»Sichere Herkunftsländer« im Kabinett: Gesetzgebungshektik geht weiter
Heute wird im Bundeskabinett der Gesetzentwurf zur Erweiterung der sog. »sicheren Herkunftsländer« beschlossen. Betroffen sind Marokko, Algerien und Tunesien (Maghreb-Staaten) sowie Georgien. Einmal mehr zeichnet sich das Gesetzgebungsverfahren – wie auch die vergangenen Gesetzgebungsverfahren im Asylbereich – durch politische Hektik und abstruse Fristensetzung aus.
Erneut wurde die Beteiligung von Fachverbänden so betrieben, dass sie zur Farce verkommt. PRO ASYL hat wie viele weitere Organisationen die Möglichkeit zur Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf per E-Mail am Dienstag, 11. Juli 2018 um 15:04 Uhr erhalten. Die Frist wurde auf den darauffolgenden Tag, Mittwoch, den 12. Juli 2018 um 23:59 Uhr gesetzt – das sind weniger als 1,5 Werktage.
Die Anhörung von Fachverbänden und VertreterInnen aus der Zivilgesellschaft soll dazu dienen, dass die Konsequenzen eines Gesetzesvorhabens umfassend bewertet werden können. Eine fundierte juristische und praktische Auseinandersetzung mit einem Gesetzentwurf ist aber in einem Zeitraum von weniger als 1,5 Werktagen eine Zumutung, zumal es einen Grund für die Eile gar nicht gibt.
»Die Praxis der extrem kurzen Fristen im Gesetzgebungsverfahren beobachten wir im Asylbereich seit Jahren. Sie zeigt: Eine wirklich inhaltliche Debatte ist nicht gewollt,« kritisiert Bellinda Bartolucci, rechtspolitische Referentin von PRO ASYL.
Ignoriert werden damit auch die eigenen Vorgaben nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO): Nach § 47 Abs. 3 GGO soll ausdrücklich eine »rechtzeitige Beteiligung« von Verbänden und Fachkreisen erfolgen. Zudem soll die Expertise der jeweiligen Fachverbände und Organisationen nicht nur formal abgerufen werden, sondern sie muss ebenso ausreichend ausgewertet und berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Angaben, die vom vorgelegten Gesetzentwurf abweichen und die der Ressortminister dem Bundeskabinett erklären muss (§§ 51 Nr. 4; 22 Abs. 1 Nr. 4 GGO).
Dass dieses Vorgehen System hat, zeigen einige Beispiele der Gesetzesvorhaben aus den vergangenen Jahren. Das macht die vermeintliche Eilbedürftigkeit im Einzelfall besonders unglaubhaft. Weitere konkrete Beispiele finden sich in der Stellungnahme zum Gesetzentwurf (S. 2).
Zum Inhalt des Gesetzes
Staaten werden aus vermeintlich praktischen Gründen zu »sicheren Herkunftsländern« erklärt, die die Voraussetzungen dafür nicht erfüllen. Denn nach wie vor gibt es in den genannten Staaten keine Sicherheit vor Verfolgung, die nach verfassungsrechtlichen Vorgaben »landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen« muss (BVerfG, Beschluss v. 14. Mai 1996, 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93).
Die Große Koalition hat in verquerer und verklausulierter Form eine »spezielle Rechtsberatung« für vulnerable Schutzgruppen vereinbart (Koalitionsvertrag, Zeile 5060). Doch im Gesetzentwurf wird dafür nur an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verwiesen.
Ebenso bleiben an anderer Stelle europäische Vorgaben im Hause des Bundesinnenministers Horst Seehofer unbeachtet: Erst im Juni 2018 hat der Gerichtshof der Europäischen Union die weitreichende Beschränkung des Rechtsschutzes, die auch bei Personen aus sicheren Herkunftsländern besteht, für rechtswidrig erklärt (Urteil v. 19.06.2018, C-181/16). Sie müssen die Möglichkeit haben, in Deutschland zu klagen, ohne dass sie währenddessen abgeschoben werden. Da das momentan aber nach deutschem Recht noch möglich wäre, ist eine gesetzliche Änderung erforderlich. Sie fehlt im Entwurf.
Schließlich ist der Nutzen einer solchen Einstufung als »sichere Herkunftsstaaten« bei Weitem nicht der versprochene: Der Anteil der Asylsuchenden aus den drei Maghreb-Ländern ist verschwindend gering (knapp 2 %, siehe S. 4). Gleiches gilt für den Anteil ihrer Asylklagen vor den Verwaltungsgerichten (rund 1,7 %, S. 4). Auch georgische AsylantragstellerInnen haben keinen relevanten Anteil am Gesamtgeschehen.
Zur ausführlichen Stellungnahme von PRO ASYL geht es hier.
Quelle: