Die Flexibilität, die sie meinen
Den Schaffenden wird ständig erzählt, die »Digitale Revolution« werde unser Leben – und damit auch unsere tägliche Arbeit – entscheidend verändern. Die Frage, wie sich dieser technologische Umbruch, der mit immensen Produktivitätssteigerungen einhergeht, auf die Gesellschaft und damit auf unseren Alltag auswirkt, wurde noch nicht beantwortet.Der DP zufolge hängt die Zukunft der Arbeit zuallererst von flexibleren Arbeitszeiten der Schaffenden ab. Der »starre« Achtstundentag soll weg, was dem berechtigten Anspruch von Schaffenden entgegenkommt, ihre Arbeitszeit selbstbestimmt zu verteilen.
Hierbei wird aber bewußt verschwiegen, daß die Entscheidung, wann wir zu arbeiten haben und wann nicht, auch künftig allein der Patron fällt. Uns wird nur vorgegaukelt, wir hätten die Verfügungsgewalt über unsere Zeit. Tatsächlich aber ist die Taktung unserer Arbeit fremdbestimmt – durch noch flexiblere Arbeitszeiten würde sie nur noch mehr an die Bedürfnisse der Betriebe angepaßt. Wenn das dann zeitlich auch für die Schaffenden paßt, gut. Aber was, wenn das nicht der Fall ist?
Es gibt viele Berufe, in denen einige Schaffende auch mal von zu Hause aus arbeiten und sich – das Einverständnis ihres Patrons vorausgesetzt – ihre Arbeitszeit flexibler einteilen können. Das gilt aber eben nicht für alle Schaffenden. Denn nur diejenigen, deren Arbeitsplatz keine ständige Anwesenheit erfordert, etwa Büroangestellte oder sogenannte Kreativarbeiter, kommen in den Genuß dieser vermeintlichen Selbstbestimmung.
Die Schaffenden aber, die beispielsweise dafür sorgen müssen, daß diese »Kreativen« in der Mittagspause nicht vor leeren Tellern sitzen oder im Supermarkt nicht vor leeren Regalen stehen, haben das Nachsehen. Ihnen ist es nicht möglich, den Arbeitsplatz nachmittags um vier zu verlassen, das Kind aus der Crèche abzuholen, abends um 21 Uhr ins Bett zu bringen und sich dann nochmal zwei Stunden an die Arbeit zu setzen. Wenn also über flexible Arbeitszeiten für die abhängig Beschäftigten geredet wird, ist damit immer nur ein Teil der Belegschaft gemeint. Und daran wird sich zumindest vorläufig auch nichts ändern.
Was die Salariatskammer zum Beispiel in ihrem »Quality of work«-Index schon seit Jahren beklagt, sind eine Ausweitung der Schichtarbeit für immer mehr Schaffende, prallgefüllte Arbeitszeitkonten, ständige Erreichbarkeit und kaum Rücksichtnahme auf die Familie und andere private Belange der Schaffenden.
Läge der DP wirklich deren Wohlergehen am Herzen, würde sie sich beispielsweise dafür einsetzen, daß das Vollzeitarbeitsvolumen für Schaffende in besonderen Lebenslagen zumindest zeitweise gesenkt werden kann. Wer Kinder erzieht, Angehörige pflegt oder sich beruflich weiterbildet, sollte phasenweise 28 bis 35 Stunden pro Woche arbeiten können und zum Lohnausgleich einen staatlichen Grundzuschuß sowie darüber hinaus gehende kollektivvertragliche Leistungen erhalten, auf die weder Steuern noch Beiträge an die Krankenkasse erhoben werden sollten.
Und zur Überwindung starrer Arbeitszeitregelungen könnten Modelle entwickelt werden, die tatsächlich mehr Selbstbestimmung erlauben. Eine Änderung des geltenden Arbeitszeitgesetzes ist dazu nicht nötig. Das Gesetz schützt vor Überforderung, regelt die nötigen Pausen und auch das Recht auf Abschalten. Solche Arbeitszeitmodelle sollten unbedingt zusammen mit den gewählten Salariatsvertretern – wenn möglich in Kollektivverträgen – geregelt werden; und nicht, wie von der DP vorgeschlagen, »individuell zwischen Patron und Salarié«.
Oliver Wagner
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