Verordneter Rassismus
Unter dem Titel „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ beschlossen Bundestag und Bundesrat vorgestern und gestern eine enorme Verschärfung des Asylrechts. Die Große Koalition setzt somit mit freundlicher Unterstützung der Grünen auf eine Flüchtlingspolitik der Abschreckung und Spaltung. Keineswegs wäre der tiefgreifendste Einschnitt in das Grundrecht auf Asyl seit 1993 ohne die rassistische Stimmungsmache der letzten Monate möglich gewesen. Die Eindrücke zahlreicher Anschläge auf Flüchtlingsheime und zehntausender Menschen auf Pegida Kundgebungen wurden bereitwillig von Politik und Medien aufgenommen. Was daraus folgt ist eine Gesetzesänderung, die die Menschenwürde und den Gleichheitsgrundsatz mit Füßen tritt und Flüchtlinge in Deutschland nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit sortiert.
Abschreckung statt Integration
Die beschlossenen Gesetzesveränderungen zielen vor allem auf Abschreckung und Abschottung ab. So wird beispielsweise der Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen von momentan maximal drei Monaten auf bis zu sechs Monate ausgeweitet. Privatsphäre, Rückzugsräume und eine freie Entfaltung der Persönlichkeit sind an solchen Orten so gut wie unmöglich. Während der Unterbringung in diesen menschenunwürdigen Massenunterkünften ist weder die Aufnahme einer Arbeit gestattet noch die Beschulung von Kindern und Jugendlichen vorgesehen. Stattdessen soll sogar das Taschengeld, was den Flüchtlingen bisher zustand, in Form von Sachleistungen ausgezahlt werden. Das heißt, dass z.B. Bustickets, Handykarten und Anwaltskosten künftig nur auf Antrag genehmigt werden. Der von allen Seiten eingeforderten Integration der Schutzsuchenden in die deutsche Gesellschaft wird mit diesen Maßnahmen ein fetter Riegel vorgeschoben.
Das Provisorium, dass Flüchtlinge anstatt der offiziellen Asylantragsstellung zunächst mit einer „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“ (BüMA) abgespeist werden, wird durch den Beschluss nun zur Regel. Die unerträgliche Wartezeit von der Ankunft in Deutschland bis zur Aufnahme des Asylverfahrens kann sich nun also für alle AsylbewerberInnen ganz legal viele Monate ziehen.
Flüchtlinge zweiter Klasse
Neben Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Mazedonien definiert der Gesetzesentwurf auch Albanien, Montenegro und Kosovo als „sichere Herkunftsländer“. Schlimm genug, dass die Politik, Justiz und herrschende Klasse in den „sicheren“ Balkanländern von Korruption durchsetzt sind. Auch ethnische Minderheiten wie Sinti und Roma werden in diesen Staaten systematisch ausgegrenzt und verfolgt. Im Kosovo sind noch immer mehrere tausend NATO Soldaten der sogenannten „Kosovo Force“ (KFOR) stationiert.
Die Einstufung der „sicheren Herkunftsländer“ hat praktische Auswirkungen für Asylsuchende aus diesen Staaten: Sie müssen nun bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf Asyl in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausharren. Erreichen sie nach der Ablehnung des Asylgesuchs eine Duldung, besteht weiterhin ein Ausbildungs- und Arbeitsverbot. Die Tatsache, dass Menschen trotz weiterhin individueller Prüfung ihrer Asylbegründung aufgrund der Herkunft unterschiedlich behandelt werden, verstößt eklatant gegen jeden Grundsatz der Gleichberechtigung.
Abschiebung und Abschottung
Auch für abgelehnte oder ausreisepflichtige Flüchtlinge sieht die Gesetzesänderung drastische Verschärfungen vor. Ihnen kann ab dem 1. November das Taschengeld gekürzt werden, sodass die Menschen deutlich unter dem Existenzminimum leben müssen. Abschiebungen sollen in Zukunft ohne vorherige Ankündigung geschehen. Dabei ist es egal, ob die Menschen mitten in der Nacht aus ihrem Schlaf gerissen oder Kinder von der Schulbank direkt ins Flugzeug gesteckt werden. Die Laufzeit von durch die Bundesländer angeordnete Abschiebestopps aus humanitären Gründen verkürzt sich von sechs auf drei Monate.
Ökonomische Verwertbarkeit ist alles, was zählt
Die Bundesregierung erachtet die hohe Zahl an Flüchtlingen der letzten Monate als unliebsames aber notwendiges Übel imperialistischer Politik. Die Banken und Konzerne versuchen nun, ihren Vorteil daraus zu ziehen. Flüchtlinge können ziemlich einfach als Lohndrücker gegenüber der „deutschen“ Arbeiterklasse eingesetzt werden. Und auch die Fachkräfte unter ihnen sollen möglichst schnell für ihre Profitmaximierung nutzbar gemacht werden. Anstatt Deutschkurse für alle Flüchtlinge zu öffnen, wird die Teilnahme gesetzlich auf ein unbestimmtes Feld derer begrenzt, die über „gute Bleibeperspektiven“ verfügen. Nicht ohne Grund werden momentan ausschließlich syrischen Flüchtlingen die Aufnahmebedingungen in Deutschland – u.a. durch die Aufhebung der Dublin III Verordnung für sie – erleichtert. Schließlich ist der Anteil akademisch geschulter und fachlich ausgebildeter Menschen unter syrischen AsylbewerberInnen deutlich höher als der unter AlbanerInnen oder AfghanInnen.
Die SDAJ erklärt sich solidarisch mit den Flüchtlingen und unterstützt ihre Ansätze zur Selbstorganisierung und die Kämpfe für ein uneingeschränktes Bleiberecht.
Wir fordern deswegen:
- Sofortige Bereitstellung von Not-Geldern für die Kommunen zur pädagogischen, psychologischen und sozialen Betreuung von Flüchtenden sowie koordinierte personelle Aufstockung der Fachkräfte!
- Die sofortige Eingliederung von flüchtenden Kindern in den Schulunterricht mit entsprechender Unterstützung, menschenwürdige und dezentrale Unterbringung der Flüchtenden in Wohnungen und die Gewährleistung von medizinischer Versorgung!
- Das Recht auf Arbeit und die Aufnahme einer Ausbildung für alle in Deutschland lebenden Menschen unabhängig der Herkunft und der bisherigen Dauer des Aufenthalts!
- Aussetzung des Dublin Abkommens, Öffnung der Grenzen und damit die sofortige Legalisierung von Fluchtwegen. Sofortiges Ende der Kategorie von angeblich sicheren Herkunftsländer. Bleiberecht für alle!
17. Oktober 2015, Erklärung der AG Antifaschismus und Antirassismus.
Quelle: SDAJ / RedGlobe