Kommunistische Plattform zur Lage der Linkspartei
Erste Überlegungen des Bundessprecherrates zum Leipziger Parteitag
Zunächst gratulieren wir Katja Kipping und Bernd Riexinger zur Wiederwahl als Parteivorsitzende und ebenso den gewählten Mitgliedern des Geschäftsführenden Parteivorstandes und den gewählten weiteren Mitgliedern des Parteivorstandes. Wir verhehlen nicht unsere besondere Freude über die Wiederwahl von Johanna Scheringer-Wright und Arne Brix sowie über die Neuwahl von Jochem Visser. Wir danken Thomas Hecker für seine Arbeit in der Antragskommission, Friedrich Rabe für sein Wirken im Arbeitspräsidium und den Genossinnen und Genossen aus Sachsen, besonders Ulrike Bretschneider, für die Gewährleistung des KPF-Standes im Tagungsgebäude.
Der Leipziger Parteitag war einer der verschiedensten Widersprüche. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind uns folgende erste Überlegungen:
1. Von der großen Mehrheit der Partei wird der schwelende, vielschichtige Konflikt zwischen Partei- und Fraktionsspitze abgelehnt und als den Zusammenhalt der LINKEN elementar gefährdend bewertet. Das zeigte sich in all den von uns durchgeführten und besuchten Veranstaltungen (mindestens 40) seit der Bundestagswahl 2017. Diese eindeutige Stimmung spiegelte der Parteitag wider. Das zeigte sich nicht zuletzt im Wahlergebnis von Katja Kipping; das zeigte sich in der sachlichen Behandlung des als Kompromisspapier aufzufassenden Leitantrages »DIE LINKE – Partei in Bewegung« und der großen Zustimmung zu diesem Papier. Die Änderungsanträge, sechs davon von der KPF, haben fast ausnahmslos eine Linksverschiebung bewirkt. Das zeigte sich ebenso in der außerordentlichen Freude der meisten Delegierten, als Sahra, Katja, Dietmar und Bernd am Sonnabend gemeinsam die Bühne betraten, um ihren Dringlichkeitsantrag für das Festhalten am Atomvertrag mit dem Iran vorzustellen. Vor allem aber wurde dies durch folgenden Vorgang deutlich: Als nach der Rede von Sahra Wagenknecht am Sonntagmittag, die in vielem glänzend war, aber deren Aussagen zu einer Sammlungsbewegung und zu bestimmten Fragen der Migrationspolitik auch wir nicht kritiklos sehen, drei als Nachfragen bezeichnete massive Angriffe auf Sahra folgten (Sabine Leidig, MdB, Elke Breitenbach, Berliner Sozialsenatorin, und Sascha Staničić, AKL/SAV) – besonders von Elke Breitenbach in aggressivster Art vorgetragen –, heizte sich die Stimmung im Saal in einer Weise auf, die den Parteitag zu zerreißen drohte. In dieser Situation wurde von einem Delegierten der Antrag gestellt, zu dem soeben beschriebenen Vorgang eine auf 60 Minuten begrenzte Debatte zu beschließen. Das wurde mit 250 zu 249 Stimmen beschlossen. Ca. 100 Delegierte gaben Wortmeldungen ab, von denen etwa 20 Genossinnen und Genossen zu Wort kamen. Groß war zu Beginn die Angst vor einer Verschärfung der ohnehin schon schlimmen Polarisierung. Doch es überwog das Verantwortungsbewusstsein der Delegierten für die Partei. Eine große Mehrheit der Rednerinnen und Redner erinnerte an unsere tatsächliche Verantwortung, brachte damit wieder Sachlichkeit auf den Parteitag zurück und hatte sicher maßgeblichen Anteil daran, dass die vier Spitzenleute zum zweiten Mal während des Parteitages gemeinsam auf die Bühne traten und eine gemeinsame Klausur von Parteivorstand und Fraktion sowie eine Fachkonferenz in puncto Migration ankündigten. Und sie sicherten de facto zu, Differenzen nicht mehr über die bürgerliche Presse auszutragen.
Noch einmal war die Situation gerettet. Und die Tatsache des Eklats vom G7-Gipfel brachte der LINKEN noch den Vorteil, dass die Medien am Sonntagabend den Ereignissen auf unserem Parteitag nicht annähernd die Aufmerksamkeit »schenkten«, die wir normalerweise erhalten hätten. Es ist also noch einmal halbwegs gut gegangen. Doch wir stehen auf dünnem Eis.
2. Die Entwicklung der LINKEN hängt bekanntlich nicht nur vom Agieren ihrer Spitzen und der Parteibasis ab. DIE LINKE war und ist all jenen ein Dorn im Auge, denen die Militarisierung Deutschlands nicht schnell genug geht und die sich die Bundeswehr – weit mehr als jetzt schon – als Global Player wünschen; sei es in der NATO, sei es im Rahmen der EU. Wladimir Putin hat in seiner Bürgersprechstunde am 7. Juni 2018 gesagt, die gegenwärtige Hauptaufgabe sei die Verhinderung des 3. Weltkrieges. Mit anderen Worten: Die Verhinderung des nuklearen Infernos. Deutschland als stärkste EU-Macht mit wachsenden imperialen Bedürfnissen und zunehmender Bereitschaft, sich weltweit militärisch zu engagieren, hat ein ernsthaftes Problem. Eine seit Jahr und Tag stabile Mehrheit der Bevölkerung lehnt Militäreinsätze als Mittel der Politik ab. Das hat Folgerungen und das soll sich ändern. Deshalb zum Beispiel der »Tag der Bundeswehr« und ähnliche »Werbemaßnahmen«. Doch das reicht für einen Stimmungswechsel nicht aus. Die Partei soll weg, die der Mehrheitsauffassung in puncto Krieg und Frieden eine Stimme gibt, vor allem in den Parlamenten. Mit der Geschichtsauffassung der LINKEN können die Herrschenden leben. Sie ist ohnehin weitgehend opportunistisch. Die sozialen und ökologischen Forderungen unserer Partei sind unbequem, aber verkraftbar. Dort, wo wir in Landesregierungen sind, werden wir mancherorts schon als Teil des Establishments wahrgenommen. Am meisten an der LINKEN stören ihre friedenspolitischen Prinzipien, und es gäbe viele Bellizisten, nicht nur im Lande, die höchstzufrieden damit wären, zerlegte sich die LINKE. Jeder sich bietende Angriffspunkt, jede Zwistigkeit wird von denen genutzt; mit Sicherheit über die Dienste und nicht weniger über die bürgerlichen Medien, an der Spitze BILD. Alle in der Partei, begonnen bei den führenden Genossinnen und Genossen, müssen sich der Verantwortung bewusst sein, die sich aus dem geschilderten Sachverhalt ergibt. Wir sind im Interesse des Friedens zur Stärkung und zum Zusammenhalt der Partei unbedingt verpflichtet. Da hilft auch kein ahistorisches Zitieren von Rosa Luxemburg, Klarheit ginge vor Einheit. Wenn DIE LINKE weg ist, nützt die wie auch immer geartete Klarheit nichts mehr.
3. Es ist gut, dass die Spitzen von Partei und Fraktion durch den Druck des Parteitages zu dem Schluss gekommen sind, nun endlich zu den umstrittenen Fragen miteinander zu reden. Auf die Ergebnisse warten sicher nicht nur wir mit Spannung. Wir warnen erneut davor, die sogenannte Flüchtlingsdebatte zu instrumentalisieren. Wir teilen die Auffassung, dass es in dieser Auseinandersetzung nicht nur um politische Standortbestimmungen geht, sondern, wie Dietmar Bartsch es formulierte, auch um »bigotte, ideologisch maskierte Machtkämpfe«. Und wir unterstützen auch die Genossin aus Sachsen, die in der oben erwähnten begrenzten Debatte von den führenden Genossinnen und Genossen verlangte, sie mögen mit dem Gezerre aufhören.
Und wir möchten hier drei Bitten äußern: Die KPF hat zwei Grundsatzerklärungen im Zusammenhang mit der sogenannten Flüchtlingsdebatte abgegeben: Zum einen unser Papier »Das Parteiprogramm muss unangetastet bleiben!« vom 7. Dezember 2017 zum Konzept für eine linke Flüchtlings- und Einwanderungsdebatte und zum anderen unsere Erklärung »Wir müssen aufklären!« vom 15. Oktober 2017. Wir möchten, dass unsere Überlegungen in die bevorstehenden Debatten einbezogen werden. Und noch etwas: Die KPF hat den Antrag »Überlegungen zu Ursachen der Rechtsentwicklung und daraus resultierende Schlussfolgerungen für linke Politik« an den Parteitag eingereicht. Dieser Antrag zielt darauf ab, zu diesem Thema in der gesamten Partei zu diskutieren und die Diskussionsergebnisse auszuwerten – ausgehend von einem Papier, welches wir zu diesem Zweck als Diskussionsgrundlage erarbeitet haben. Unser Antrag wurde – wie 54 andere Anträge bzw. Änderungsanträge – aus Zeitgründen auf dem Parteitag nicht mehr behandelt, sondern an den Parteivorstand bzw. Bundesausschuss überwiesen. Wir erwarten, dass unser so wichtiger Antrag angenommen wird.
Noch ein Wort zur Sammlungsbewegung: Sahras Bemerkungen hierzu in ihrer Parteitagsrede haben uns eben so wenig überzeugt, wie die in früheren Interviews und Artikeln, in denen sie sich dazu äußerte. Unseren auf der Bundeskonferenz vom 15. April 2018 zu dieser Problematik geäußerten Standpunkt erhalten wir uneingeschränkt aufrecht.
4. Eine vorletzte Überlegung. Das fds hatte einen Antrag von grundsätzlicher Bedeutung gestellt: »Fragend schreiten wir voran«. Wäre er angenommen worden, so wäre dies der Beginn einer neuen Programmdebatte geworden. Der Parteivorstand sollte beauftragt werden, eine Programmkommission einzusetzen, die zu mindestens 50 Prozent aus Mitgliedern bestehen sollte, die nach dem Erfurter Parteiprogramm in die Partei DIE LINKE eingetreten sind. Die KPF hat hierzu am 26. April 2018 einen Ersetzungsantrag gestellt (Anlage). Doch es kam anders. Ein Delegierter stellte den Antrag auf Nichtbehandlung des fds-Papiers, und nach einigem Hin und Her, worauf hier nicht näher eingegangen werden soll, wurde der Antrag des fds von der Tagesordnung genommen. Es zeigte sich deutlich, dass die Mehrheit der Delegierten natürlich bereit ist, über gegebenenfalls notwendige Präzisierungen und Ergänzungen des Parteiprogramms zu diskutieren, nicht aber dazu, in der ohnehin schon angespannten innerparteilichen Situation eine neue Programmdiskussion zu beginnen. Beendet sein wird die Sache wohl dennoch nicht. Nachdem sich vor dem Parteitag schon Petra Pau für eine solche Diskussion stark gemacht hatte, griff Dietmar Bartsch den gescheiterten Antrag des fds auf und unterstützte diesen faktisch. Und Chefredakteur Wolfgang Hübner sekundiert im nd vom 11. Juni 2018: »Der LINKEN wird über kurz oder lang nichts anderes übrig bleiben, als zu prüfen, ob ihre Grundsätze noch zeitgemäß sind.« Man spürt die Absicht und man ist verstimmt.
5. Für die KPF ergeben sich aus dem Leipziger Parteitag folgende erste Schlussfolgerungen. Wir werden alles für die Einheit der Partei tun. Wir werden nicht nachlassen, für den Erhalt der friedenspolitischen Grundsätze der Partei zu kämpfen. In diesem Kontext werden wir gemeinsam mit anderen unsere Bemühungen verstärken, die Notwendigkeit vernünftiger Beziehungen zu Russland überzeugend darzulegen. Der auch von uns mitgetragene Antrag »Für Entspannungspolitik mit Russland – Sanktionen beenden« wurde abgelehnt. Das zeugt vermutlich von der Wirkung der unerträglichen Russlandhetze, die hierzulande seit Jahren wieder betrieben wird. Wir müssen dem unsere Argumente sachlich entgegensetzen. Ebenso ist es erforderlich, die Solidarität mit den um antiimperialistischen Fortschritt kämpfenden Ländern Lateinamerikas zu verstärken. Buchstäblich in den letzten Minuten des Parteitages ist es gelungen, den Dringlichkeitsantrag »Lateinamerika braucht Frieden – Solidarität mit der Linken in Lateinamerika« von Cuba Sí per Akklamation zu verabschieden, während zunächst einmal die Dringlichkeit dieses Antrages infrage gestellt worden war. Die Solidarität und der Antifaschismus in Wort und Tat bleiben entscheidende Schwerpunkte unseres Wirkens. Wir werden dabei bleiben, dass DIE LINKE keine Grundsatzdebatte zu einem Programm benötigt, das auf dem Erfurter Parteitag 2011 mit 96,9 Prozent beschlossen und beim Mitgliederentscheid vom 17. November bis 15. Dezember 2011 mit 95,8 Prozent bestätigt wurde. Wir werden aktiv an den Landtagswahlkämpfen in Bayern, Hessen, Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen teilnehmen, ebenso an den Kommunalwahlkämpfen, und natürlich werden wir uns in den Wahlkampf zum Europäischen Parlament einbringen.
Anlage: Änderungsantrag Ä.A.2.2 zum Antrag A.2 »Fragend schreiten wir voran«
Antragsteller/innen: Kommunistische Plattform, Cuba Sí
Der Parteitag möge beschließen:
Antragsheft 1, Seiten 42 – 45, Zeilen 2 –147 ersetzen durch:
»Im Ergebnis der Landtagswahlen von Bayern, Hessen, Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen, von Kommunalwahlen sowie der Wahlen zum Europäischen Parlament wird in Verantwortung des Parteivorstands und des Bundesausschusses eine Analyse erarbeitet, die sich auf folgende Schwerpunkte konzentriert:
Wie bewerten wir die gesellschaftliche Situation acht Jahre nach der Annahme des Erfurter Programms?
Wie ist die Lage in unserer Partei einzuschätzen und wie ihre Wirksamkeit?
Ausgehend von dieser auf dem 7. Parteitag zu behandelnden Analyse werden der Partei Schlussfolgerungen vorgeschlagen, in den Gliederungen und Zusammenschlüssen diskutiert, um im Ergebnis dessen darüber zu befinden, ob und wenn ja, an welchen Stellen es Veränderungsbedarf am Parteiprogramm gibt.«
Begründung:
Das geltende Parteiprogramm wurde in diesem Jahrhundert erarbeitet, auf dem Parteitag in Erfurt vom 21. bis 23. Oktober 2011 mit 96,9 Prozent beschlossen und beim Mitgliederentscheid vom 17. November bis 15. Dezember 2011 mit 95,8 Prozent bestätigt.
Auf der Basis von Fragen und von häufig nicht untersetzten Feststellungen sowie ohne eine grundsätzliche Analyse, z.B. zu den Auswirkungen der Beteiligung der LINKEN an Landesregierungen, mit einem Programmerarbeitungsprozess beginnen zu wollen, wäre politisch zumindest fragwürdig.