Prozess gegen die Mörder von Clément Méric
Am 4. September hat der Prozess gegen die Mörder von Clément Méric vor dem Schwurgericht in Paris begonnen. Er soll insgesamt zehn Tage dauern und am 14. September enden. Es sind schwierige zehn Tage für die Familie und die Freund*innen von Clément, das ist sicher. Aber gleichzeitig sind es zehn notwendige Tage – mehr als fünf Jahre nach seinem gewaltsamen Tod. Während der zehn Tage wird hoffentlich endlich offen ausgesprochen werden, was am 5. Juni 2013 geschehen ist, und aus welchen Gründen Clément sterben musste; ohne dass von außen versucht wird, diesen politischen Mord in eine Prügelei unter Jugendlichen zu verwandeln und damit zu verharmlosen.
Die Eltern von Clément, seine Schwestern, seine Freund*innen und die Personen, die mit ihm politisch aktiv waren, können endlich öffentlich deutlich machen, wer Clément war, wofür er sich engagiert hat und was ihm wichtig war. Für sie ist dieser Prozess aber auch unheimlich schwer – nicht nur weil die Verhandlungen bis in die Details der Obduktionsberichte gehen, sondern auch, weil es ein Aufeinandertreffen mit den Angeklagten ist. Abgesehen von einem der Täter, Esteban Morillo, zeigen weder die Mitangeklagten Samuel Dufour noch Alexandre Eyraud noch ihre Angehörigen Spuren von Reue. Anscheinend wollen sie nicht verstehen oder zugeben, inwiefern ihre politischen Ansichten sie (oder ihren Sohn bzw. ihren Freund) zu diesem Mord geführt haben. Der folgende Artikel berichtet nicht primär über die Verhandlung, denn das ist schon jeden Tag ausführlich in den sozialen Netzwerken geschehen. Vielmehr geht es darum, bestimmte Aspekte des Prozesses zu reflektieren. Für uns als französische Antifaschist*innen handelt es sich bei dem Mord an Clément um einen politischen Mord, der im Rahmen eines besonderen politischen Klimas in Frankreich zu verstehen und zu beschreiben ist.
Schon am ersten Tag des Prozesses wurde uns klar, dass die Angeklagten alles machen werden, um den Prozess zu entpolitisieren. So hat einer der Angeklagten, Esteban Morillo, etwa seine Tattoos verschwinden lassen, um nicht mehr wie ein Neonazi-Skinhead zu wirken. Innerhalb der vergangenen 5 Jahre hatte er schließlich genug Zeit, um zu überlegen, wie er sein Aussehen verändern kann. Der zweite Angeklagte, Samuel Dufour, sah es hingegen nicht einmal für notwendig an, am ersten Tag vor Gericht zu erscheinen. Obwohl er mit Morillo der tödlichen Körperverletzung angeklagt wird und deshalb für bis zu 20 Jahren Haft verurteilt werden kann, ist er ebenso wie die anderen beiden Angeklagten bereits nach einem Jahr beziehungsweise anderthalb Jahren aus der Untersuchungshaft entgelassen worden. Wegen der Abwesenheit von Dufour wurde die Verhandlung ausgesetzt, sodass der erste Vormittag verloren ging.
Am zweiten Tag des Prozesses ist er schließlich vor Gericht erschienen. Als Grund für seine vorherige Abwesenheit gab er an, gegen die „Ungerechtigkeit“ seiner Inhaftierung revoltieren zu wollen. Er habe Clément Méric nicht berührt. Auch seine Mutter unterstrich ihre Überzeugung, dass ihr Sohn nichts gemacht hätte und trotzdem ins Gefängnis musste. Für sie sei es ungerecht, dass nur die drei rechten Täter inhaftiert wurden, jedoch nicht die angegriffenen Antifaschisten. Die vorsitzende Richterin musste die Mutter zweimal an den Tod Cléments erinnern, damit diese endlich Ruhe gab: „Das, was wir wissen, ist, dass Clément Méric tot ist.“
Doch Dufour war nicht der einzige, der sich dem Gericht entziehen wollte. Auf Verlangen der Familie von Clément sollte eine bedeutende Persönlichkeit aus dem neonazistischen Spektrum vom Gericht vorgeladen werden. Allerdings hatte diese bereits im Vorfeld im Rahmen eines Interviews mit der rechten, national-katholischen Zeitung Présent bekannt gegeben, dass sie selbst im Falle einer Vorladung nicht zum Prozess kommen würde. Es handelt sich um den altgedienten Nazi-Kader Serge Ayoub. Der „batskin“ genannte Ayoub ist eine führende Persönlichkeit der neonazistischen Szene in Paris seit den 1980er Jahren. In seiner Kneipe, Le Local, haben die drei Angeklagten angefangen, politisch aktiv zu werden. Sie gehörten anschließend zum Umfeld der laut eigenen Aussagen „national-revolutionären“ Gruppierung Troisième Voie (kurz: TV – dt. „Dritter Weg“) sowie der Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires (kurz : JNR – dt. „Nationalistisch-Revolutionäre Jugend“), die eine eindeutig neonazistische Weltanschauung vertritt. Beide Gruppen zeichnen sich durch ihre Gewaltbereitschaft sowie die tatsächliche Anwendung von körperlicher Gewalt aus. Schon Serge Ayoub ist im Jahre 1998 einer Verurteilung wegen Mordes nur knapp entkommen. Seitdem ist er in Paris sowie Nordfrankreich für seine Gewalttaten berüchtigt. Um der gerichtlichen Vorladung zu entgehen hat sich Ayoub für zehn Tage krankschreiben lassen und ist bis jetzt nicht vor dem Schwurgericht erschienen. In Anbetracht seiner Ankündigung in der Presse äußerte selbst der Staatsanwalt Zweifel an der vermeintlichen Krankheit. Wie zum Hohn gab Ayoub in den folgenden Tagen weitere Interviews. Dort erzählte er, sich der Forderung des Gerichts nicht zu fügen, da er nicht sein Leben riskieren wolle beziehungsweise nicht dazu gezwungen sein will, sich gegen Angriffe zu verteidigen und dabei zu töten, wenn er dort erscheine.
Auf der anderen Seite zeigt sich die angesprochene Tendenz zur Entpolitisierung des Prozesses auch im Umgang mit einem Sachverständigen. Damit der politische Zusammenhang in Frankreich rund um das Jahr 2013 verständlicher wird, sollte ein Experte über die extreme Rechte vor dem Gericht erscheinen. Er erläuterte, welche Rolle unter anderem die neonazistischen und gewaltbereiten Gruppen in Frankreich gespielt haben, als sich die Nationalkonservativen im Umfeld der „Manif pour Tous“ (dt. „Demos für alle“) gegen die sogenannte Homo-Ehe mobilisierten. In diesem Zusammenhang zog er eine Parallele zu der Situation in den 1980er Jahren, als die Nationalkonservativen für Privatschulen demonstrierten, welche die damals neue sozialistische Regierung weniger finanziell unterstützen wollte. Als er anfing zu sprechen, begannen die Anwälte der Angeklagten lautstark zu protestieren. Sie wollten auf jeden Fall verhindern, dass die Politik bzw. die politischen Ansichten ihrer Mandanten oder von deren Umfeld im Prozess berücksichtigt werden.
Trotz der gesellschaftlichen Widerstände sagen wir seit 2013 klar und deutlich, dass es sich bei dem Tod von Clément um einen politischen Mord handelt. Seit über fünf Jahren versuchen wir, die Erinnerung an Clément wach zu halten. Jedes Jahr haben wir zusammen mit tausenden solidarischen Menschen in den Straßen von Paris und anderen französischen Städten demonstriert. Im Ausland sind Soli-Initiativen entstanden: in Italien und in Spanien, in den USA, in Kanada, in Griechenland und in Deutschland. Wir haben Veranstaltungen organisiert, damit jüngere Antifaschist*innen erfahren können, welche Ideen Clément verteidigte und wofür er kämpfte. Wir haben sein Gesicht an die Wände unserer Städte gemalt, seinen Namen geschrieben und gerufen. Wir haben gesehen, wie lange die Ermittlung gedauert hat, wir haben nicht verstanden, warum der Prozess so spät eröffnet wurde.
Nun hat der Prozess begonnen und für uns zeigt sich, dass sich nicht viel geändert hat. Was uns wichtig ist, ist nicht die Strafe, sondern das Urteil. Wir wollen, dass der politsche Charakter von Cléments Mord anerkannt wird. Es darf keine Gleichsetzung zwischen den Tätern und dem Opfer geben. Deshalb kommen jeden Tag viele Menschen eine Stunde vor dem Beginn der Verhandlung zum Gericht. Es sind Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, aus Paris und anderen Städten, Gewerkschafter*innen und/oder Antifaschist*innen. Wir als Personen, die der Familie und den Freund*innen von Clément beistehen und jeden Tag kommen, werden dreimal kontrolliert und durchsucht. Dabei schaut uns die Polizei noch schief an. Aber wir sind da, um unsere Solidarität zu zeigen. Vor der Eröffnung des Prozesses gab es eine Kundgebung im Pariser Quartier Latin, bei der 200 Menschen die Anerkennung der politischen Dimension des Mordes verlangten. Am ersten Prozesstag haben sich 100 Menschen in der Nähe des Palais de Justice versammelt und am Abend des selben Tages gab es erneut eine Kundgebung in Erinnerung an Clément – an dem Ort, wo er ermordet wurde. Der Name dieser Straße, Rue de Caumartin, wurde symbolisch geändert. An diesem Abend wurde sie zur „Rue Clément Méric“. Vergleichbare Aktionen fanden in vier weiteren Städten statt: in Montreuil und in Saint-Denis, zwei Vororten von Paris, sowie in Nantes und in der südfranzösischen Stadt Auch.
Wir wissen zwar nicht, wie der Prozess ausgehen wird. Aber wir sind uns eines sicher, dass wir weiter kämpfen werden: in Erinnerung an Clément und an alle, die von den Nazis ermordet wurden. Hier in Frankreich und anderswo in der Welt.
Quelle:
Veröffentlicht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland.