Kriegsrat in Berlin
Ausgerechnet am ukrainischen Nationalfeiertag, dem 24. Jahrestag der Abspaltung der Ukraine von der UdSSR, zieht es den Milliardär und Hobby-General Petro Poroschenko nach Berlin. Die Kanzlerin hat gerufen, ihn und den französischen Präsidenten François Hollande, um Kriegsrat zu halten. Laut offizieller Ankündigung sollte es darum gehen, eine »friedliche Lösung des blutigen Konflikts im Donbass« zu suchen, aber das ist eine sehr leicht durchschaubare Lüge. Ginge es tatsächlich um Frieden, dann müßten zuerst die beiden Konfliktparteien an einem Tisch sitzen, also die ukrainische Führung und die Vertreter der ostukrainischen Regierungsgegner. Das ist aber nicht der Fall, eine Einladung der Aufständischen wurde nicht einmal in Erwägung gezogen. Ebenso wenig darf Rußland mit am Tisch im Berliner Kanzleramt sitzen, obwohl der Westen keine Gelegenheit verstreichen läßt, mit dem Stinkefinger in Richtung Moskau zu zeigen, wenn es um die Schuldfrage am ostukrainischen Krieg geht.
Was also könnte das Thema des als »Spitzentreffen« deklarierten Gespräches am frühen Montagabend in Berlin gewesen sein? Man kann darüber spekulieren, aber man liegt mit Sicherheit nicht weit von der Wahrheit entfernt, wenn man vermutet, daß es in erster Linie um die Weiterführung des Krieges ging. Gründe für diese Annahme gibt es in Fülle.
Als vor einigen Monaten mit viel Tamtam in Minsk eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand und über Schritte zu einer friedlichen Lösung des Konflikts im ostukrainischen Industriegebiet Donbass verkündet wurde, dauerte es nur wenige Stunden, bis die Einigung von den Kiewer Machthabern über den Haufen geworfen wurde. Der geforderte Rückzug schwerer Waffen geschah extrem zögerlich und widerwillig, vor allem aber ohne militärische Auswirkungen. Der Beschuß von Städten und Dörfern, die unter der Kontrolle der Regimegegner stehen, wurde fast unvermindert fortgesetzt. Sobald die Verteidiger dann das Feuer erwiderten, stimmte Kiew ein großes Wehgeschrei an, und die westlichen Medien lieferten das erwünschte Echo.
Auch der Vereinbarungspunkt über die Nichtstationierung ausländischer Truppen wird nicht nur nicht eingehalten, sondern im Herrschaftsbereich Kiews wurden seitdem noch mehr Militärberater, Experten, Ausbilder und ganze Truppenteile aus den USA und anderen NATO-Staaten stationiert. Um das zu rechtfertigen, berichtet Herr Poroschenko in regelmäßigen Abständen – zuletzt am Montagvormittag bei einer Militärparade in Kiew – von russischen Truppen, die angeblich in Divisionsstärke in die Ukraine einmarschiert seien. Das Problem ist nur, daß – im Gegensatz zu den NATO-Soldaten – bisher niemand diese russischen Truppen zu Gesicht bekommen hat.
Abgesehen von seinem Premierminister Jazenjuk ist Herr Poroschenko einer der wildesten Kriegshetzer unserer Tage. Daß er zu Gesprächen nach Berlin eingeladen wird, kann also nur bedeuten, daß seine Gesprächspartner, die deutsche Kanzlerin und Frankreichs »sozialistischer« Präsident, ebenfalls an der Fortsetzung oder gar der Intensivierung des Krieges interessiert sind. Immerhin geht es ja gegen »die Russen«, also den gemeinsamen Feind. Außerdem läßt sich mit dem Krieg prächtig Kasse machen, vor allem für die deutschen und die französischen Rüstungsschmieden, aber auch andere Großkonzerne und Banken machen ihren Reibach. Den Profit der Großen zu sichern und zu mehren ist schließlich die wichtigste Aufgabe der politischen Führer des Staates im gewöhnlichen Kapitalismus.
Uli Brockmeyer, Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek