Friedensbewegung kritisiert Koalitionsvertrag
Atomare Abrüstung spielt im Koalitionsvertrag keine ernstzunehmende Rolle. Stattdessen halten Union und SPD an den US-Atomwaffen in Deutschland fest. Das kritisieren die Friedensorganisationen ICAN Deutschland und IPPNW Deutschland, sowie die Kampagne »Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt«. In einer brandgefährlichen weltpolitischen Situation fehle der SPD und CDU/CSU der Mut, das internationale Atomwaffenverbot zu unterschreiben.
Mit Blick auf die neue US-Atomwaffendoktrin hatte Außenminister Sigmar Gabriel erklärt, dass eine neue Abrüstungsinitiative notwendig sei. »Aber die Große Koalition verweigert beharrlich den Beitritt zum UN-Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen. Angesichts der Erosion bestehender Abrüstungsverträge ist diese Haltung vollkommen verantwortungslos«, sagt Xanthe Hall von ICAN Deutschland. »Gleichzeitig duldet die neue Koalition weiterhin die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland, die sogar modernisiert werden sollen. Die Bundesrepublik ist so direkt an der weltweiten Aufrüstungsspirale beteiligt.«
Laut Medienmeldungen steht im Koalitionsvertrag: »Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der Nato eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.« Weiter heißt es: »Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.« Roland Blach von der Kampagne »Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt« kommentiert: »Mit dieser Formulierung wird der Abzug der gefährlichen Massenvernichtungswaffen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.«
Martin Schulz hatte im Wahlkampf versprochen, sich für den Abzug der Atomwaffen einzusetzen. »Die SPD muss um ihre Zukunft bangen, wenn sie die Friedens- und Abrüstungspolitik auf dem Altar der Großen Koalition opfert. Man kann nur hoffen, dass die SPD-Mitglieder diesen Vertrag ablehnen,« sagt Sascha Hach, ICAN-Vorstand.
Erst kürzlich haben führende Atomwissenschaftler die »Weltuntergangsuhr« auf zwei Minuten vor 12 vorgestellt und ihre Entscheidung mit den Spannungen zwischen atomar bewaffneten Staaten und dem erhöhten Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen begründet. Die Forscher mahnten, dass die Welt seit Jahrzehnten nicht mehr so kurz vor dem Untergang gestanden habe. Die deutschen ICAN-Partner fordern aufgrund der Gefahr für den Weltfrieden den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland sowie den Beitritt zum Vertrag über das Atomwaffenverbot.
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW kritisiert zudem die Vorfestlegung auf die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen im Entwurf des Koalitionsvertrags. Die Prüfung der völkerrechtlichen, verfassungsrechtlichen und ethischen Fragen zu Anschaffung, Entwicklung und Einsatz von Kampfdrohnen soll erst später erfolgen. Heron-TP-Kampfdrohnen der Firma Israel Aeronautics Industry (IAI) sollen laut dem Koalitionsvertrag als »Übergangslösung« geleast werden bis zur Fertigstellung einer Euro-Drohne »im Rahmen der europäischen Verteidigungsunion«. Ob die Euro-Drohne bewaffnungsfähig werden soll, ist im Koalitionsvertrag nicht festgelegt.
Zu begrüßen ist, dass der Koalitionsvertrag gegenüber dem Sondierungspapier einige Verbesserungen enthält, so etwa die Ablehnung »völkerrechtswidriger Tötungen, … auch durch Drohnen«. Die IPPNW fordert die neue Bundesregierung auf, die lange versprochene sorgfältige Prüfung dieses umstrittenen Waffensystems in Zusammenarbeit mit deutschen und internationalen Whistleblowern, Opfern, WissenschaftlerInnen, Drohnenpersonal aus verschiedenen Ländern, JuristInnen, ÄrztInnen, NGOs und UNO zeitnah durchzuführen.
Ein Vertrag für das Leasing von sieben Heron-TP-Kampfdrohnen wurde bereits in der 18. Legislaturperiode ausgehandelt. Im Juni 2017 hatte die SPD-Fraktion die Unterzeichnung des Kampfdrohnen-Leasingvertrags jedoch abgelehnt. Der damalige verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, erklärte in einer Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion vom 27. Juni 2017, dass die Fraktion den Vertrag nicht unterzeichnen werde, weil die »gesonderte Herstellung der Bewaffnungsfähigkeit« ein Teil des Vertrags sei. Die im Vertrag enthaltenen technischen und Sicherheitsdetails unterlagen dem israelischen Staatsgeheimnis und sollten dem Bundestag nie vorgelegt werden. »In keinem unserer derzeit 17 Auslandseinsätze ist der Einsatz von Kampfdrohnen legitimiert«, sagte Arnold damals. »Er ist auch zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten nicht notwendig.«
Laut dem neuen Koalitionsvertrag wird der Deutsche Bundestag über eine Beschaffung von Bewaffnung erst »nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden. Hierzu wird die Bundesregierung eine gesonderte Vorlage erstellen und dem Bundestag zuleiten. Vor einer zukünftigen Beschaffung von bewaffnungsfertigen Drohnen sind die konzeptionellen Grundlagen für deren Einsatz zu schaffen«.
Die ärztliche Friedensorganisation fordert, dass die neue Bundesregierung sich auf der Grundlage des neuen Koalitionsvertrags für eine europäische Sicherheitsarchitektur ohne waffenfähige Drohnen und stattdessen für dringend notwendige internationale Rüstungskontrolle dieses gefährlichen Waffensystems einsetzt.