die Verhandlungsführer. Wir sind hier, weil wir Forderungen haben und diese auch durchsetzen wollen.“
Die größte Aktion der Chemiebeschäftigten fand bei BASF in Ludwigshafen statt. Mehr als 5.000 Chemiebeschäftigte beteiligten sich an dem Warnstreik. Oliver Heinrich, Mitglied des IGBCE-Vorstands und Verhandlungsführer, sagte: „Danke für eure Entschlossenheit! Ihr habt mit dieser Aktion ein starkes Signal gesetzt. Die Tatsache, dass so viele Menschen heute hierhergekommen sind, bedeutet, dass die Tarifkommission ernsthafte Unterstützung für die nächste Verhandlungsrunde hat. Wir glauben, dass unsere Forderungen richtig und realistisch sind“.
Er kritisierte das Fehlen konkreter Vorschläge der Arbeitgeberseite in den Verhandlungen und sagte: „Die Arbeitgeber sollten aufhören, die Situation schlechter aussehen zu lassen, als sie ist, und aufhören, bei jeder Gelegenheit negative Signale zu geben.“ „Der Geduldsfaden der Beschäftigten reißt langsam „, fügte der Gewerkschafter hinzu und forderte von den Arbeitgebern ein konkretes Angebot. Laut Heinrich hat die Arbeitgeberseite trotz mehr als 30 Verhandlungsstunden auf Bundesebene noch kein konkretes Angebot vorgelegt.
In seiner Rede betonte Heinrich, dass die Chemieindustrie in guter Verfassung sei: „Die Branche hat die Krise hinter sich gelassen. Das sollte jetzt auch für die Chemiebeschäftigten gelten, die unter der Inflation leiden. Durch die Inflation der letzten Jahre sind ihre Reallöhne auf das Niveau von 2016 gesunken. Das müssen wir ändern, deshalb müssen die Löhne jetzt deutlich und dauerhaft steigen“.

WENN ES SEIN MUSS STREIKEN WIR!
Auch in den Chemiewerken in Hamburg und Umgebung traten Hunderte von Beschäftigten in den Warnstreik. Die Beschäftigten des Kupferproduzenten Aurubis und des Bremsbelag Herstellers Federal Mogul unterstützten erneut entschlossen die Forderungen der IGBCE. Aktionen gab es auch beim Konsumgüterkonzern Beiersdorf und seiner Tochter Tesa, beim Automobilzulieferer Yanfeng, beim Wachsproduzenten Hywax und beim Spezialchemiehersteller Allnex.
Jan Koltze, Regionalvorsitzender der IGBCE Hamburg/Harburg, sagte auf der Kundgebung: „Wir erwarten von den Arbeitgebern ein Angebot, das den Forderungen der Beschäftigten entspricht. Dieses Angebot muss neben Lohnerhöhungen auch Leistungen für Gewerkschaftsmitglieder beinhalten.“ Elissa Lo Coco, Vorsitzende der Gewerkschaftsvertretung Aurubis (VKL), sagte: „Die Preissteigerungen für Wohnen, Essen, Heizen und Gas sind deutlich in unseren Geldbörsen spürbar. Jeder spürt die Preissteigerungen, und auch obwohl wir diejenigen sind, die das Unternehmen über Wasser halten, können wir die Last nicht allein tragen.“
José Torres, Präsident des Bundesbetriebsrats (BR), sagte: „Wir senden ein klares Signal an die Arbeitgeber, dass sie ihre ablehnende Haltung aufgeben müssen. Sie müssen ernst nehmen, dass am 30. Juni unsere Friedenspflicht endet. Wenn nötig, greifen wir zum Streik. Denn der Kampf stärkt uns.“
Gegenüber unserer Zeitung erklärte BR-Mitglied Yaşar Çantay: „Wir haben drei Forderungen als Arbeiter in den Tarifverhandlungen. Eine siebenprozentige Lohnerhöhung, Leistungen für Gewerkschaftsmitglieder in Bezug auf Urlaub, Löhne usw. und die Modernisierung des Tarifvertrages. Bislang haben zwei Verhandlungen auf zentraler Ebene stattgefunden, die ergebnislos geblieben sind. Die Arbeitgeberseite hat kein Angebot, sie wollen eine Nullrunde durchsetzen. Wir beharren auf unseren Forderungen und können ab dem 1. Juli nach vielen Jahren wieder unbefristet streiken. Wenn es nächste Woche kein Ergebnis gibt, wird ein Streik unausweichlich sein. Wenn es um den Tarifvertrag geht, handeln die Beschäftigten gemeinsam. Wir haben den Vertretern des Arbeitgebers bei der Betriebsversammlung am Montag (17. Juni) die rote Karte gezeigt und am Mittwoch einen Warnstreik vor dem Tor durchgeführt. Die Beteiligung war gut. Ich kann sagen, dass 95 Prozent der Mittagsschicht daran teilgenommen haben“.

Die dritte Runde der Tarifverhandlungen wird am 26. und 27. Juni in Bad Breisig bei Bonn stattfinden.

WIR SIND IN DER KRISE – WIR HABEN KEIN GELD ZU VERTEILEN
Während sich bundesweit mehr als 50 Tausend Chemiebeschäftigte an Warnstreiks beteiligten und zeigten, dass sie hinter den Forderungen stehen, beklagt sich die Arbeitgeberseite weiter.
Die Chemieindustrie stecke in einer schweren Krise, so der BAVC: „Unsere Branche befindet sich in einer konjunkturellen und strukturellen Krise. Deutschland ist von Deindustrialisierung bedroht. Unser Hauptziel ist es daher, den Produktionsstandort zu schützen und die Deindustrialisierung zu stoppen.“ Die Arbeitgeber drohen mal wieder mit Massenentlassungen.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben