Wenn Gewalt neue Gewalt hervorbringt
Beinahe konnte man einen Hauch von Erleichterung heraushören bei den Auftritten deutscher Politiker – bayerische eingeschlossen – nach den Gewalttaten in Würzburg, München, Reutlingen und Ansbach. »Der Terror« hat nun auch Deutschland erreicht! Es wäre ja noch schöner, wenn islamistische Terroristen ihr Unwesen in Belgien und in Frankreich treiben, und ausgerechnet Deutschland davon unberührt bliebe.
Deshalb gab man sich alle Mühe, den Axtmörder aus dem Regionalzug, den Amokläufer vor dem Schnellrestaurant, den Mann mit der angeblichen Machete in Reutlingen und nun auch den Rucksackbomber von Ansbach wenigstens in die Nähe des politisch motivierten islamistischen Terrors zu rücken. Nur leider war das bisher nicht so recht gelungen, nachdem die Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Gewalttaten von Würzburg, München und Reutlingen ein politisches oder gar islamistisches Tatmotiv definitiv ausgeschlossen hatten. Aber dennoch wabert dieser Unfug weiter durch die Berichterstattung in den Medien und durch die Kommentare unverantwortlicher Politiker und anderer Personen, die sich kraft ihres Amtes zu Kommentaren berufen fühlen.
Besonders hervorgetan hat sich dabei ein hoher Würdenträger der katholischen Kirche, der am Samstagabend in seine staatlich finanzierte Predigt im Ersten Deutschen Fernsehen die Worte »Terroranschläge« oder »Terrorismus« und »Terroristen« einbaute, als er über den Amoklauf von München sprach, und »ideologische Einzeltäter und Amokläufer« auf eine Stufe stellte. Dem Kirchenmann dürfte, nein: kann gar nicht entgangen sein, daß sowohl die leitenden Polizeibeamten von München als auch der bayerische Innenminister keinen terroristischen Hintergrund erkannt hatten. Dennoch kam dem Kardinal Reinhard Marx der folgende Satz ganz locker von den Lippen: »Die verschiedenen Ideologien, die sich immer wieder in Gewaltexzessen austoben, kommen in unterschiedlichen Verblendungen daher: Politisch aufgehetzt von rechts und von links, religiös untermauert und befeuert wie im radikalen Islamismus unserer Zeit, der sich letztlich gegen die gesamte westliche Zivilisation richtet.«
Und selbstverständlich durfte der Hinweis nicht fehlen, daß »ein geordnetes Gemeinwesen alles tun (muß), um seine Bürger vor Gewalt und Unrecht zu schützen«. Genau da kommt es wieder zur Übereinstimmung zwischen Prediger und Politikern. Beiden fällt in solchen Situationen nichts weiter ein als ein »starker Staat«, der sich nach innen und nach außen »verteidigen« kann. Bei der »Verteidigung nach außen« sind die wichtigsten westlichen Länder schon lange dabei. Sie mischen in allen möglichen Kriegen mit, haben selbst Kriege angezettelt und sorgen dafür, daß Kriege wie in Syrien, in Afghanistan oder im Irak nicht beendet werden. Die »Verteidigung nach innen« ist eine relativ neue Komponente, wenn es dabei um den Einsatz der Armee geht. Obwohl im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland der Einsatz der Bundeswehr im Inland strikt untersagt ist, waren angesichts eines mit einer Pistole bewaffneten 18-Jährigen in München mindestens 100 Angehörige der Bundeswehr im Einsatz. So sollen die Bürger an eine neue Lage gewöhnt werden. Und dabei wird es eines Tages völlig egal sein, zu welchem Zweck Soldaten gegen eigene Bürger eingesetzt werden, und sei es zur Unterdrückung von Streiks oder von Friedensdemonstrationen. Und zur Not hat man ja noch die Möglichkeit eines Ausnahmezustandes – Frankreich und die Türkei machen gerade vor, wie das funktionieren kann.
Uli Brockmeyer, Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek