»Demokratie«-Spiel im Sommerloch
Man kann der EU-Kommission nicht nachsagen, daß sie keine Ideen hätte, die Bürger mit »Demokratie«-Spielen zu beschäftigen. Da wird mitten im Sommerloch eine Umfrage lanciert, bei der die Bürger aller EU-Staaten ihre Meinung darüber äußern dürfen, ob die Zeitumstellung im Sommer und im Winter aufrecht erhalten oder abgeschafft werden sollte. Auf Fragebogen im Internet konnten noch dazu Anmerkungen gemacht werden. 4,6 Millionen Menschen haben sich beteiligt. Ein wunderschönes Beispiel für demokratische Mitwirkung – oder vielleicht doch nicht?
Nun, obwohl sich die technischen Mitarbeiter der Kommission jetzt wochenlang in allen EU-Sprachen mit diesem Unfug beschäftigen müssen, liegt der Wert der Umfrage nur ganz wenig über Null. Die EU hat knapp 510 Millionen Einwohner – da hört sich die Teilnehmerzahl nicht mehr ganz so gewaltig an. Man muß wohl auch davon ausgehen, daß vor allem Leute, die aus unterschiedlichen Gründen schon immer gegen die Zeitumstellung waren, hier eine Gelegenheit sahen, ihre Abneigung zum Ausdruck zu bringen. Da hatte die Umfrage eine tolle Ventilfunktion.
Unabhängig davon, welche Mehrheiten sich für oder gegen die Zeitumstellung gebildet haben, wird die ganze Aktion kaum praktische Konsequenzen haben: Die »Verlierer«-Seite wird sich darauf berufen, daß die Umfrage nicht wirklich repräsentativ war. Und selbst wenn die vielbeschäftigte Kommission zu der Auffassung kommen sollte, die Zeitumstellung per Gesetz abschaffen zu wollen, gibt es da noch weitere Hürden. Denn es muß eine beschlußfähige Mehrheit im EU-Parlament zustande kommen, und dann müßten auch noch jeweils alle Mitgliedstaaten einen solchen Beschluß ratifizieren… Somit ist zumindest dafür gesorgt, daß EU-Bürokraten, Parlamentarier, deren Mitarbeiter und auch Medien in den nächsten Jahren immer wieder Stoff für eine Beschäftigung finden.
Unter dem Strich wäre das eigentlich kaum einen Kommentar wert, doch zeigt die Umfrage wieder einmal exemplarisch, was der Europäischen Union Volkes Meinung wirklich gilt. Erinnert sei an die unsäglichen Referenden über die sogenannte EU-Verfassung vor einigen Jahren, die aus Sicht der Kommission völlig in die Hose gegangen sind, so daß an Volkes Meinung vorbei ein fast gleichlautendes Papier schlicht von den Regierenden beschlossen wurde. Auch Abstimmungen in einigen Ländern über die Mitgliedschaft in der EU oder im Euro sind nicht vergessen, bei denen die Wähler einfach noch einmal zur Urne bestellt wurden, weil das erste Ergebnis nicht gefiel. Und immerhin gibt es auch einige EU-Staaten, wie zum Beispiel die Führungsmacht Bundesrepublik Deutschland, in denen Volksabstimmungen per Grundgesetz gar nicht vorgesehen sind. Für die Bürger dieser Länder ist es natürlich ein tolles Erlebnis, mal ihre Meinung zum Ausdruck bringen zu dürfen.
In der Praxis gibt die EU tatsächlich nichts auf Meinungen aus dem einfachen Volke. Zwar sind Volksabstimmungen und Unterschriftensammlungen für Petitionen in den grundlegenden Dokumenten der EU ausdrücklich erwünscht, allerdings hat die Sammlung von Unterschriften gegen ein sogenanntes Freihandelsabkommen gezeigt, wie leicht ein solches Aufbegehren abgeschmettert werden kann. Und die gegenwärtig in Britannien lancierte Bewegung für ein zweites Brexit-Referendum dürfte über kurz oder lang auch zu einem von den Herrschenden gewünschten Ergebnis führen. Soviel zu »Demokratie« – mit oder ohne Sommerloch.
Uli Brockmeyer
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