Von der Fußball-WM zur Kirmes
Seit gestern rollt also der Ball bei der 21. Fußball-Weltmeisterschaft der Männer, seit einigen Jahren offiziell nur noch »FIFA World Cup« genannt. Seit Wochen bereits mehrten sich TV-Dokumentationen und Artikel mit entsprechenden Spitzen in Richtung des Gastgeberlandes, gepaart mit Boykottaufrufen der üblichen Verdächtigen, Einreiseschwierigkeiten von Hajo Seppelt, und natürlich dürfen auch die armen Straßenhunde keineswegs fehlen, wenn es darum geht, die WM in »Putins Reich des Bösen« zu diskreditieren.
So viele Sorgen, das Gastgeberland könne nach den Olympischen Winterspielen in Sotchi nun auch den »FIFA World Cup« als politische Imagepolitur mißbrauchen, gab es im Rahmen dieses Wettbewerbs schon lange nicht mehr. Wo war diese Empörung etwa, als im Jahre 1978 Argentinien Ausrichterland war und sich die dort herrschende Militärdiktatur mit dem Turnier schmücken durfte? Warum wurde die WM 1982 bereits im Jahre 1966, zu Amtszeiten des Diktators Franco, nach Spanien vergeben? Wo war die politische Empörung in ganz rezenten Jahren, als 2010 in Südafrika auf Billiglöhner und Ordner geschossen wurde, weil sie aus Protest gegen ausbleibende Lohnzahlungen in den Streik traten? Wo blieb diese Empörung 2014 in Brasilien, wo ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht wurden und die Militärpolizei für »Ordnung« sorgte? Und ganz aktuell: Hat nicht auch der politische Druck des USA-Präsidenten ein gewisses Gewicht bei der Vergabe der WM 2026 nach USA/Kanada/Mexiko ausgeübt?
Die Sorge um die Vereinnahmung des Fußballs zu propagandistischen Zwecken ist also, wie es scheint, nicht immer gleich groß. Eine Sorge, die allerdings von all jenen, die alle zwei Jahre zu einem großen Nationenturnier ihren Senf abgeben müssen, obwohl sie keinen Schimmer von Fußball haben, nie thematisiert wird, ist jene um die kommerzielle Entwicklung. Die großen Turniere EM und WM setzen alle zwei Jahre neue Standards in dieser Richtung und stellen die Fußballfans, also alle, die den Fußball lieben und nicht nur vier Wochen mit einer Nationalfahne und Bunny-Ohren in Landesfarben auf dem Kopf herumlaufen, auf immer härtere Proben.
Das Teilnehmerfeld wird weiter aufgebläht und Vergaben, wie aktuell das Turnier 2026, werden ganz offen dorthin getätigt, wo für die FIFA am meisten Geld zu machen ist. Marokko als afrikanischer Bewerber konnte nichts dagegen ins Feld führen, als die Fußballverrücktheit seiner Bevölkerung. Aber vielleicht ist die Absage auch ganz gut, denn die letzten Turniere auf europäischem und globalem Plan haben in den meisten Fällen in den Teilnehmerländern nicht nur den erhofften Aufschwung ausbleiben lassen, sondern regelrecht verbrannte Erde hinterlassen.
Man kann den luxemburgischen Fußballverband FLF durchaus kritisieren. Dafür, daß es ihm egal zu sein scheint, daß das Verköstungungsangebot seitens der Stadt Luxemburg bei Länderspielen an der »Areler Strooss« zum Schämen ist und es ihn offenbar nicht interessiert oder daß die Öffentlichkeitsarbeit rund um die »Roten Löwen« noch immer eher »niedlich« ist. In mindestens einer Sache aber gebührt Verbandspräsident Paul Philipp Anerkennung: Nämlich für seinen Standpunkt vor der Abstimmung für 2026, daß bei solchen Turnieren das Fußballherz wieder über das Geschäft gestellt werden müsse.
Was nach der Wahl von »United« für 2026 und dem künftigen, ebenfalls dezentralen EM-Modus bleibt, ist die Sorge um Turniere, die uns als Kinder vor die Bildschirme fesselten und die nun drohen, als austauschbare Nationenkirmes mit steriler Kino-Atmosphäre zu enden.
Christoph Kühnemund
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