Rodungsstopp
Das letzte Wochenende ist für den Energiekonzern RWE kein gutes gewesen, die Schlacht um den Hambacher Wald ist vorläufig für das Unternehmen verloren. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster am Freitag einen vorläufigen Rodungsstopp verfügte, feierten am Samstag viele Tausend Braunkohlegegner ihren Sieg und demonstrierten gleichzeitig für den Kohleausstieg.
Nach Angaben der Veranstalter sollen sich rund 50 000 Menschen an der bislang größten Anti-Kohle-Demonstration im Rheinischen Revier beteiligt haben. Die Veranstalter der Großdemonstration, die Initiative Buirer für Buir, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Campact, Greenpeace und die NaturFreunde Deutschlands, forderten gemeinsam mit den Teilnehmern von der Bundesregierung einen zügigen Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle und von dem Energiekonzern RWE einen Komplettverzicht auf die geplante Rodung des Hambacher Waldes.
Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger sagte auf der Demonstration: „Wir haben heute ein starkes Signal der Zivilgesellschaft für einen schnellen Kohleausstieg gesendet.“ Trotz aller Versuche von RWE und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, den Protest unmöglich zu machen, hätten sich Tausende für mehr Klimaschutz stark gemacht. Nun gebe es ein Zeitfenster in der Kohlekommission, einen großen gesellschaftlichen Kompromiss für den schnellen Kohleausstieg und für zukunftsfähige Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen zu verhandeln.
Am Sonntag hatten Klimaaktivisten erneut damit begonnen, den Hambacher Forst zu besetzen und neue Baumhäuser zu errichten. Die Initiative „Ende Gelände“ hatte am Samstag dazu aufgerufen. Rund 100 Braunkohlegegner sollen dem Aufruf gefolgt sein. Sie hatten Presseberichten zufolge dort in Zelten übernachtet, um tags darauf mit dem Bau neuer Baumhäuser zu beginnen. Am Samstag sollen bereits neue Barrikaden aus Ästen errichtet worden sein.
Am Montag hatte dann die Polizei erklärt, nach wochenlangem Einsatz aus dem Wald abgezogen zu sein. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hatten den Abzug am Sonntag angekündigt: „Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, dass im Wald Ruhe, Ordnung und Frieden einkehren“, sagte er. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Umweltschützer die Situation nicht ausnutzen und neue Baumhäuser und Barrikaden errichten werden.
Ernst gemeint wird er es selbst nicht haben, angesichts dessen, dass Aktivisten schon wieder am Werkeln waren. Die Aussage dürfte eher dazu gedient haben, im Falle eines neuerlichen Polizeieinsatzes den Aktivisten den Schwarzen Peter zuschieben zu können. Die Polizei werde einen weiteren Einsatz in dem Waldgebiet prüfen, hieß es dann auch von einem Polizeisprecher. Die betreffenden Kommunen müssten nur um Vollzugshilfe bitten – etwa, um neue Baumhäuser zu räumen.
Der vergangene Freitag entwickelte sich für den Energieriesen zu einem schwarzen Tag. Kaum hatte das Gericht sein Urteil gefällt, fiel der Börsenwert des Konzerns binnen weniger Stunden um mehr als eine halbe Milliarde Euro. Das Gerichtsurteil habe weitreichende Konsequenzen, erklärte RWE. Durch den Rodungsstopp würde jedes Jahr ein niederer dreistelliger Millionenbetrag ausbleiben. Würde man kurzfristig auf den Tagebau verzichten, würde dies den Konzern vier bis fünf Milliarden Euro kosten.
Nach dem Urteil darf RWE nicht roden, bevor nicht beim Kölner Verwaltungsgericht über eine Klage des Umweltverbandes BUND gegen den Hauptbetriebsplan für den Tagebau Hambach entschieden ist. Damit ist nach Schätzungen von RWE nicht vor Ende 2020 zu rechnen.
Bei dem Kampf um den Hambacher Forst geht es letztlich um mehr als die rund 200 Hektar große uralte Waldfläche. Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschland, machte das bei der Kundgebung am Samstag noch einmal deutlich. Es müsse um das Ende des fossilen Zeitalters gehen, sagte er, denn der Menschheit drohe die Gefahr einer ökologischen Selbstvernichtung. Dass inzwischen mehr als 800000 Menschen den Online-Appell „Hambacher Wald: Retten statt roden“ unterstützen, kann in diesem Zusammenhang als bedeutsam gelten. Diesen Appell zu unterstützen, ist aber nur ein erster Schritt. Wie Michael Müller in seinem Buch „Transformation 3.0“ hervorhebt, bedarf es einer Abkehr von unserer Art zu wirtschaften, um den Kollaps zu verhindern.
Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat das Oberverwaltungsgericht getan. Während RWE meint, mit dem Tagebau werden 15 Prozent des Strombedarfs gedeckt, geht das Gericht davon aus, diese seien – zumindest kurzfristig – aus anderen Quellen ersetzbar. Und glaubt man den von Umweltverbänden in Auftrag gegebenen Studien, dann lässt sich der Braunkohlestrom in diesem Umfang auch dauerhaft ersetzen.
Erschienen in der UZ vom 12.10.2018
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