Rede von Ecuadors Präsident Rafael Correa auf der UN-Klimakonferenz in Paris, 30. November 2015
Meine Damen und Herren,
ich werde versuchen, das Unmögliche fertigzubringen: die Vorschläge, die Ecuador der COP21 vorlegt, in weniger als fünf Minuten vorzustellen. Sie, meine Herren Staatschefs und Delegationsleiter, werden die vollständige Rede auf Ihren Schreibtischen vorfinden.
Als Vorsitzender der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und karibischen Staaten möchte ich zu allererst Ihnen, Herrn Präsident Hollande, und dem französischen Volk unser tiefes Mitgefühl wegen der erlittenen Attentate zum Ausdruck bringen. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit werden über den Terror den Sieg davontragen, so wie es dieses Gipfeltreffen zeigt.
Werte Freunde,
das unbegrenzte Wirtschaftswachstum ist unerwünscht und unmöglich. Es ist unerwünscht, weil die Steigerung des Pro-Kopf-BIP ab einer bestimmten Schwelle in keiner Beziehung mehr steht zum Glücksgefühl eines Volkes, was als das “Easterlin-Paradoxon” bekannt ist, das bereits vor mehr als 30 Jahren vorgestellt wurde.
Aber vor allem unmöglich ist das unbegrenzte Wirtschaftswachstum. Technik und Effizienz erweitern zwar die Grenzen, aber heben sie nicht auf. Der Verbrauchseffekt herrscht über den Effizienzeffekt.
Der Energieverbrauch ist von 1971 bis 2012 jährlich mit einer durchschnittlichen Zuwachsrate von 2,5% gestiegen. Die Frage lautet nicht, ob wir weiterhin wachsen können, sondern: Was wird das Wirtschaftswachstum in der Welt aufhalten? Eine unter den Bewohnern der Erde abgestimmte Entscheidung oder die natürliche Reaktion unseres Planeten, die diesen Traum von Habgier in den schlimmsten Albtraum verwandelt.
Es handelt sich um gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Ein Bewohner der reichen Länder stößt 38 Mal mehr CO2 aus als ein Bewohner der armen Länder. Das will nicht besagen, dass es keine mit der Armut verbundene Auswirkungen gibt, so wie die Bodenerosion oder der Mangel an Abfallbehandlung; es ist aber angebracht, darauf zu verweisen, dass diese Kontaminierung bei den Armen auf sie selber zurückschlägt, und zwar lokal, nicht global.
Zudem tut sich zwischen der Energieeffizienz in den reichen und armen Ländern immer noch eine riesige Kluft auf, die zwischen 1971 und 2011 von 4,2 auf 5,1 angewachsen ist. Wissenschaft und Technik sind keine Rivalen des Konsums. Daraus folgt: Je mehr Personen diese nutzen, desto besser ist es. Das ist der zentrale Gedanke bei dem, was wir in Ecuador als die soziale Wissensökonomie bezeichnen.
Ganz im Gegenteil, wenn ein Gut knapp wird oder in dem Maße zerstört wird, wie es verbraucht wird – wie die Natur, wie die Umweltgüter -, dann ist der Moment gekommen, den Konsum einzuschränken, um das zu vermeiden, was Garret Hardin in seinem berühmten Artikel von 1968 die “Tragik der Allmende” nannte.
Der Notstand auf der Erde erfordert einen Weltvertrag, der die Technologien, die den Klimawandel und seine diesbezüglichen Auswirkungen abschwächen, zu globalen öffentlichen Gütern erklärt und den freien Zugang zu ihnen garantiert.
Ganz im Gegenteil, eben dieser Notstand auf der Erde verlangt auch nach verbindlichen Abkommen, um den kostenlosen Verbrauch von Umweltgütern zu vermeiden.
Eine Antwort besteht darin, das Kyoto-Protokoll verbindlich zu machen und es dahin gehend zu erweitern, um für die Vermiedenen Nettoemissionen (ENE, gemäß der spanischen Abkürzung) Entschädigung zu leisten. ENE sind die Emissionen, die hätten vorgenommen werden können, aber nicht ausgestoßen wurden; bzw. die Emissionen, die innerhalb der Wirtschaft eines jeden Landes zwar vorgenommen, aber reduziert wurden. ENE ist das grundlegende Konzept, das benötigt wird, um Kyoto zu vervollständigen, denn es sieht Entschädigungen für Aktionen und Enthaltungen vor, und umfasst alle Wirtschaftstätigkeiten, die in die Ausbeutung, den Gebrauch und die Nutzung erneuerbarer und nicht erneuerbarer Ressourcen verwickelt sind.
Das sind Anreize, um den Ausstoß von Emissionen zu vermeiden. Aber es existiert auch eine ökologische Schuld, die bezahlt werden muss, wenngleich sie vor allem nicht weiter anwachsen darf.
Und hier nun der grundsätzliche Gedanke zu jeglicher Debatte über Nachhaltigkeit: Die Bewahrung der Umwelt in den armen Ländern wird nicht möglich sein, wenn diese Erhaltung nicht eindeutige und direkte Verbesserungen für das Lebensniveau ihrer Bevölkerung hervorbringt.
Papst Franziskus erinnert uns in seiner kürzlichen Enzyklika Laudato Si daran, dass die bedeutendsten Reserven der Biosphäre sich in den Entwicklungsländern befinden und sie es sind, mit denen die Entwicklung der reichsten Länder weiterhin gespeist wird.
Es ist sogar erforderlich, noch weiter zu gehen und die Universelle Erklärung der Rechte der Natur zu verwirklichen, so wie es Ecuador in seiner neuen Verfassung bereits getan hat.
Das universelle Grundrecht der Natur sollte sein, dass sie weiterhin existieren kann, weil sie die Quelle des Lebens ist, aber auch, damit sie die notwendigen Mittel bieten kann, damit unsere Gesellschaften das Buen Vivir erreichen können.
Hier noch ein anderer Gedanke, um gewisse Fundamentalismen zu vermeiden: Der Mensch ist nicht das einzige Wichtige in der Natur, aber er bleibt weiterhin das Wichtigste.
Die Hauptantwort auf den Kampf gegen den Klimawandel ist deshalb, einen Internationalen Gerichtshof für Umweltgerechtigkeit zu schaffen, der Anschläge auf die Rechte der Natur mit Sanktionen belegen und Verpflichtungen hinsichtlich der ökologischen Schuld und des Verbrauchs von Umweltgütern erstellen sollte.
Nichts – der gesamte Planet leihe mir bitte sein Ohr -, nichts rechtfertigt, dass wir Gerichte haben, um Investitionen zu schützen und die Bezahlung von Finanzschulden zu erzwingen, aber wir keine Gerichte haben, um die Natur zu schützen und die Bezahlung ökologischer Schulden zu erzwingen. Es handelt sich ganz einfach um die perverse Logik “Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren”, aber das erträgt unser Planet nicht länger.
Unsere Vorschläge können in einem magischen Satz zusammengefasst werden: Umweltgerechtigkeit, aber wie sagte Thrasymachos schon vor mehr als zweitausend Jahren in seinem Dialog mit Sokrates: “Das Gerechte ist lediglich das dem Stärkeren Zuträgliche”.
Vielen Dank und entschuldigen Sie bitte, dass ich mit diesem Redebeitrag nicht unter fünf Minuten geblieben bin.
Übersetzung: Gerhard Mertschenk / Botschaft der Republik Ecuador