Reform der Arbeitsmedizin nicht weiter hinausschieben
Seit das Gesetz zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 1994 in Kraft trat, hat sich hierzulande so manches auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin getan. Gab es Arbeitsmediziner anfangs eigentlich nur in wenigen großen Unternehmen, so bestehen heute allein in der Privatwirtschaft acht arbeitsmedizinische Dienste. Seit 2004 gibt es einen solchen auch im öffentlichen Sektor.
Seither stieg jedoch nicht allein die Zahl an Arbeitsmedizinern – ob Arbeits- oder Kontrollärzte –, auch deren Tätigkeitsbereich hat sich zusehends geändert.
Zuständig ist er auch für das Aufstellen von Gutachten, ob ein Beschäftigter in Lage ist, seinen letzten Posten weiter auszuüben oder nicht, ob persönliche Sonderregelungen, die von behandelnden Ärzten ausgestellt werden, vom Betrieb zu akzeptieren sind oder abgelehnt werden können.
Auch die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes und dessen Umfeld gehören zum Aufgabenbereich des Arbeitsmediziners, wobei er sowohl den Beschäftigten im Betrieb wie auch den Gewerkschaften und dem Patronat mit Rat und Tat beizustehen hat.
Einfach ist diese Aufgabe nicht, da in vielen Betrieben Theorie und Praxis zweierlei Paar Schuhe sind. Vor allem deshalb, weil sich zahlreiche Unternehmer nach wie vor recht schwer tun, in die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu investieren. Die Folge davon ist eine anhaltend zu hohe Unfallfrequenz, die eindeutig zeigt, dass, es – auch wenn auf Drängen der Gewerkschaften so manche Gefahrenquellen beseitigt werden konnten – in punkto Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz noch zahlreiche Defizite gibt.
Hinzu kommt, dass aufgrund der zunehmenden Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitszeitzeitregelung die Faktoren Druck, Stress und Arbeitsintensität in den letzten Jahren derart zugenommen haben, dass Erschöpfung und psychische Erkrankungen immer häufiger die Ursache von Krankschreibungen sind. Neue Krankmacher, bei denen die Eingreifmöglichkeiten des Arbeitsmediziners unbedingt ausgebaut werden müssten.
Das gleiche gilt übrigens auch für die Anerkennung von Berufskrankheiten.
So kann beispielsweise nicht weiter geduldet werden, dass Luxemburg, im Gegensatz zu unseren drei Nachbarländern, weiter zu den Ländern gehört, in denen Rückenerkrankungen nicht als Berufskrankheit anerkannt werden.
Die Arbeitsmedizin muss reorganisiert werden, wobei das Schaffen einer vom Patronat unabhängigen Arbeitsmedizin ein bedeutsamer Schritt wäre. Denn wie sollen Arbeitsmediziner jederzeit zum Wohle der arbeitenden Menschen, also vielfach gegen Patronatsinteressen entscheiden, wenn sie, wie hierzulande üblich, in den Gehaltslisten großer Unternehmer stehen oder ihr Gehalt von Patronatsorganisationen beziehen?
Die Reform der Arbeitsmedizin sollte also nicht auf die lange Bank geschoben werden.
gilbert simonelli
Aus: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek