3. Dezember 2024

1,5 Millionen Streiktage: ver.di zieht Bilanz

Jubel für UNI Global-Generalsekretär Philip Jennings beim ver.di-Bundeskongress. Foto: RedGlobe

In Leipzig hat der vierte Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di seine Arbeit aufgenommen. Nach der Eröffnung am Vorabend stand der Montag im Zeichen von Geschäftsberichten und der Aussprache darüber. Vorab wurden die in der Satzung vorgeschriebenen Regularien zur Konstituierung erfüllt. Dazu gehörte der Beschluss über die Tagesordnung, die Annahme der Wahl- und Geschäftsordnung und die Wahl der Mandatsprüfungskommission. Ein Antrag, die Tagesordnung zu ändern und zunächst die Vertreter/innen der Fachbereiche zu wählen und erst danach die weiteren Bundesvorstandsmitglieder, fand keine Mehrheit. Die vorgeschlagene Tagesordnung wurde bei nur wenigen Gegenstimmen beschlossen.

Die Vielfalt und Stärke von ver.di – gemäß dem Kongressmotto – wurde im mehr als zweistündigen Geschäftsbericht des Vorsitzenden Frank Bsirske deutlich. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns bezeichnete er als »historischen Erfolg« für die deutsche Gewerkschaftsbewegung. »Mehr Lohn, mehr Beschäftigung, mehr Gerechtigkeit, das ist ein Erfolg für uns alle«, sagte Bsirske. Das eindrucksvolle Spektrum der Gewerkschaftsarbeit der letzten vier Jahre zeige die Vielfalt, mit der es ver.di zu tun hat in den Berufen und Fachbereichen. ver.di sei, bezogen auf die Zahl der erwerbstätigen Mitglieder, die mitgliederstärkste Organisation im DGB und steuere im laufenden Jahr auf ein Mitgliederplus zu.

76,5 Prozent Erwerbstätige, 16,2 Prozent Ruheständler, 5,1 Prozent Erwerbslose, erläuterte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende, Frank Werneke, die Mitgliederstruktur im anschließenden Finanzbericht und sagte kritisch: »Wir verlieren zu viele Mitglieder in der ersten Phase nach dem Eintritt und im Übergang zum Ruhestand.« Auch in Zukunft brauche ver.di steigende Beitragseinnahmen. Das Vermögen für Arbeitskämpfe sei aber vorhanden: »Wir sind in der Lage, alle notwendigen Auseinandersetzungen zu führen. Wir verfügen über die nötige Stärke und wir verfügen über die nötige Finanzkraft.«

Bei den Aussprachen zum Geschäftsbericht wurden aktuelle Tarifkonflikte gewürdigt, aber auch Wünsche für die Zukunft aus den Betrieben geäußert, wie etwa den arbeitsfreien Sonntag im Handel, Abkehr von Tarifflucht, Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe, eine gesetzliche Personalbemessung an Krankenhäusern und mehr Pflegekräfte.

Solidarische Grüße des internationalen Gewerkschaftsdachverbands UNI Global Union überbrachte ihr Generalsekretär, Philip Jennings. Er betonte: »Ihr habt Frau Merkels Respekt gewonnen. 1,5 Millionen Streiktage haben die Kanzlerin von Deutschland verändert. Es zeugt von Eurer Macht, wenn Merkel sagt, ver.di kann man nicht ignorieren.« Jennings wusste zu begeistern und riss die Delegierten von ihren Stühlen. Der Waliser sprach deutsch, nur einleitend einen englischen Satz: »ver.di is rising – I love it!«

Gemeinsam mit ver.di wehre UNI sich gegen die weltweiten Angriffe auf das Streikrecht. Am 4. Oktober beispielsweise würden in Manchester 100.000 Menschen erwartet, um gegen die Antistreikgesetze der britischen Regierung zu protestieren. Philip Jennings zeigte sich begeistert von der »Energie, Leidenschaft und Bewegung« der »jungen Stimmen, die gegen Fremdendfeindlichkeit und Rassismus ansingen«. Dies sei für ihn Deutschland, »nicht die Verrückten«.  Die Rolle der Frauen bei UNI – »die Hälfte unserer rund zwanzig Millionen Mitglieder« – hob der UNI-Generalsekretär besonders hervor: »Wir sind weltweit die stärkste Frauenbewegung!«

Ausdrücklich verwahrte Jennings sich gegen die menschenverachtenden Geschäftspraktiken globaler Konzerne wie Amazon und Google und erinnerte an den Einsturz eines Gebäudes in Sabhar, Bangladesch, der am 24. April 2013 mehr als 1.100 Textilarbeiterinnen das Leben kostete. Er versprach: »Wir werden die Spielregeln in der Lieferkette verändern.« Inzwischen gebe es bereits ein globales Abkommen, demzufolge nun 1.800 Unternehmen inspiziert würden. Auch deutsche Betriebe wie KiK müssten zur Unterschrift gedrängt werden.

Mit den Worten von Martin Luther King forderte Jennings das Plenum auf, »den Bogen für Gerechtigkeit zu biegen«. Der deutschen Bevölkerung dankte er ausdrücklich dafür, »dass sie während der Flüchtlingskrise ihr Herz geöffnet hat«. Er sei »stolz, hier bei euch zu sein – gemeinsam gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus«.

Mahnend sprach der Generalsekretär: »Banken waren zu groß, um unterzugehen.« Aber was geschehe mit der Welt? Was habe das neoliberale Wirtschaftsprojekt nur angerichtet – Klimakatastrophe und Ungleichheit, Fluchtbewegungen und Arbeitslosigkeit! »Deshalb müssen wir kämpfen gegen die Handelsabkommen TTIP, CETA und TISA« – zum Beispiel mit der Teilnahme an der Großdemo am 10. Oktober in Berlin.

Einige Dutzend Delegierte griffen den Aufruf Jennings auf und beteiligten sich am Abend an den Blockadeaktionen gegen den erneuten »Legida«-Aufmarsch in der Leipziger Innenstadt. Die etwa 200 Rassisten konnten wieder einmal erfolgreich daran gehindert werden, durch die Stadt zu marschieren. Am Vorabend hatte sich bereits Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hatte sich am Vorabend in seinem Grußwort bereits für die kontinuierliche Unterstützung gegen Rechts bedankt: »Auf die Gewerkschaften können wir uns verlassen!«

Quelle: ver.di / RedGlobe

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