Ein Kommentar aus Luxemburg: Der Mythos vom »Machtwechsel«
Am Sonntagabend machte bei der Berichterstattung über die saarländischen Wahlen wieder einmal das Wort »Machtwechsel« die Runde. Es habe nicht für einen »Machtwechsel« gereicht, hieß es – mal bedauernd, mal eher triumphierend – bei den deutschen TV-Journalisten.
Die Spitzenkandidatin der Saar-SPD, die wenig später bei herzlichen Umarmungen mit der Ministerpräsidentin von der Saar-CDU fotografiert wurde, habe ihr Ziel nicht erreicht, aus ihrem jetzigen Büro der Wirtschaftsministerin auf den Sessel der Regierungschefin zu wechseln, hieß es erklärend. Und die Saar-Linke mit dem früheren SPD-Vorsitzenden an der Spitze werde nicht von der Oppositions- auf die Regierungsbank wechseln, hieß es zudem. Dann war noch sehr viel von Überlegungen über eine sogenannte »rot-rote« Koalition zu hören, was gewissermaßen als eine weitere Version eines »Machtwechsels« dargestellt wurde.
Als Krönung des Ganzen bot der Wahlabend wieder ausführlich Raum für Spekulationen über einen »Machtwechsel« im September in Berlin, als Folge des sogenannten Schulz-Effekts, der in den letzten Wochen die Umfrageergebnisse für die deutschen Sozialdemokraten hatte beinahe sprunghaft in lange nicht gekannte Höhen hochschnellen lassen. Und dann wird immer wieder der Herr Schulz gezeigt, und man muß sich zum gefühlt hundertsten Mal seine platten Metaphern anhören, mit denen er den Eindruck erwecken will, daß nun, mit ihm an der Spitze, ein hundertprozentig neuer Wind der alten Tante SPD ein völlig neues Leben einhauchen werde.
Das Problem besteht allerdings darin, daß all das mit einem Machtwechsel absolut nichts zu tun hat. Bildet sich wirklich jemand ein, daß sich an den Machtverhältnissen irgendetwas ändert, wenn Konservative und Sozialdemokraten am gemeinsamen Regierungstisch ein paar Stühle tauschen? Die jüngere Geschichte nicht nur der Bundesrepublik Deutschland hat uns doch genau das Gegenteil gelehrt. Und was, bitte schön, würde sich ändern, wenn der nette Herr Lafontaine mit seinen flotten Sprüchen mit am Regierungstisch in Saarbrücken hätte Platz nehmen dürfen? Die Regierungsbeteiligung der »Linken« in Berlin und in Thüringen zeigt doch gerade, wie es NICHT funktioniert. Und da ist die Frage zweitrangig, wie »rot« die Beteiligten an einer »rot-roten« Koalition in Wirklichkeit sind.
Auch hier in Luxemburg ist das nicht anders. Da haben die »Sozialisten« die Kühnheit zu behaupten, sie seien nach dem Regierungsantritt der jetzigen Koalition aus Liberalen, Grünen und Sozis überrascht worden von dem Finanzchaos, das die vorherige Koalition aus Konservativen und Sozis hinterlassen habe… Aber jetzt, anderthalb Jahre vor den nächsten Parlamentswahlen, werde alles in die richtigen Bahnen gelenkt… In Wirklichkeit wetteifern die beteiligten bürgerlichen Parteien nicht um einen Macht-Wechsel, sondern darum, welche von ihnen sich am meisten geeignet erweist für den Macht-Erhalt der herrschenden Klasse, oder anders formuliert: welche von ihnen den Kapitalismus am besten verwalten kann. Denn die Machtstrukturen des kapitalistischen Staates werden mit dem Wechsel von einer bürgerlichen Partei zu einer anderen nicht im geringsten angetastet.
Die Macht bleibt jedes Mal in den selben Händen, nämlich in denen der Besitzer der Konzerne und Banken. Erst wenn dieser Besitz grundlegend verändert wird, was wir Kommunisten als Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel bezeichnen, gibt es die Möglichkeit für einen tatsächlichen Machtwechsel.
Uli Brockmeyer, Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek