22. Dezember 2024

Rede des russischen Außenministers Sergej Lawrow vor dem UN-Sicherheitsrat

Sehr geehrter Herr Präsident,

Sehr geehrter Herr Generalsekretär,

Die Russische Föderation begrüßt die Initiative des Präsidenten der Republik Kasachstan, Nursultan Nasarbajew, zur Durchführung der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Thema „Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen: Ausbau der Vertrauensmaßnahmen“.

Das ist besonders aktuell, weil es am 1. Juli dieses Jahres 50 Jahre seit der Freigabe des Atomwaffensperrvertrags zur Unterzeichnung sind – der Stütze des Internationalen Systems der nuklearen Nichtverbreitung.

Wir sind davon überzeugt, dass die Risiken und Bedrohungen in diesem Bereich, mit denen wir heute konfrontieren, gerade auf der Basis dieses Vertrags bei einem ausgewogenen Herangehen zu drei seinen Bestandteilen beseitigt werden sollen – Nichtverbreitung, Abrüstung und friedliche Nutzung von Atomenergie.

Leider kommen wir zum 50. Jahrestag mit ernsthaften Widersprüchen, die den aktuellen Übersichtszyklus zum Vertrag, der bei der Übersichtskonferenz 2020 zu Ende gehen soll, erschweren können.

Zu den Hauptaufgaben des Zyklus gehören die Bestätigung der Anhänglichkeit an die Ziele und Verpflichtungen gemäß dem Vertrag sowie Festigung des Aktionsplans, der bei der Übersichtskonferenz 2010 angenommen wurde. Dazu müssen alle Seiten den fehlenden Wunsch loswerden, einander zu hören, der zu eindeutig bei der Übersichtskonferenz 2015 zu erkennen war.

Damals dominierte unter anderem eine illusionsreiche und gefährliche Tendenz zum Zwingen der Atommächte zum Verzicht auf vorhandene Atomarsenale – ohne Berücksichtigung ihrer Interessen im Sicherheitsbereich und strategischer Realien. Solches Herangehen führte zu einer forcierten Entwicklung des zur Unterzeichnung freigegebenen Atomwaffenverbotsvertrags.

Russland hat es nicht vor, sich dem Atomwaffenverbotsvertrag anzuschließen. Wir gehen davon aus, dass die vollständige Beseitigung von Atomwaffen nur im Kontext der allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter Bedingungen der gleichen und unteilbaren Sicherheit für alle, darunter Besitzer von Atomwaffen, wie das der Atomwaffensperrvertrag vorsieht, möglich ist.

Die Punkte des zur Unterzeichnung freigegebenen Atomwaffenverbotsvertrags sind weit von diesen Prinzipien. Darin wird die Notwendigkeit der Berücksichtigung aller Faktoren ignoriert, die heute die strategische Stabilität beeinflussen. Zudem provoziert er tiefe Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft und kann destabilisierenden Einfluss auf das Nichtverbreitungsregime ausüben.

Ich will hervorheben, dass wir die Aufgabe des Aufbaus einer atomfreien Welt teilen. Doch dieses Ziel soll nicht mit einseitigen Methoden erreicht werden, auf denen der Atomwaffenverbotsvertrag ruht.

Die Aussichten des aktuellen Übersichtszyklus stellen auch das Fehlen der Klarheit in Bezug auf die Schaffung einer Zone im Nahen Osten infrage, die frei von nuklearen und allen anderen Typen von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel sein wird. Wir sind davon überzeugt, dass die Einberufung der Konferenz für eine Zone, die frei von nuklearen und allen anderen Typen von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel frei sein wird, aktuell bleibt. Unsererseits werden wir die Förderung dieses Prozesses fortsetzen. Die Grundlage des Erfolgs besteht unseres Erachtens in der Besprechung dieser Frage in einem breiten Kontext der regionalen Sicherheit. Konkrete russische Positionen dazu sind allen interessierten Seiten gut bekannt und bleiben weiter in Kraft.

Ein weiteres wichtiges Problem – die Situation mit dem Kernwaffenteststopp-Vertrag. Als prinzipieller Anhänger dieses Vertrags rufen wir alle Seiten, von denen sein Inkrafttreten abhängt, dazu auf, seine Unterzeichnung und Ratifizierung zu vollenden, wie das von einigen entsprechenden Ländern mehrmals versprochen wurde. Dabei ist äußerst wichtig, die Fortsetzung des Moratoriums für jede Atomexplosionen zu gewährleisten.

Zu den vorrangigen konkreten Schritten zur Aufrechterhaltung des Regimes der Nichtverbreitung auf der jetzigen Etappe gehört die Vereinigung der Anstrengungen im Interesse der Gewährleistung der nachhaltigen Umsetzung der Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans zur Regelung der Situation um das iranische Atomprogramm. Der UN-Sicherheitsrat unterstützte den Umfassenden Aktionsplan und verabschiedete einstimmig die entsprechende Resolution 2231. Das heißt, dass er die Verantwortung für seine Erfüllung trägt. Der Iran hält sich unausweichlich an seine Verpflichtungen, was die IAEO regelmäßig bestätigt. Die überwiegende Mehrheit der internationalen Gemeinschaft gibt zu, dass der Umfassende Aktionsplan einen zu spürenden Beitrag zur Festigung des Regimes der Nichtverbreitung und Aufrechterhaltung des Friedens und Sicherheit leistet. Man darf nicht zugunsten der politischen Konjunktur einzelner Länder auf ein reales Erreichen der multilateralen Diplomatie verzichten, das das Ergebnis der Anstrengungen nicht nur der Teilnehmer der Vereinbarung, sondern auch vieler anderer Länder, die sie unterstützten, darunter Kasachstan, wurde.

Es ist offensichtlich, dass das Scheitern des Gemeinsamen Aktionsplans – besonders wenn das auf Schuld eines der Teilnehmer der 5+1-Gruppe passieren sollte – ein beunruhigendes Signal für die ganze Architektur der internationalen Sicherheit wäre, darunter für die Perspektiven der Regelung des Atomproblems auf der Halbinsel Korea. Wir bestätigen die Aktualität des von Russland und China initiierten „Fahrplans“ zur friedlichen Regelung dieses Problems.

Sehr beunruhigend ist die immer wachsende Gefahr des „chemischen“ Terrorismus in der Nahost-Region, insbesondere im Irak und in Syrien. Die dortigen Kämpfer setzen nicht nur toxische Chemikalien ein, sondern auch verfügen über eigene Möglichkeiten zur Produktion von Kampfgiftstoffen und haben den Zugang zu Präkursoren.

Man sollte auch die durchaus realen Risiken der Verbreitung des „chemischen“ Terrorismus außerhalb des Nahen Ostens berücksichtigen, besonders wenn man bedenkt, dass es unter den Extremisten viele Ausländer gibt. Die nach Syrien und in den Irak aus anderen Ländern gekommenen Terroristen haben inzwischen praktische Erfahrungen bei der Produktion von Chemiewaffen.

Seit drei Jahren plädierten wir öfter für eine Resolution des UN-Sicherheitsrats oder mindestens für eine Erklärung seines Vorsitzenden, wobei er konkrete Aktionen des „chemischen“ Terrorismus in Syrien und im Irak verurteilen würde. Aber leider wurden unsere Aufrufe stets von einigen unseren westlichen Kollegen zurückgewiesen, die es vorziehen, die Verwendung und sogar die Produktion von Chemiewaffen durch die Terroristen zu „übersehen2, und mit unbegründeten Vorwürfen gegen Damaskus auftreten.

Wir halten es für unzulässig, mit den Aufgaben zur Bekämpfung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu spekulieren, um eigene geopolitische Ziele zu erreichen, wie das vor 15 Jahren mit der Intervention in den Irak unter einem aus dem Finger gesogenen Vorwand passierte.

In letzter Zeit sahen wir viele Versuche, mit der Organisation zum Chemiewaffenverbot (OPCW) und des Gemeinsamen Ermittlungsmechanismus (der seine Arbeit inzwischen beendet hat) zu manipulieren. Aus unserer Sicht ist das bedauernswert. Wir bestätigen unsere Initiative zur Bildung eines neuen Mechanismus für die Ermittlung der Anwendung von Chemiewaffen in Syrien, der sich bei seiner Arbeit auf die Prinzipien stützen würde, die den Normen der Chemiewaffenkonvention entsprechen.

Wir rufen alle Staaten auf, ihre Verpflichtungen im Sinne der noch 2004 verabschiedeten Resolution 1540 des UN-Sicherheitsrats zu erfüllen, der zufolge alle Staaten effiziente Maßnahmen zu ergreifen haben, damit nichtstaatliche Subjekte, insbesondere Terroristen, Massenvernichtungswaffen und damit verbundene Stoffe nicht in ihre Hände bekommen. Die Aktualität der Resolution 1540 wurde vom UN-Sicherheitsrat nach einer allumfassenden Analyse ihrer Erfüllung abermals bestätigt. Der Rat sollte auf jegliche Verletzungen der Resolution 1540 scharf reagieren, egal ob in Syrien, im Irak oder sonst wo, vor allem darauf, dass nichtstaatliche Subjekte Hilfe beim Zugang zu Massenvernichtungswaffen bekommen.

Russland unterstützt die Bemühungen um die Festigung von nationalen, regionalen und subregionalen Potenzialen zwecks Lösung dieser Aufgaben. Vor kurzem fand in Kaliningrad unter der Ägide der OSZE und der UN-Verwaltung für Abrüstung ein spezielles Seminar statt, das praktischen Aspekten der Umsetzung der Resolution 1540 gewidmet war; und 2017 organisierten wir als Vorsitzender des OSZE-Forums für Kooperation im Sicherheitsbereich eine spezielle Sitzung zu diesem Thema.

Wir begrüßen auch die Billigung eines Beschlusses des OPCW-Exekutivrats zur Unterbindung von mit der Chemiewaffenanwendung durch nichtstaatliche Subjekte verbundenen Gefahren im Oktober 2017. Wir halten diesen Beschluss für einen Schritt in die richtige Richtung.

Zwecks Förderung der Effizienz der multilateralen Kooperation bei der Vorbeugung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und den Gefahren, dass sie in die Hände von terroristischen Gruppierungen und anderen nichtstaatlichen Subjekten geraten, plädierte Russland für die Entwicklung eines neuen juristisch verpflichtenden Instruments, nämlich einer Internationalen Konvention zur Bekämpfung von Akten des chemischen und biologischen Terrorismus. Einen Entwurf dieser Konvention präsentierten wir auf einer Konferenz für Abrüstung in Genf. Wir rufen zum baldmöglichsten Start der entsprechenden Verhandlungen auf.

Herr Vorsitzender,

Herr Präsident,

Herr Generalsekretär,

die aktuelle Situation im Bereich der Nichtweiterverbreitung und Abrüstung verlangt eine gemeinsame Suche nach Wegen zur Überwindung von Kontroversen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von etablierten Kooperationsmechanismen und bei der weiteren Festigung der Völkerrechtsbasis unter Berücksichtigung der Interessen aller Staaten.

Wir hoffen, dass die heutige Sitzung des UN-Sicherheitsrats sowie die Initiative des Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, zur Lösung dieser Aufgaben beitragen werden.

Quelle:

Außenministerium der Russischen Föderation

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