Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf Medienfragen am Rande des Kongresses des syrischen nationalen Dialogs am 30. Januar 2018 in Sotschi
Frage: Kann man jetzt von einer neuen Union unter den oppositionellen Kräften, vertreten durch Randa Kassis, Qadri Dschamil, Haytham Manna sowie Ahmad Al-Dscharba als Gegengewicht zur radikalen Opposition sprechen, die sich weigert, anzureisen und etwas Unglaubliches am Flughafen Sotschi inszeniert?
Sergej Lawrow: Wir hatten heute tatsächlich eine einmalige Veranstaltung seit sieben Jahre des syrischen Konfliktes.
Der Kongress stellte sich die Aufgabe, die deutlich breiter ist, als der Astana-Prozess und allen voran die Genfer Verhandlungen, an denen wie ich sagte, nur die externen Oppositionellen teilnehmen. Hier konnten wir unter einem Dach Vertreter der offiziellen syrischen Seite – Parlamentarier, Mitglieder der Regierungspartei, unabhängige Delegierte sowie Vertreter der inneren und äußeren Opposition, Stämme, die eine sehr große Bedeutung im Gesellschaftsleben Syriens spielen, versammeln.
Natürlich rechnete niemand damit, dass hier alle ohne Ausnahme Vertreter verschiedener Gruppen des syrischen Volkes versammelt werden – sowohl loyaler gegenüber der Regierung, als auch neutraler, unabhängiger, Oppositionellen. Ich mache keine Tragödie daraus, dass zwei bis drei Gruppen nicht teilnehmen konnten. Dass ist der Beginn des Prozesses, der die Erfüllung der Resolution 2254 unter UN-Schirmherrschaft in praktische Dimension bringen soll, vor allem darin, was den Beginn eines Dialogs über das Wichtigste betrifft – in welchem Land die Syrer leben wollen. Dazu soll ein gesellschaftliches Einvernehmen, ein Konsens erreicht werden. Gerade ein solcher Dialog wird mit der Durchführung des heutigen Kongresses eingeleitet.
Beim Kongress wurde eine Verkündigung mit den Hauptprinzipien der künftigen Staatsordnung Syriens gebilligt. Darin gibt es nichts Revolutionäres. Das sind die Hauptnormen des Völkerrechts – Respekt der Souveränität, territorialer Integrität, Unabhängigkeit Syriens, Gewährleistung der Rechte aller ethnischen, konfessionellen Gruppen, politischen Prozesses, der niemanden außer Bord lassen und den Syrern ermöglichen wird, selbst, ohne äußere Einmischung ihr Schicksal zu bestimmen. Zudem wurde beschlossen, einen Verfassungsausschuss zu bilden, zu dem die heute gewählten Delegierten gehören werden und zu dem zusätzlich Vertreter der Gruppen delegiert werden, die aus verschiedenen Gründen am heutigen Kongress nicht anwesend waren. Dieses Ergebnis (Schaffung des Verfassungsausschusses) wird der UNO gemäß der Resolution 2254 übergeben. In Genf wird die Arbeit dieser neuen Struktur organisiert – Verfassungsausschusses zur Vorbereitung der syrischen Verfassung.
Wir rechnen damit, dass der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien, Staffan de Mistura, an den sich der Kongress mit dem Aufruf wandte, der Tätigkeit des Verfassungsausschusses zu helfen, in völliger Übereinstimmung mit seinen Prärogativen gemäß Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats die praktische Arbeit organisieren wird. In der nächsten Zeit werden wir konkrete Ansichten dazu von ihm erwarten.
Frage: Wie würden Sie den Inhalt des Kreml-Berichts beurteilen? Wird Russland irgendwie antworten?
Sergej Lawrow: Über dieses Thema sprachen bereits der Präsident und der Regierungschef Russlands. Als ich im Fernsehen die Familiennamen jener sah, die in den Bericht aufgenommen wurden, wurde ich unter anderem vom Umstand überrascht, dass der Auftrag, eine solche Liste zu erstellen, im Gesetz enthalten war, der im August 2017 verabschiedet wurde. Fünf Monate vergingen dafür, um Fachbücher zu analysieren, in denen die Familiennamen der Regierungsmitglieder und Mitarbeiter der Administration des Präsidenten enthalten sind. Man hätte das viel schneller machen können.
Frage: Der Außenminister Frankreichs sagte eben, der politische Prozess sollte in Genf und nicht in Sotschi vorangebracht werden. Wir wissen, dass die USA vor kurzem ein so genanntes „Papier der Fünf“ initiierten. Wird der „Sotschi-Prozess“ dadurch nicht behindert?
Sergej Lawrow: Was unseren Kongress angeht, so äußerte er sich klar und deutlich dafür, dass der „Genfer Prozess“ sozusagen „den zweiten Atem“ bekommt. Oder auch „den ersten Atem“, denn bisher verlief er nicht gerade intensiv. Das ist eine sehr starke Unterstützung für den „Genfer Prozess“ und die UNO – natürlich auf Basis der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats, und das bedeutet, dass jegliche Schritte sowohl für die Regierung Syriens als auch für die Opposition akzeptabel sein sollten. Da sollte es keine Zweifel und Befürchtungen geben. Ohne die Zustimmung der Regierung, wie auch ohne die Zustimmung der Opposition, kann nichts getan werden.
Was die Kommentare angeht, die aus Paris, Washington und anderen Hauptstädten zu hören sind, so verläuft unser Kongress „mit offenem Visier“, unter Beteiligung des UN-Beauftragten für Syrien, Staffan de Mistura, der Beobachter aus allen ständigen Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrats, aus allen Nachbarländern Syriens und anderen arabischen Staaten, aus Kasachstan als Gastgeber des „Astanaer Prozesses“.
Sie erwähnten das „Dokument der fünf Länder“, die sich in Washington und dann in Paris versammelten. Sie haben gewisse Ideen auf dem Papier geschildert. Ich würde eigentlich sagen, dass ihre Aktivitäten dem „Genfer Prozess“ nicht entsprechen, denn es haben sich nun einmal fünf Länder versammelt, ohne die wichtigsten Akteure einzuladen, die sich an der Syrien-Regelung beteiligen, und die Einladung der syrischen Seiten kam für sie offenbar erst gar nicht infrage – daran hatte wohl niemand von ihnen gedacht. Es wurden auch weder die Türkei noch der Iran, noch Russland als Garanten des „Astanaer Prozesses“ dazu eingeladen. Ich denke, solche separate Treffen können den „Genfer Prozess“ nur behindern, denn bei jemandem könnte die Illusion entstehen, dass bei solchen separaten Treffen Vereinbarungen schneller als unter Beteiligung absolut aller Seiten getroffen werden könnten.
Wir gehen den zweiten Weg: Es ist natürlich sehr schwerer, sich zu einigen, wenn am Verhandlungstisch keine Gleichgesinnten, wie in Paris und Washington, sondern unterschiedlich denkende Seiten sitzen. Aber von den Konfliktseiten getroffene Vereinbarungen sind viel wichtiger, nachhaltiger und zuverlässiger als Entscheidungen, die Gleichgesinnte im engen Kreis treffen – ohne das syrische Volk gefragt zu haben.
Allerdings muss ich abermals betonen, dass wir zum Kongress Vertreter aller ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sowie viele andere Staaten eingeladen hatten. Wir sind der Volksrepublik China und der Republik Kasachstan dankbar, dass ihre Beauftragten zu dieser Veranstaltung gekommen sind. Unsere westlichen Partner schickten nur weniger bedeutende Diplomaten aus ihren Botschaften in Russland hin. So war allerdings nun einmal ihre Entscheidung.
Wir sind zum Dialog in allen möglichen Formaten und auf allen möglichen Ebenen bereit. Die Hauptsache ist, dass wir das grundlegende Prinzip der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats einhalten: Nur die Syrer selbst sollen das Schicksal ihres Landes bestimmen. Eben auf die Schaffung von entsprechenden Bedingungen ist der aktuelle Kongress ausgerichtet. Meines Erachtens ist uns dieser erste und äußerst wichtige Schritt im Allgemeinen gelungen. Wir werden jetzt von der UNO Ergebnisse erwarten, die sich auf die hier getroffenen Vereinbarungen stützen würden. Und wir selbst werden unser Bestes dafür tun.
Die Initiatoren des Kongresses waren die drei Garant-Länder: Russland, der Iran und die Türkei. Wir trafen uns heute mit unseren Kollegen. Wir bestätigten, dass wir die Ergebnisse des Kongresses möglichst vorantreiben werden, wenn sich die UNO daran richten wird, und dass wir Staffan de Mistura und seinem Team helfen werden, Vereinbarungen unter Beteiligung aller syrischen Seiten zu treffen.
Frage: Wäre ein weiterer Kongress möglich?
Sergej Lawrow: Wir wollen jetzt keine Vorhersagen machen. Heute einigten wir uns darauf, dass die Ergebnisse des Kongresses an die UNO weitergeleitet werden, und hoffentlich werden sie den „Genfer Prozess“ fördern. Staffan de Mistura hat alle nötigen Vollmachten, die in der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats verankert sind. Und heute wurden diese Vollmachten auf dem Kongress befürwortet. Er wurde aufgerufen, sich mit der Arbeit an der Verfassung intensiv zu beschäftigen.
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