PRO ASYL zur Innenministerkonferenz von Bund und Ländern
PRO ASYL: Integrieren statt isolieren – Innenminister müssen auf Ausgrenzung und Isolierung zielenden populistischen Tendenzen entgegentreten
Zur Frühjahrskonferenz der Innenminister von Bund und Ländern vom 6. bis 8. Juni richtet PRO ASYL den eindringlichen Appell, eine auf Integration zielende Flüchtlingspolitik fortzuentwickeln. »Die Isolierung in AnkER-Zentren zerstört Integration und verhindert zudem ein faires rechtsstaatliches Asylverfahren, in dem die Fluchtgründe aufgeklärt werden und bei Fehlentscheidungen des BAMF Gerichte den dringend nötigen Schutz gewähren«, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.
»Die auf Bundesebene von Seehofer geplante Isolierung in AnkER-Zentren ist kurzsichtig, schadet den Ländern und Kommunen, die die Integration bewältigen müssen und führt in der Konsequenz zu noch mehr Fehlentscheidungen des BAMF, die dann kaum noch von den Gerichten korrigiert werden.«
Zur bevorstehenden Innenministerkonferenz in Quedlinburg fordert PRO ASYL:
- Keine Isolierung in Ankunfts-, Entscheidungs-, und Rückführungszentren (AnkER-Zentren)
Die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge kommt aus Herkunftsstaaten wie Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, der Türkei und Somalia. Krieg, Terror und Verfolgung werden dort fortbestehen, eine baldige Rückkehr ist unrealistisch. Es ist eine Illusion zu glauben, Menschen mit angeblich »schlechter Bleibeperspektive« aus Afghanistan, Irak, der Türkei und anderen Ländern würden innerhalb eines Zeitraums von 18 Monaten das Land wieder verlassen. Das Konzept der Bleibeperspektive nimmt pauschal an, dass alle Menschen aus Ländern mit einer Gesamtschutzquote (unbereinigt!) von unter 50% keine positive Bleibeperspektive hätten.
Das Beispiel Afghanistan zeigt, wie absurd diese Annahme ist: Rund 47% der AfghanInnen erhalten Schutz in Deutschland (bereinigte Schutzquote, BT-Drs. 19/635). Die BAMF-Anerkennungsquote von knapp unter 50% bedeutet also für 100% der ankommenden AfghanInnen eine »schlechte Bleibeperspektive«. Arbeits- und Ausbildungsverbote, keine Integrationskurse usw. sind die Folge. Viele, deren Antrag abgelehnt wurde, klagen vor Gericht dagegen – und bekamen 2017 in mehr als 60% der inhaltlich geprüften Fälle Recht.
Dauerisolierung in Massenunterkünften abseits von großen Orten ist für die Betroffenen katastrophal. Integrationschancen werden zerstört, wenn über lange Zeit hinweg der Zugang zu Schule, Arbeit, neuen Nachbarn und Ehrenamtlichen versperrt wird. Nur bei angenommener »positiver Bleibeperspektive« sollen Flüchtlinge laut Koalitionsvertrag auf Kommunen verteilt werden.
PRO ASYL warnt vor einer Politik, die einerseits Integration betont und diese bei der Neuregelung zum Familiennachzug sogar zum zusätzlichen Kriterium macht, andererseits aber den Zugang zu Integration mit Hilfe von AnkER-Zentren systematisch versperrt. So legt die Große Koalition im Koalitionsvertrag auf Integration wert, beispielsweise durch das »Fordern und Fördern« von Integrationsbemühungen (KV, Zeile 4853) oder durch die Ausbildungsregelung für Geduldete (KV, Zeile 4903).
In den geplanten AnkER-Zentren unterliegen die Betroffenen jedoch verschiedensten Restriktionen, wie z.B. einem Arbeitsverbot. Die Isolation in solchen Zentren wird nicht nur desaströse Folgen für die Einzelschicksale haben: Konflikte, Gewaltpotential, Perspektivlosigkeit bis hin zur Kriminalität können die Folge sein.
Integrationsprobleme sind nicht dadurch lösbar, dass man die Schutzsuchenden in Erstaufnahmeeinrichtungen festhält. Kommunen müssen verstärkt dabei unterstützt werden, Schutzsuchende menschenwürdig unterzubringen und den Kontakt zu Ehrenamtlichen und zur Bevölkerung zu ermöglichen. Nur so können Berührungsängste abgebaut werden und kann Integration gelingen.
- Faire Asylverfahren gewährleisten – versprochene unabhängige Asylverfahrensberatung realisieren
PRO ASYL fordert, aus den öffentlich zutage tretenden Mängeln des Asylverfahrens Konsequenzen zu ziehen. Die klare Vereinbarung der Großen Koalition zu einer unabhängigen und flächendeckenden Verfahrensberatung ist zu begrüßen: »Eine unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung ist zu gewährleisten«. (KV, Zeile 4918 f.) Eine schnelle Umsetzung ist dringend erforderlich. Sie hilft, ein rechtstaatliches Verfahren zu realisieren, in dem die Schutzbedürftigkeit utzbedürftigeBetroffener festgestellt und ihnen Schutz gewährt wird. PRO ASYL kritisiert erneut, dass die Ergebnisse des Pilotprojektes des Bundesinnenministeriums mehr als ein halbes Jahr lang nicht veröffentlicht wurden. Mit Hilfe einer unabhängigen und flächendeckenden Verfahrensberatung werden Asylverfahren besser und führen zu gerechteren Ergebnissen, die Überlastung der Justiz durch massenhafte Fehlentscheidungen wird reduziert.
Es sind oft ehrenamtliche HelferInnen und MitarbeiterInnen von Beratungsstellen, die Asylsuchende dabei unterstützen, Kontakt zu AnwältInnen herzustellen. Ohne den effektiven Zugang zu Rechtsbeistand, ohne Begleitung bei Anhörungen, ohne unabhängige Beratung nach Erhalt der Asylbescheide des BAMF droht die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes de facto ausgehebelt zu werden. Die Zahl der Fehlentscheidungen des BAMF ist hoch, die Gerichtsquoten sprechen für sich: Fast jede zweite Klage hat Erfolg (40,8% der inhaltlich geprüften Fälle im Jahr 2017, BT-Drs. 19/635).
Bisher ist nicht geklärt, wie die Asylverfahrensberatung finanziert werden soll. Im Koalitionsvertrag findet sich keine Angabe in der Liste der prioritären Ausgaben der Bundesregierung (Zeile 3000 ff.). Bund und Länder müssen sich in Quedlinburg auf eine Finanzierung einigen. Gleiches gilt für die nicht näher konkretisierte »spezielle Rechtsberatung für besondere vulnerable Flüchtlinge« (Koalitionsvertrag, Zeile 4984 f.).
Staatliche Rückkehrberatung vor den Asylverfahren führt zu Fehlentscheidungen
Rechtsstaatlich äußerst bedenklich ist die bisherige Praxis, eine staatliche Rückkehrberatung – teilweise noch vor Asylverfahren bzw. Anhörung – durchzuführen. Die Förderleistungen werden sogar umso höher, je früher der Antrag zurückgezogen bzw. gar nicht erst gestellt wird (Bundesprogramm »Starthilfe Plus«). Wenn das BAMF als die Stelle, die über den eigenen Asylantrag entscheiden soll, schon von Anfang an zur Rückkehr berät, wird vielmehr der Eindruck vermittelt, man sei ohnehin unerwünscht, habe sowieso keine Chancen und solle möglichst schnell das Land verlassen.
Asylsuchende werden so zur Rücknahme ihres Antrages oder zum Verzicht auf eine Klage bewegt – trotz hoher Entscheidungs- und Gerichtsquoten. Die Widersprüchlichkeit dieser frühzeitigen Beratung staatlicherseits wird besonders deutlich, wenn man sieht, dass selbst SyrerInnen zur Rückkehr beraten werden sollen.
- Familiennachzug ermöglichen
PRO ASYL fordert: Familiennachzug für subsidiär Geschützte ist aus grund- und menschenrechtlicher Sicht zwingend. Die Ehe und die Einheit der Familie sind im Herkunftsland nicht herstellbar.
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines »Gesetzes zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten« (Familiennachzugsneuregelungsgesetz) vorgelegt, er soll noch im Juni im Bundestag beschlossen werden. PRO ASYL hat dazu umfassend Stellung genommen. Die Bundesländer haben im Bundesrat immer noch die Möglichkeit, einen Ausschuss nach Art. 77 Abs. 2 GG anzurufen bzw. dann einen Einspruch nach Art. 77 Abs. 3 GG einlegen.
Die meisten subsidiär Geschützten stammen aus Syrien und warten größtenteils schon seit Jahren auf ihre Familie. Der subsidiäre Schutz ist bei syrischen Flüchtlingen in der Realität genauso lange nötig wie GFK-Flüchtlingen. Auch im inzwischen achten Jahr des Bürgerkriegs ist kein Ende des Konflikts oder gar eine Rückkehr von Flüchtlingen in Sicht. Die Türkei führt im kurdischen Norden Syriens einen Krieg, der erneut Tausende zur Flucht zwingt, die Assad-Regierung greift Rückzugsorte der Rebellen erbarmungslos an –. Ein baldiger Frieden ist nicht absehbar – schon gar keiner, der ein Ende der Diktatur von Assad zur Folge hätte.
PRO ASYL fordert die Bundesländer auf, sich dem Gesetzgebungsverfahren zur Einschränkung des Familiennachzugs klar entgegenzustellen (Einspruchsgesetz). Ebenso können sie auf Landesebene verstärkt von Landesaufnahmeprogrammen Gebrauch machen.
- Schneller Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung
Die Realität zeigt, dass von den seit 2013 angekommenen 1,68 Millionen Schutzsuchenden 900.000 einen Schutzstatus bzw. eine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung erhalten haben. Von diesen Schutzsuchenden sind nur rund 24.000 Menschen Ende März 2018 »vollziehbar ausreisepflichtig« gewesen, d.h. knapp 1,5%. Damit muss sich die Politik auch auf Landesebene auseinandersetzen: Damit die tatsächlich also ohnehin erforderliche Integration in den Arbeitsmarkt gelingen kann, müssen die Weichen so früh wie möglich gestellt werden − die zu lange Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, mangelnde Sprachkurse, Arbeitsverbote, eine fehlende Aufenthaltssicherheit sowie unzureichende Investitionen in Bildung und Ausbildung hindern den effektiven Zugang und eine gelingende Integration.
- Abschiebungsmoratorium für Afghanistan und Neubewertung aller Ablehnungen von AfghanInnen
PRO ASYL begrüßt, die im Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 31. Mai vorgenommene Neubewertung des sogenannten »internen Schutzes« als Annäherung an die Realität und die desaströse Sicherheitslage in Afghanistan. Die pauschalisierte Ablehnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Verweis auf sogenannte inländische Schutzalternativen innerhalb Afghanistans lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.
PRO ASYL fordert eine Änderung der Entscheidungs- und Ablehnungspraxis und eine Neubewertung aller in den letzten beiden Jahren abgelehnten afghanischen Asylanträge. Die Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern muss sich mit dieser Thematik befassen. Bislang steht Afghanistan aber nicht auf der Tagesordnung.
Abschiebungen nach Afghanistan sind in der konkreten, sich immer weiter verschärfenden Lage nicht zu vertreten. Bund und Länder müssen die Fakten anerkannter Quellen sowie die Presseberichterstattung über immer neue Anschläge mit vielen getöteten ZivilistInnen ernst nehmen und sich für einen Abschiebestopp nach Afghanistan und aufenthaltsrechtliche Sicherheit für afghanische Staatsangehörige einsetzen.
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