PRO ASYL zur bevorstehenden Abschiebung nach Afghanistan
Bund und Länder ignorieren UNHCR-Einschätzung zur Lage im Land
Trotz heftiger Proteste im Vorfeld ist für den heutigen Dienstag der mittlerweile siebzehnte Abschiebeflug nach Kabul geplant. Während das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) feststellt, dass Kabul als Schutzort nicht in Betracht kommt, schiebt Deutschland weiter in die Hauptstadt Afghanistans ab. Dass die Bundesregierung dabei behauptet, die Feststellungen des UNHCR seien lediglich eine »Empfehlung«, der nicht Folge geleistet werden müsse, ist absurd.
»Unrecht wird nicht zu Recht, indem man die Phrasen von den sicheren Inseln in Afghanistan selbst zum siebzehnten Mal wiederholt und Menschen per Abschiebung in Gefahr bringt«, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. »Die Bundesregierung darf Erkenntnisse internationaler Quellen wie des UNHCR nicht in den Wind schlagen. Abschiebungen nach Afghanistan sind unverantwortlich«.
Nach den neuen UNHCR Eligibility Guidelines zu Afghanistan vom 30. August 2018 ist Kabul generell als Schutzort für Betroffene ausgeschlossen. Dies muss zwingend zu einem Abschiebestopp nach Kabul führen – so wie ihn schon Finnland just nach diesem Bericht eingeführt hat. Zusätzlich enthält die UNHCR-Richtlinie wichtige neue Erkenntnisse für andere Großstädte Afghanistans: Für diese müsste eine konkrete Einzelfallprüfung erfolgen – was bisher in der Regel nicht der Fall war. Betroffene müssten diese Städte sicher und legal erreichen können, was in der Realität überhaupt nicht gewährleistet werden kann.
Das Vorgehen der Bundesregierung ist nicht rechtens. UNHCR ist als internationale Erkenntnisquelle zwingend zu berücksichtigen: Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2008 entschieden, dass die UNHCR-Richtlinien zu beachten sind (BVerfG, Beschluss v. 12.03.2008, 2 BvR 378/05). Wenn die Bundesregierung anderweitiger Auffassung ist, so muss sie die tatsächlichen Erkenntnisse des UNHCR, der ja vor Ort ist, zunächst entkräften können.
Doch das Auswärtige Amt registriert im neuen Lagebericht aus Mai 2018 zu Lage in Afghanistan selbst, dass sich die Situation in Kabul verändert bzw. verschlechtert hat. Zum ersten Mal formuliert das AA z.B., dass in Großstädten keine ‚schützende‘ Anonymität mehr zu erwarten sei. Dies aber war ausschlaggebende Begründung für viele Ablehnungen von AfghanInnen gewesen: Die Verfolger würden die Betroffenen schon nicht finden. Zum anderen werden im Lagebericht wichtige Ausführungen zu Zugang zu Unterkunft und Arbeit nach wie vor nicht behandelt. Die Bundesregierung kann ihre ‚andere Ansicht‘ demnach nicht untermauern.
Zusätzlich ist es zwingende Voraussetzung, dass immer die tagesaktuellen Berichte und Entwicklungen berücksichtigt werden müssen – der UNHCR-Bericht ist derzeit der aktuellste Bericht. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht zu Afghanistan jüngst entschieden: Gerichte seien bei einem Land wie Afghanistan aufgrund der Dynamik des dort herrschenden Konflikts und der stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage verpflichtet, »sich laufend über die tatsächlichen Entwicklungen zu unterrichten und nur auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse zu entscheiden« (BVerfG, Beschluss v. 25.04.2018, 2 BvR 2435/17). Das Verfassungsgericht spricht dabei ausdrücklich von einer »tagesaktuellen« Erfassung und Bewertung der entscheidungsrelevanten Tatsachengrundlagen gerade auch hinsichtlich der Zivilbevölkerung.
Die Lage in Afghanistan eskaliert weiter: Allein im September kamen bei mehreren Anschlägen der Taliban Dutzende Menschen ums Leben. Ende September hat der Wahlkampf für die seit drei Jahren überfälligen Parlamentswahlen begonnen. Fast ein Drittel aller Wahllokale wird am wegen der angespannten Sicherheitslage geschlossen bleiben.
Quelle: