Faschistische Gesinnung und »europäische Werte«
Ein Offizier der deutschen Bundeswehr hat sich als syrischer Flüchtling ausgegeben, um mit dieser Legende – also »unter falscher Flagge« – Terroranschläge vorzubereiten und zu begehen. Die Anschlagsziele lagen nicht etwa in Syrien oder in Israel, sondern der Terror sollte in Deutschland stattfinden, offensichtlich um einen weiteren Vorwand für schärfere Ausnahmegesetze und für Repressionen gegen Andersdenkende zu liefern. Das wirft Fragen auf, auf die es allerdings kaum Antworten geben wird. Wie konnte ein aktiver Offizier, der noch dazu in Frankreich stationiert ist, ein derartiges Doppelleben führen? Warum blieben seine Aktivitäten außerhalb der Kaserne unbemerkt – oder blieben sie das vielleicht gar nicht? Wie viele ähnliche Fälle gibt es bei der Bundeswehr, der Polizei, den Geheimdiensten?
Es ist nicht die Aufgabe dieser Zeitung, und schon gar nicht ihre Absicht, die deutsche Kriegsministerin in Schutz zu nehmen. Zwischen ihr und uns liegen Welten. Aber: Die faschistische Gesinnung und der daraus resultierende Korpsgeist in der deutschen Bundeswehr sind nicht ihr anzulasten. Vorzuwerfen ist ihr allerdings, daß sie die Armee für den Ausbau einer deutschen Vormachtstellung benutzt. Es ist völlig deplaziert, die Einschätzung der Ministerin über den politisch-moralischen Zustand der deutschen Armee mit dem Vorwurf zurückzuweisen, sie hätte »ausreichend Zeit gehabt, um die Mißstände abzustellen«, wie es ein SPD-Politiker ausdrückte. Nein, es handelt sich nicht um »Mißstände«, sondern um ein grundsätzliches Problem, dessen Ursachen Jahrzehnte alt sind. Um zu verstehen, warum es möglich ist, daß ein Offizier mit rechter Gesinnung heute Schlagzeilen macht, muß man bis in die Gründungszeit der Truppe zurückblicken.
Als unmittelbar nach der Zerschlagung des faschistischen deutschen Staates durch die Sowjetische Armee, die Alliierten und den antifaschistischen Widerstand allgemein jeglicher neuer Krieg von der deutschen Bevölkerung abgelehnt wurde, hatten die USA und Großbritannien bereits den nächsten Waffengang gegen die Sowjetunion in Planung. Dazu wollten sie auf die Erfahrungen der faschistischen deutschen Wehrmacht auf keinen Fall verzichten. Abgesehen davon, daß in den deutschen Westzonen die meisten Kriegsverbrecher mit geringen Strafen davonkamen oder gänzlich unbehelligt blieben, wurden Generale und Offiziere der Wehrmacht in die neuen bewaffneten Kräfte übernommen, aus denen innerhalb kurzer Zeit Bundeswehr, Polizei und Geheimdienste entstanden. Diese »alten Kameraden« prägten den eigentlichen Korpsgeist der Bundeswehr, und das hat Wirkung bis in die heutige Zeit.
Im Gegensatz zur DDR, deren Nationale Volksarmee von Männern aufgebaut wurde, die in den Internationalen Brigaden im Spanischen Krieg, im antifaschistischen Untergrund oder in den Reihen der Sowjetarmee gekämpft hatten, gab es bei der westdeutschen Armee nie eine Gesinnung des Antifaschismus. Der Einsatz für die Interessen des deutschen Kapitals stand und steht immer im Vordergrund, und dazu ist jeder Verbündete recht – seien es die in Korea und Vietnam blutbefleckten USA-Truppen seit den 50er Jahren oder auch die wackeren Vorkämpfer für Menschenrechte aus Saudi-Arabien, denen die Kanzlerin just am Wochenende eine weitere Geste der Waffenbrüderschaft angetragen hat.
Übrigens hatten sich in Luxemburg während der faschistischen Besatzung Hunderte junge Männer der Zwangsrekrutierung in die Wehrmacht entzogen. Heute allerdings stehen junge Luxemburger kurz davor, unter dem Kommando der deutschen Bundeswehr samt deren Korpsgeist im Rahmen einer NATO-Brigade in Litauen »europäische Werte« zu verteidigen.
Uli Brockmeyer, Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek