Interview des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit der Zeitung »Kommersant« (21. Januar 2018)
Frage: Alle warten aktuell auf die Veröffentlichung von zwei Berichten der US-Administration, nämlich des so genannten „Kreml-Berichts“ über der russischen Staatsführung nahestehende offizielle Personen und Oligarchen, und eines Berichts über die Zweckmäßigkeit von neuen scharfen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau. Falls diese Dokumente zur Verschärfung der Sanktionspolitik Washingtons führen werden, wie wäre Moskaus Reaktion darauf?
Sergej Lawrow: Das ist eine hypothetische Frage. Wir sagten schon öfter, dass wir keine Konfrontation wollen. Unseres Erachtens werden die Sanktionen absolut unbegründet verhängt. Und was die Ziele angeht, die dadurch verfolgt werden, so ist das ebenfalls sinnlos, denn die Autoren dieser Sanktionen konnten sich in den Jahren, die seit ihrer Einführung vergangen sind, eigentlich überzeugen, dass diese Sanktionen die faire, offene und konstruktive Politik Russlands nicht beeinträchtigen können. Unsere unabhängige und selbstständige Politik in den internationalen Angelegenheiten, die sich auf unsere nationalen Interessen stützt, kann nicht von außerhalb verändert werden. Sie wird vom Präsidenten Russlands bestimmt, und zwar unter Berücksichtigung der Interessen, die den Bedürfnissen des russischen Volkes entsprechen. Dass unsere Politik von den breiten Volksmassen befürwortet wird, ist meines Erachtens der beste Beweis dafür, dass die Versuche zur Veränderung unserer Außenpolitik durch den Druck auf unsere Eliten und einige Unternehmen aussichtslos sind.
Dennoch können wir natürlich nicht (auch wenn wir am Ausbau der Konfrontation nicht interessiert sind) ganz ruhig zusehen, wie man versucht, Russland zu bestrafen, egal ob es dabei um unser Eigentum oder um die Sanktionen geht, die Sie eben erwähnt haben, ober um die Versuche, das Thema Sport auszunutzen. Es gibt viele Fakten, die davon zeugen, dass es neben realen Fällen des Dopings unter unseren Sportlern und auch Sportlern aus vielen anderen Ländern (den Fällen, die bekannt sind, aber aus denen niemand eine Tragödie macht und die nicht an die große Glocke gehängt, sondern in Übereinstimmung mit entsprechenden Prozeduren behandelt werden) eine bezahlte Kampagne gibt, die sich auf das Prinzip stützt, das auch in anderen Bereichen des internationalen Lebens eingesetzt wird, wenn es um den Umgang mit Russland und seinen Partnern geht. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Richard McLaren in seinem Bericht erklärt, es würde keine Beweise geben, und man wüsste nicht, wie das gemacht worden sei, wüsste aber, wie dies gemacht worden sein könnte. In keinem einzigen Land würde ein normales Gericht eine solche Anklage akzeptieren. Dennoch werden auf Basis solcher ziemlich exotischen Erklärungen Beschlüsse zur Suspendierung eines ganzen Landes von den Olympischen Spielen gefasst.
Das erinnert an die Situation um die malaysische Boeing: Damals verlangten die USA drei Tage nach der Tragödie eine Ermittlung und behaupteten zugleich, sie wüssten, wer das getan hatte, wären aber sicher, dass die Ermittlung beweisen würde, was sie wissen.
Und noch früher hatte es den Fall von Alexander Litwinenko gegeben. Damals behaupteten die britischen Behörden, die Ermittlung sollte beweisen, was sie auch ohne jegliche Ermittlung wüssten. Diese Einstellung gegen Russland ist beispiellos. So etwas gab es nicht einmal während des Kalten Kriegs. Damals gab es gewisse Regeln und „Anstandsnormen“. Und jetzt wurden alle diese „Anstandsnormen“ fallen gelassen.
Frage: Alles ist also noch schlimmer als während des Kalten Kriegs?
Sergej Lawrow: Was die Manieren angeht, so ist das so, aber wenn wir die materiellen Äußerungen der Konfrontation vergleichen, dann gibt es auch verschiedene Meinungen. Einerseits gab es damals eine negative Stabilität der zwei harten Blöcke, der zwei Weltsysteme – des sozialistischen und des imperialistischen. Jetzt gibt es keine ideologischen Kontroversen. Alle haben Marktwirtschaft und Demokratie, egal wie man sich dazu verhält. Aber es gibt Wahlen, Freiheiten, Rechte, die in der Verfassung verankert sind.
Dennoch bleibt selbst bei ausbleibenden ideologischen Kontroversen die Konkurrenz, was absolut normal ist. Aber die Konkurrenz sollte fair sein. Es ist klar, dass jedes Land seine spezifischen Methoden zum Vorantreiben seiner Interessen, spezielle Dienste und extra angestellte Lobbyisten hat. Es gibt auch Nichtregierungsorganisationen, die diese oder jene Tagesordnung voranbringen. Das ist normal. Aber wenn man uns sagt, Russland dürfe nicht Nichtregierungsorganisationen unterdrücken, die aus dem Ausland finanziert werden, und habe dabei kein Recht, seine Nichtregierungsorganisationen im Ausland zu unterstützen, dann sieht es nach Doppelstandards aus.
Es gibt noch den zweiten Moment, den ich hervorheben muss. Bei ausbleibenden ideologischen Kontroversen lässt sich ein materieller Ausbau des Militärpotenzials beobachten. So etwas gab es während des Kalten Kriegs nicht.
Frage: Aber es gab doch ein Wettrüsten.
Sergej Lawrow: Das Wettrüsten gab es im Rahmen der Geopolitik, die von beiden Seiten ausgeübt wurde. Es gab eine Art „Linie“ zwischen der Nato und dem Warschauer Vertrag: Eine Seite rüstete sozusagen links und die andere rechts von dieser Linie auf. Am Ende wurde die Sowjetunion überfordert. All diese „Kriege der Sterne“ und andere Dinge spielten dabei eine gewisse Rolle – auch wenn keine entscheidende. Die Sowjetunion zerfiel, weil das Land, sein Establishment nicht gespürt hatte, dass Reformen nötig waren, und als es dies spürte, gingen diese Reformen in die falsche Richtung. Aber angesichts der aktuellen Nato-Expansion in den Osten gibt es wirklich keine Regeln. Es gibt nirgendwo eine „rote Linie“.
Frage: Und die Grenze Russlands?
Sergej Lawrow: Wenn man davon ausgeht, dass wir keine Interessen im euroatlantischen Raum haben, dann ja: Die Grenze Russlands ist die „rote Linie“. Aber wir haben nun einmal unsere legitimen Interessen – es gibt Russen, die sich über Nacht im Ausland wiederfanden, nachdem die UdSSR zerfallen war; und außerdem haben wir kulturelle und historische, enge persönliche und familiäre Verbindungen mit unseren Nachbarn. Russland hat das Recht auf die Verteidigung der Interessen seiner Landsleute, besonders wenn sie in vielen Ländern unterdrückt werden, wenn ihre Rechte beeinträchtigt werden, was in der Ukraine der Fall war. Am Tag des Staatsstreichs wurde dort verkündet, dass die russische Sprache dort zu beeinträchtigen wäre.
Frage: Aber dann wurde das wieder außer Kraft gesetzt…
Sergej Lawrow: Ja, aber das wurde schon verkündet. Nach dem Machtsturz verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, dem zufolge die russische Sprache sozusagen „ihren Platz kennen sollte“. Und dieser Platz wäre alles andere als würdig. Und zwei Tage später erklärte man, die Russen würden nie Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch verehren und sollten deshalb von der Krim verdrängt werden.
Nach meiner jüngsten Pressekonferenz schrieb eine deutsche Zeitung, Sergej Lawrow hätte Fakten entstellt und „eine friedliche Kundgebung der Krimtataren vor dem Obersten Sowjet der Krim als einen Versuch zur Verdrängung der Russen von der Halbinsel dargestellt“. Aber es genügt ja, ein paar Videos aus den Tagen zu sehen, auf denen nämlich zu sehen ist, wie der Oberste Sowjet von Schlägern umzingelt war. Nicht zu vergessen sind auch die so genannten „Züge der Freundschaft“, die Dmitri Jarosch auf die Krim schickte.
Diese ukrainische Geschichte, die Geschichte des Staatsstreichs, die Geschichte des Verrats des Völkerrechts durch den Westen, als das von den Außenministern der führenden EU-Länder unterzeichnete Abkommen dann mit den Füßen zertreten wurde… Und dann begann der Westen, uns zu überzeugen, dass dies auch weiter so bleiben sollte, dass man damit nichts mehr tun könnte… Das war im Grunde eine große europäische Schande. Indem wir diese historische Realität feststellen, isolieren wir uns nicht selbst, sondern wollen die Minsker Vereinbarungen erfüllen.
Aber zurück zu den „roten Linien“: Das war die „rote Linie“, genauso wie Michail Saakaschwili mit seinem Befehl zum Überfall auf Südossetien, wo es unsere, ossetische und georgische Friedensstifter gab, eine andere „rote Linie“ verletzt hatte. Aber die georgischen Friedensstifter waren aus diesem Raum wenige Stunden vor diesem illegitimen und absolut provokanten Angriff abgezogen worden.
Russland hat seine Interessen, und man sollte das wissen. Russland hat seine „roten Linien“. Ich denke, dass ernsthafte Politiker in Europa verstehen, dass diese „roten Linien“ zu respektieren sind – genauso wie die „roten Linien“ während des Kalten Kriegs respektiert wurden.
Frage: Lassen Sie uns wieder über die Amerikaner sprechen. US-Medien berichteten, dass Russland im März 2017 den USA ein Angebot zum Ausbau der Beziehungen im „non-paper“-Format überreicht hätte, und dort gab es angeblich mehrere Punkte. Bleibt dieses Angebot immer noch in Kraft, wenn man den Ausbau des Sanktionsdrucks durch die amerikanische Seite und die Ereignisse des letzten Jahres in den russisch-amerikanischen Beziehungen bedenkt?
Sergej Lawrow: Solche Angebote bleiben immer in Kraft. Wir erlauben es uns nie, den „Gekränkten“ zu spielen, und versuchen immer, den Kontext des Vorgehens der Amerikaner oder auch anderer Kollegen zu verstehen. In diesem Fall verstehen wir sehr gut, dass es um eine ganze Kombination von Faktoren geht, die diese beispiellose Aggressivität des US-Establishments bedingen.
Der wichtigste Faktor besteht darin, dass die Demokraten sich immer noch nicht von ihrer Wahlniederlage erholen können, wobei sie so viele Kräfte in den Wahlkampf investiert und sich so viel Mühe gegeben hatten, um beispielsweise Bernie Sanders aus dem Wahlkampf auszuschließen, wovon sie jetzt nur sehr ungerne sprechen. Damit hatten sie mit dem Wahlprozess direkt manipuliert und die US-Verfassung sehr grob verletzt.
Der zweite Faktor ist, dass ein großer Teil der Republikanischen Partei ebenfalls nicht bereit war, einen Präsidenten zu bekommen, der dem System fremd ist, der nicht dem republikanischen Establishment angehört, die republikanischen „Primaries“ aber gewinnen konnte. Egal was man von Donald Trump hält, egal wie man sein für traditionelle Diplomaten und Politologen ziemlich ungewöhnliches Vorgehen einschätzt…
Frage: Er ist ja wie ein „Elefant im Porzellanladen“ – er zerstört alle internationalen Vereinbarungen.
Sergej Lawrow: Egal was man von seinen Handlungen hält, reden wir im Moment von den Gründen für die beispiellose Empörung von US-Politikern. Den Republikanern gefällt es auch nicht, dass an die Macht ein Mann gekommen ist, der bewiesen hat, dass das seit mehr als 100 Jahren bestehende System, bei dem zwei Parteien die „Spielregeln“ bestimmten (heute komme ich für vier Jahre an die Macht, dann für weitere vier Jahre, und du sollst vorerst „im Business“ bleiben, und dann bist du an der Reihe, und ich bleibe „im Business“) gescheitert ist, weil Donald Trump an die Macht gekommen ist. Aber er ist gekommen, nicht weil er ein Messias ist, sondern weil die Gesellschaft müde wurde von traditionellen „ereignislosen“ Machtwechseln.
Wenn wir uns die Struktur der US-Gesellschaft anschauen, sehen wir, dass es dort interessante demographische Prozesse gibt. Nicht umsonst sind mit „ethnischen Elementen“ gerade große Streitigkeiten darüber verbunden, ob der Rassismus, den es in der US-Politik offen oder latent schon immer gab, eine „Renaissance“ erlebt. Wie gesagt: Einer der Gründe ist die Wahlniederlage der Demokraten, die sich immer noch nicht erholt haben. Der zweite Grund ist das Scheitern des Systems, bei dem es nur zwei Parteien gab. Solche „liebevollen“ Prozeduren gab es im Laufe von vielen, vielen Wahlkampagnen. Das dritte Element von vielen anderen, das ich extra hervorhebe, ist das Gespür, dass die USA alle Prozesse in der Welt in Übereinstimmung mit ihren Interessen nicht mehr kontrollieren können. Das mag paradox klingen, aber das ist wirklich so. Das wird sich noch sehr lange spüren lassen.
Selbst während des Kalten Kriegs waren die USA viel stärker aus der Sicht ihres Anteils an der Weltwirtschaft, und natürlich spielten sie die absolut dominierende Rolle im globalen Devisensystem, als es noch keinen Euro gab und als noch niemand vom Yuan geschweige denn vom Rubel hörte. Und jetzt entfallen auf die USA nur 18 bis 20 Prozent des globalen BIP. Das ist lange nicht mehr die Hälfte (wie das früher war) und schon gar nicht der Anteil, den es nach dem Zweiten Weltkrieg gab.
Das Gespür, dass nicht alles auf Beschluss eines einzigen Zentrums geregelt werden kann, zeigt die antirussische Kampagne ebenfalls. Es gibt noch China und andere große Länder, von denen viele es vorziehen, die „Exzesse“ bei den Amerikanern zu „übersehen“. In unserem Fall ist das schwer zu tun, denn die ersten zwei Gründe – die Wahlniederlage der Demokraten und das Scheitern des Systems – führten sofort dazu, dass man auf uns „mit dem Finger zeigte“. Es gab gewisse Kontakte von gewissen Personen mit gewissen Vertretern des US-Establishments. Es gab Kontakte des russischen Botschafters in den USA, Sergej Kisljak, mit dem Sicherheitsberater Präsident Trumps, Michael Flynn. Das war absolut normal und hätte solche Reaktionen gar nicht hervorrufen sollen, besonders wenn man bedenkt, dass dies alles ein „Kinderspiel“ im Vergleich zu dem ist, was US-Diplomaten in Russland tun, und zu dem, dass sie versuchen, dem russischen Botschafter bzw. der russischen Botschaft in den USA aufzuzwingen.
Da es aber keine Reaktionen auf eine ganze Reihe von Zwangsmaßnahmen gegenüber dem russischen Botschafter gab, weil er sich geweigert hatte, anders vorzugehen, seine Unabhängigkeit aufzugeben und sich dafür zu entschuldigen, was es nie gegeben hatte – das alles führte dazu, dass sich die Amerikaner noch mehr aufregten. Und jetzt wirft man uns alle Sünden und Misserfolge der USA vor. Wir spielen jetzt die Rolle eines „Blitzableiters“ angesichts der Ereignisse in Mexiko oder in Frankreich…
Frage: Selbst auf Malta…
Sergej Lawrow: Egal wo – Russland, Russland, Russland… Das ist ganz leicht, um Propaganda zu machen. Die Wähler hören die einfachen Parolen von CNN: „Russland hat sich wieder eingemischt…“ Und wenn man das Tausend Mal wiederholt, wird man das irgendwann im Kopf behalten.
Frage: Es klingt so, als würden sie Präsident Trump rechtfertigen. Aber er wurde von niemandem gezwungen, das Gesetz über Waffenlieferungen an die Ukraine oder das Gesetz über Verschärfung der Sanktionen im August zu unterzeichnen.
Sergej Lawrow: Ich idealisiere niemanden. Man sollte aber verstehen, dass man als Präsident unter den Bedingungen, wenn gewisse Gesetzentwürfe mit 95 Prozent der Stimmen gebilligt werden, nicht daran denkt, worum es sich in diesem oder jenem Gesetz handelt, inwieweit realistisch, legitim oder auch anständig es ist, sondern daran, dass sein Veto jedenfalls überwunden wird.
Frage: Aber das Gesetz über die Waffenlieferungen an die Ukraine? Barack Obama hatte es nicht signiert.
Sergej Lawrow: Die Antwort ist dieselbe. Er weiß genau, dass der Kongress ihn zwingen wird, dies zu tun. Wenn sich Donald Trump weigern wird, das zu tun, was die absolut meisten Kongressmitglieder wollen (und dort gibt es diese Mehrheit), dann wird sein Veto überwunden. Und dann spielt die amerikanische innenpolitische Mentalität eine Rolle: Wenn ein Präsidentenveto überwunden wird, dann ist das eine Niederlage des Präsidenten – egal wie fair und gerechtfertigt dieses Veto ist und inwieweit es den langfristigen Interessen der USA entspricht. Das ist alles.
Als US-Präsident Donald Trump mich im Weißen Haus empfing, mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Hamburg sprach und sie danach telefonierten, sah ich keine Ausrichtung des US-Präsidenten Donald Trump auf jegliche Handlungen, die seine Wahlkampfmottos darüber untergruben, dass er gute Beziehungen zu Russland will. Doch so kam es. Eine Kombination aus mindestens drei Faktoren – Niederlage von Hillary Clinton, Nicht-System-Charakter des US-Präsidenten Donald Trump und die Notwendigkeit zu erklären, warum bei den USA nicht alles in der internationalen Arena klappt (obwohl noch etwas zusätzlich erwähnt werden kann) – bestimmt das, was jetzt vor sich geht. Mit der Einbeziehung der USA in diesen Prozess und wenn sie sehen, dass Russland ruhig, ohne Hysterie vorgeht und seinem Kurs folgt, seine Politik zur Regelung der Konflikte durchführt, auf den Märkten arbeitet, wo die Amerikaner uns verdrängen möchten, nervt das die Menschen, die die russlandfeindliche Tagesordnung förderten. Das ist traurig. Wir bekommen noch Hoffnung, dass in der letzten Zeit seitens einiger Kongressmitglieder, politischer Kreise in den USA, einiger Diplomaten zwar nicht laut, jedoch in vertrauensvollen Gesprächen die absolute Nichtnormalität einer solchen Situation und die Notwendigkeit ihrer Normalisierung zugegeben wird. Dabei sagen alle, dass nicht Recht jene hatten, die versuchten, uns in die Ecke zu treiben, man sieht, dass es nicht geschafft wird, uns zu isolieren. Sie sagen, dass sie verstehen, dass sie bei dieser Frage Hals über Kopf vorgingen, schlagen aber uns vor, einen Schritt zu machen, damit sie sagen können, dass Russland beiseite rückte. Diese Psychologie löst natürlich das Gefühl aus, dass die Großmacht-Mentalität den USA nicht hilft. Sie schlagen vor, etwas in Sachen Ukraine zu machen.
Frage: „Beiseite rücken“ heißt zum Beispiel, die Kontrolle über die Handlungen der Separatisten im Donezbecken zu stärken und sie dazu zu zwingen, nicht zu schießen, die Waffen zurückzuziehen und alle Basispunkte der Minsker Abkommen einzuhalten?
Sergej Lawrow: Wir haben nichts dagegen, wenn alle die Waffen zurückziehen, nicht schießen, jedoch nicht nur alleine die Volksrepubliken, sondern auch die ukrainische Armee. Es gibt sehr viele Beweise ihrer Kollegen, darunter von BBC, anderer Medien, die selbst in diesem Jahr an der Trennungslinie waren, dass die Bataillone Asow u.a. nicht von jemandem außer ihrer Kommandeure kontrolliert werden. Die ukrainische Armee und die Streitkräfte der Ukraine haben keinen Einfluss auf sie. Ein Beispiel dafür ist die Blockade, die sie erklärten und die vom Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko verurteilt wurde. Er schwor öffentlich, diese Blockade zu beseitigen (sie widerspricht vollständig den Minsker Vereinbarungen), schickte irgendwelche Kräfte zur Beseitigung dieser Blockade, seine Versuche scheiterten. Danach beschloss er, sich um 180 Grad zu drehen und seinen Erlass zu verabschieden, indem diese Blockade legalisiert wird. Deswegen soll man mit dem Schießen aufhören, Truppen und schwere Waffen abziehen, doch das von beiden Seiten machen.
Ich sagte auf der Pressekonferenz, dass das Streben, die ganze geopolitische Palette an die Ukraine zu bringen, indem wir aufgerufen werden, irgendein Bataillon der Volksrepublik Donezk bzw. Lugansk abzuziehen, und sie dann die Möglichkeit bekommen, die Sanktionen zu schwächen – das ist unwürdig für Menschen, die auf solchen hohen Posten solche Sachen sagen.
Frage: Werden im Donezbecken in diesem Jahr Friedenssoldaten erscheinen?
Sergej Lawrow: Das hängt nicht von uns ab. Hätte das von uns abgehangen, wären sie dort bereits seit langem erschienen.
Frage: Was hindert jetzt daran und ist Russland zu irgendwelchen Zugeständnissen bereit, um das zu beseitigen, was hindert?
Sergej Lawrow: Nur eins hindert – niemand will beginnen, unsere Vorschläge konkret zu besprechen.
Frage: Die Amerikaner haben wohl ihre Änderungen vorgeschlagen. Werden sie besprochen?
Sergej Lawrow: Uns wurden keine Änderungen vorgeschlagen, und wir wollen gerade Änderungen. Ich sprach mit dem Außenminister der Ukraine, Pawlo Klimkin, unseren französischen und deutschen Kollegen. Sie sagen, dass es ein sehr richtiger und guter Schritt ist, doch man braucht noch etwas. Gut, wollen wir uns setzen, und sie sagen uns, was und wie, wir werden sehen, inwieweit das den Zielen der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen entspricht. Jedenfalls ist im Entwurf der Resolution festgeschrieben, dass wir uns an das Prinzip des Maßnahmenkomplexes, der die Abstimmung aller Handlungen zwischen Kiew, Donezk und Lugansk vorsehen soll, halten sollen. Doch niemand setzt sich. Die Ideen, die außerhalb Kontextes der Arbeit an unserem Resolutionsentwurf vorgelegt wurden, gehen in eine andere Richtung. Unser Entwurf bedeutet, dass die Minsker Vereinbarungen unantastbar sind, ein Teil der Vereinbarungen sieht die Beobachtermission der OSZE vor, weil sie nicht immer unter sicheren Bedingungen arbeitet, sie soll von bewaffneten UN-Leibwächtern überwacht werden. Das ist die Logik der Rechtshoheit der Minsker Vereinbarungen. Uns wird gesagt, dass da wir das Konzept der Friedenstruppen annehmen, möge man sie für alles verantwortlich machen, was auf der rechten Seite der Trennungslinie passiert, mögen sie die Sicherheit bis zur Grenze zu Russland gewährleisten.
Frage: Kling das nicht nüchtern?
Sergej Lawrow: Nüchtern? Meinen Sie so?
Frage: UN-Friedenstruppen sind doch die Kraft, der man die Sicherheit in der Region anvertrauen kann.
Sergej Lawrow: Die Minsker Abkommen bedeuten, dass zunächst die Amnestie, das Inkrafttreten des Gesetzes über Sonderstatus, seine Aufnahme in die Verfassung und die anschließende Durchführung der Wahlen stattfinden sollen. Die Menschen, die jetzt mit der illegalen Blockaden erstickt werden, denen Kabeln, Mobilverbindung abgeschnitten werden, und die von der Außenwelt isoliert werden, zumindest seitens des ukrainischen Staates, sollen wissen, dass sie keine Kriegsverbrecher, Terroristen sind, wie sie in Kiew genannt wurden, indem Antiterroroperation erklärt wurde, obwohl keiner dieser Regionen jemanden angegriffen hat. Ich mache Sie darauf aufmerksam – es waren gerade sie, die angegriffen wurden. Damit diese Menschen wissen, dass sie in Sicherheit sind und die Amnestie alles deckt, was auf beiden Seiten war. Zudem damit sie wissen, dass sie einen Status haben, der (das ist wörtlich in Minsker Abkommen geschrieben) die russische Sprache, Kultur, spezielle Verbindungen zu Russland unabhängig davon garantiert, was mit Kiewer Behörden sein wird, dass sie eigene Stimme bei der Ernennung der Richter, Staatsanwälte haben und eigene Volksmiliz haben werden. Das sind ungefähr die Hauptpunkte. Das ist nicht so schwierig. Zumal wenn ich mich nicht irre, schickten rund 20 Regionen der Ukraine bereits vor anderthalb Jahren einen offiziellen Vorschlag nach Kiew, Verhandlungen über Dezentralisierung zu beginnen, damit sie Vollmachten bekommen, spezielle Abkommen mit dem Zentrum abschließen. Also Föderalisierung im normalen Sinne. Man kann das Dezentralisierung nennen – alle haben Angst vor dem Wort „Föderalisierung“. Doch wenn uns gesagt wird, dass sie das alles machen – Amnestie, ein Sonderstatus, Wahlen, doch zunächst soll man den internationalen Kräften das ganze dieses Gebiet übergeben und dass sie dort dominieren werden – so wird es nicht gehen. Das ist eine rote Linie und alle verstehen das sehr gut und machen solche Vorschläge mit sehr unguten Zielen, beim Thema Friedenstruppen zu spekulieren.
Die Minsker Vereinbarungen wurden vom UN-Sicherheitsrat gebilligt. Dort heißt es direkt, dass alles, was gemacht werden soll, zwischen Kiew und so genannten einzelnen Regionen der Gebiete Donezk und Lugansk abgestimmt werden soll. Wir vertrauen der UNO, OSZE, die eine gute Arbeit unter ernsthaften Bedingungen macht. Doch man kann nicht einfach einen politischen Teil der Minsker Vereinbarungen wegnehmen. Das Versprechen darüber, dass sie danach erfüllt werden, wenn die militärische UN-Administration das ganze Territorium unter Kontrolle nimmt, ist zweifelhaft. Falls die Autoren dieser Idee Donezk und Lugansk davon überreden werden – bitte schön. Gerade das ist von Minsker Vereinbarungen vorgesehen und vom UN-Sicherheitsrat gebilligt. Doch ich denke, dass jene, die ein solches Konzept fördern, diese zwei Regionen einfach ersticken wollen.
Ich erinnere an eine interessante Sache. In Minsker Abkommen heißt es – Amnestie, Sonderstatus und Wahlen. Gerade solche Reihenfolge. Bei der Arbeit der Kontaktgruppe, Normandie-Formats sagt die ukrainische Seite – wollen wir das umgekehrt machen – zunächst die vollständige Sicherheit gewährleisten, darunter der Ausgang an die Grenze und dann alles lösen. Wir erklären ihnen die ganzen Jahre, dass die vollständige Kontrolle der Ukraine über diesen Teil der Grenze an die Russische Föderation der letzte Punkt der Minsker Abkommen ist. Zunächst soll alles stattfinden, was wir jetzt besprachen. Dann sagen sie darüber, wie man einen Sonderstatus bereitstellen kann, wenn sie nicht wissen, wenn diese Menschen bei den Lokalwahlen wählen werden. Wir fragen sie, ob sie sagen wollen, dass die den Sonderstatus nur jenen geben, die ihnen passen. Sie sagen, ja, sie wollen gerade das. Es ist nicht sehr diplomatisch, solche Sachen zu machen, wenn sich der Präsident zu einer ganz anderen Reihenfolge verpflichtete. Allerdings stimmten wir einem Kompromiss zu, der jetzt die Steinmeier-Formel heißt, die bedeutet, dass das Sonderstatus-Gesetz auf zeitweiliger Grundlage am Wahltag und auf ständiger Grundlage in Kraft treten wird , wenn die OSZE, die die Wahlen beobachten wird, einen endgültigen Bericht veröffentlichen wird. Das nimmt gewöhnlich einige Monate in Anspruch. Die Ukrainer stimmten zu. Das wurde bereits im Oktober 2015 in Paris von Staats- und Regierungschefs vereinbart. Seit einem Jahr wurde versucht, diese Formel auf Papier zu legen, die Ukrainer weigerten sich. 2016 traf man sich wieder in Berlin. Wir fragten, warum es keine Bewegung bezüglich Steinmeier-Formel gibt, sie sagten, sie wissen nicht, wie der Inhalt des Berichts sein wird.
Gut, dann wollen wir schreiben, dass das Sonderstatus-Gesetz zeitweilig am Wahltag und ständig am Tag der Veröffentlichung des Berichts unter Bedingung in Kraft tritt, dass der Bericht die Wahlen als frei und gerecht bezeichnen wird. Das wurde vereinbart. Es ist mehr als ein Jahr vergangen. Die Ukrainer wollen bis heute diese Formel nicht auf Papier legen. Das ist eines der Beispiele. Ein weiteres Beispiel ist ebenfalls sehr auffallend. Während das frühere Beispiel aus dem Bereich Politik ist, ist dieses Beispiel aus dem Sicherheitsbereich. In einem Teil der Minsker Abkommen wurde in Berlin im Oktober 2016 vereinbart, schwere Waffen abzuziehen, keine weitere Vorfälle ihrer Rückkehr an die Trennungslinie zuzulassen. Es wurden drei Punkte vereinbart – Solotoje, Pokrowskoje und die Ortschaft Luganskaja. In Pokrowskoje und Solotoje wurde alles schnell gemacht, in der Ortschaft Luganskaja wird das nicht geschafft. Die ukrainische Seite sagt, dass sie sieben Tage Stille braucht, bevor dort schwere Waffen abgezogen werden. Die OSZE stellte seit der Zeit, darunter öffentlich, mehr als Dutzend Perioden fest, wenn die Stille mehr als sieben Tage dauerte. Die Ukrainer sagen, dass es unsere Statistik ist, und sie in ihrer Statistik ein Paar Schüsse fixierten. Dass es einfach Profanation ist, ist auch Deutschen, Franzosen und der OSZE klar. Doch wegen des politischen Engagements können unsere westlichen Partner leider nicht öffentlich die Kiewer Behörden kritisieren, sie dazu zwingen, das zu erfüllen, was sie den Anführern versprachen, darunter Frankreichs und Deutschlands. Das ist traurig. Ich verstehe, dass wenn man auf irgendeinen Politiker setzt, setzt man auf die Behörden, die in Kiew nach dem Sturz kamen, dann ist es wohl sehr schwer, von dieser Position ohne Verlust des Gesichtes abzuweichen. Wir verstehen das und machen keine Skandale wegen der vollständigen Sabotage der Minsker Abkommen durch Kiew, werden aber ruhig das anstreben, was wir vereinbarten. Es gibt zu viele Vereinbarungen, die mit viel Mühe erreicht wurden und jetzt auf den Prüfstein gelegt wurden – die Minsker Abkommen, Iran-Vereinbarungen u.a.
Frage: Die Oberste Rada der Ukraine verabschiedete am Donnerstag das so genannte Gesetz über die Reintegration von Donbass. Die europäischen Hauptstädte reagierten darauf neutral, Moskau kritisierte es stark. Warum? Wie können praktische Folgen der Verabschiedung dieses Gesetzes sein?
Sergej Lawrow: Das Reintegration-Gesetz durchkreuzt aus juridischer Sicht die Minsker Abkommen, die vom UN-Sicherheitsrat in der Resolution einstimmig gebilligt wurden, die einige Tage nach dem Treffen von vier Leitern des Normandie-Formats in Minsk verabschiedet wurde. Für uns ist das offensichtlich.
Was die Reaktion betrifft, sagte ich bereits mehrmals, dass wir keine Zweifel daran haben, dass Europa und Washington sehr gut verstehen, welches Spiel die jetzigen Kiewer Behörden spielen und wie sie ihre Verpflichtungen zu Minsker Abkommen verschweigen. Hoffentlich wird das in privaten, geschlossenen Kontakten Kiew gesagt – aus Berlin, Paris, Washington und anderen Hauptstädten. Doch mit dem Schutz dieser Macht, die absolut verhandlungsunfähig ist, kann der Westen nicht mehr öffentlich das kritisieren, was seine Schützlinge machen. Das ist traurig. Es ist klar, dass das mit einem falsch gedeuteten Gefühl des eigenen Ansehens und Rufs verbunden ist, doch so ist das Leben. Wir werden das anstreben, dass alles, was in Minsker Abkommen festgeschrieben ist, erfüllt wird. Die Versuche, die Diskussionen in die Seite zu schieben, das Streben, neue Tagesordnungen, neue Methoden und Formen zu finden, sind inakzeptabel. Wir werden ruhig und fest das Paket verteidigen, zu dem sich Präsident Petro Poroschenko und die Anführer von Donezk und Lugansk verpflichteten.
Frage: Meine letzte Frage zum Iran, den Sie bereits erwähnten. Kann für Russland im gewissen Sinne die Torpedierung des Iran-Deals durch die Amerikaner vorteilhaft sein? Die Amerikaner werden dann isoliert und odiös aussehen, der Iran wird bei einigen Fragen verhandlungsbereit sein.
Sergej Lawrow: Solche Meinungen gibt es, aber nicht in der russischen Führung. Viele Politologen fragen, warum wir uns Sorgen machen und sagen, dass je schlimmer, desto besser ist – wollen die USA ihre Verhandlungsunfähigkeit, ihre zerstörerische Rolle in globalen Angelegenheiten ob im Iran oder in Syrien beweisen, wo jetzt ebenfalls einseitige Handlungen unternommen werden, die bereits die Türkei empörten.
Frage: Und der Iran wird auch verhandlungsbereiter sein.
Sergej Lawrow: Es geht nicht darum. Falls das Gewebe der rechtlichen Vereinbarungen zerstört wird, die zwischen den führenden Ländern in einem Konflikt abgestimmt wurden, wird es Chaos geben. Das wird sehr traurig sein. Ich halte das für nicht annehmbar, ob es um den Iran, Syrien, Libyen, Jemen, Koreanische Halbinsel geht, wo es ebenfalls eine Vereinbarung 2005 gab, wo eindeutig fixiert wurde, was von Nordkorea und anderen erforderlich ist. Nach einigen Wochen nachdem alles festgeschrieben wurde, entdeckten die Amerikaner plötzlich ein altes Sujet mit irgendeinem Konto in Macau und beschlagnahmten nordkoreanische Konten. Man kann endlos darüber streiten, inwieweit das gerecht ist, inwieweit Nordkorea Recht hatte, inwieweit die USA nicht Recht hatten. Doch der Fakt bleibt. Es gab eine Vereinbarung, es wurde gesagt, dass seit diesem Zeitpunkt mit der Konfrontation und provokativen Handlungen aufgehört werden soll. Es wurde nicht geschafft. Das größte Problem ist jetzt die Verhandlungsfähigkeit.
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