Ramelow für Einstufung der Maghreb-Staaten als sicher?
PRO ASYL: Wunschdenken jenseits der Realität
Der »Bild« vom 20. November zufolge ist der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) »grundsätzlich bereit«, nach Verhandlungen die Maghreb-Staaten als sicher einzustufen. PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt kritisiert dies scharf: »Wunschdenken und Behauptungen jenseits der Realität dürfen das politische Handeln nicht bestimmen. Die Maghreb-Staaten sind nicht sicher. Ein faires Asylverfahren ist dann nicht gewährleistet«.
PRO ASYL appelliert an die in Thüringen mitregierenden Parteien und insbesondere auch an die Grünen in Hessen, sich gegen ein politisches Geschacher zu stellen. Burkhardt fordert die Grünen in Hessen auf, bei den nun beginnenden Koalitionsverhandlungen »nicht umzufallen. Grund- und menschenrechtliche Standards sind keine Verhandlungsmasse, Menschenrechte sind unteilbar. Die Parteispitze und die Bundestagsfraktion haben sich zurecht gegen das verfassungswidrige Gesetz gestellt«.
PRO ASYL wirft der Großen Koalition vor, sich die Realität in den Maghreb-Staaten zurechtzubiegen. Die Verfolgung von Homosexuellen und politischen Oppositionellen wird bagatellisiert, die Anerkennungsquoten in Deutschland künstlich heruntergerechnet. Sie liegen bei korrekter Rechnung zwischen 5 und 10% und nicht unter der – willkürlich – politisch von der GroKo definierten 5%- Schranke. Dieses Gesetz ist und bleibt verfassungswidrig.
Zur Faktenlage
1) Verfassungsrechtliche Voraussetzungen fehlen
Erstens fehlen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Einstufung von Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien als »sichere« Herkunftsstaaten. Eine Einstufung dieser Länder widerspricht den Vorgaben des Verfassungsgerichts, wonach Sicherheit vor Verfolgung »landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen« muss (BVerfG, Beschluss v. 14. Mai 1996, 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93). Der Gesetzentwurf selbst erkennt das, indem er betont:
- In Algerien ist Homosexualität nach wie vor strafbar. Dabei werde Homosexualität schon dann »strafrechtlich relevant, wenn sie öffentlich sichtbar gelebt wird.« (GE, S. 11).
- In Marokko kann die eigene Meinung nicht frei geäußert werden. »Politische Überzeugungen können frei geäußert werden, solange sie nicht die Person des Königs, den Islam als Staatsreligion oder die territoriale Integrität in Frage stellen.« Außerdem sei »Jeder außereheliche Geschlechtsverkehr und auch Ehebruch (…) strafbar.« (GE, S. 14 f.).
- Auch in Tunesien werden »homosexuelle Handlungen von Männern und Frauen mit Haftstrafen von drei Jahren belegt« (GE, S. 19).
- In Georgien müssen Angehörige sexueller Minderheiten im gesellschaftlichen und beruflichen Leben ebenfalls mit ungleicher Behandlung bis hin zu einzelnen Übergriffen rechnen (GE, S. 9).
Deshalb darf kein Bundesland diesem Entwurf zustimmen – auch das grün-mitregierte Baden-Württemberg nicht, das im eigenen Koalitionsvertrag auf den Punkt bringt: Eine Unterstützung im Bundesrat erfolge nur, »falls die entsprechenden hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen«.
2) EuGH-Urteil wird nicht umgesetzt
Zweitens ignoriert der Gesetzentwurf die Grundsatzentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 19. Juni 2018, nach der abgelehnte AntragstellerInnen die Möglichkeit haben müssen, in Deutschland zu klagen, ohne dass sie währenddessen abgeschoben werden dürfen (Urteil v. 19.06.2018, C-181/16). Bei Menschen aus »sicheren Herkunftsländern«, die als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, ist eine Abschiebung während des laufenden Verfahrens nach deutschem Recht noch möglich (§ 75 i.V.m. § 36 AsylG). Damit ist zwingend eine gesetzliche Änderung erforderlich. Sie fehlt im Entwurf völlig.
3) Asylverfahrensberatung und spezielle Rechtsberatung sind nicht gewährleistet
Drittens: Die verschärfte Wirkung ohne versprochene unabhängige Asylverfahrensberatung und »spezielle Rechtsberatung« ist fatal. Bei der Einreise aus sogenannten »sicheren Herkunftsländern« wird bereits vermutet, dass ein Ausländer aus einem entsprechenden Herkunftsland nicht der politischen Verfolgung unterliegt. Die individuelle Betrachtung wird damit von einer typisierenden – primär ablehnenden – Bewertung verdrängt. Die Widerlegung einer solchen Vermutung ist in der Praxis schwer möglich. Der Asylantrag einer/s Asylsuchenden aus einem solchen Staat wird gem. § 29a AsylG als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt, was wiederum Fristverkürzungen für den weiteren Rechtsweg zur Folge hat.
Weder eine unabhängige, flächendeckende Asylverfahrensberatung noch eine spezielle Rechtsberatung für »besondere vulnerable Gruppen« wird gewährleistet.
Die verschärfte Unterbringung in AnKER-Zentren, besonderen Aufnahmeeinrichtungen oder anderweitig benannten Großunterkünften hat fatale Auswirkungen für die Asylverfahren selbst. Durch die Isolation und Abschirmung der Betroffenen in diesen Zentren ist es kaum möglich, Rechtsbeistand oder ehrenamtliche Unterstützung zu erhalten. Genau das wäre aber gerade erforderlich, um im Einzelfall die Besonderheit des Falles herauszuarbeiten.
Zwingend notwendig ist vor der Überlegung weiterer Verschärfungen im Asylverfahren endlich die unabhängige, flächendeckende Asylverfahrensberatung – so wie es der Koalitionsvertrag der Großen Koalition explizit verspricht (KV, Z. 4994 f.). Die Bundesländer müssen sich auf diese Vereinbarung auf Bundesebene verlassen können und deren Einhaltung einfordern. Dabei schließt die »Unabhängigkeit« der Verfahrensberatung eine staatliche Beratung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus, da der Staat über den Asylantrag entscheiden muss und damit als eine Art Partei am Verfahren beteiligt ist. Ebenso ist klar, dass eine »flächendeckende« Beratung über die AnKER-Zentren hinausgehen muss.
Ebenso fehlt die im Koalitionsvertrag im Kontext der Asylsuchenden aus »sicheren Herkunftsstaaten« vereinbarte »spezielle Rechtsberatung für besondere vulnerable Fluchtgruppen« (KV, Z. 5060 ff.). Der Gesetzentwurf verweist nur darauf, dass das BAMF derzeit an einem Konzept zur Umsetzung und Sicherstellung einer solchen Rechtsberatung arbeite (GE, S. 5).
4) Die fadenscheinige Begründung sind gedrückte Quoten
Viertens begründet das Bundesinnenministerium die Einstufung zu »sicheren Herkunftsstaaten« auch damit, dass die Anerkennungsquoten der AntragstellerInnen aus diesen Ländern so gering seien. Dabei werden die Quoten seitens der Bundesregierung künstlich heruntergerechnet. Bei der Frage, zu welchem Anteil Menschen aus einem bestimmten Herkunftsland schutzbedürftig sind oder nicht, dürfen nur die Ablehnungen negativ berücksichtigt werden, die inhaltlich wegen einer fehlenden Schutzbedürftigkeit abgelehnt wurden (»bereinigte Quote«). Tatsächlich aber werden von der Bundesregierung auch die formellen Ablehnungen mit eingerechnet, was die Schutzquoten nach unten drückt (»unbereinigte« Quote).
Beispiel: Ein Schutzsuchender erhält in Deutschland eine formelle Ablehnung aufgrund der sog. Dublin-Verordnung, weil Frankreich für die Prüfung des Asylantrags in diesem Fall zuständig ist. In Frankreich aber erhält diese Person dann die volle Flüchtlingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention. In Deutschland zählt dieser Fall dennoch als Ablehnung und zieht damit die Schutzquote herunter. Diese formelle Entscheidung wird also genutzt, um die generelle Schutzbedürftigkeit von Menschen aus einem bestimmten Herkunftsland zu verneinen. Mit anderen Worten: Ein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gilt im Sinne der Statistik der Bundesregierung als nicht schutzbedürftig.
Während also bei Tunesien das Bundesinnenministerium (BMI) für das erste Halbjahr 2018 von einer Anerkennungsquote von 2,7 Prozent spricht, liegt die bereinigte Gesamtschutzquote bei 6,4 Prozent. Bei steht Algerien die gedrückte Quote von 2,2 einer tatsächlichen Quote von 5,5 Prozent gegenüber, bei Marokko 4,6 zu 9,3 Prozent.
Zusätzlich müssen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die Entscheidungsquoten des BAMF, sondern auch die Erfolgsquoten vor den Verwaltungsgerichten hinzugezogen werden – ohne dass der Verweis auf die Zahlen überhaupt eine Prüfung ersetzen könnte:
»Dabei sind die Entscheidungspraxis des Bundesamtes wie die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu berücksichtigen; ferner kann ein Vergleich mit den Anerkennungsquoten anderer europäischer Staaten hilfreich sein. Eine eigenständige Prüfung der Verhältnisse in dem betreffenden Staat anhand der von der Verfassung vorgegebenen Prüfkriterien wird dadurch freilich nicht ersetzt«. (BVerfG, Beschluss v. 14. Mai 1996, 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93).
Angesichts dieser Fakten sprechen alle rationalen und rechtsstaatliche Gründe für sorgfältige Asylverfahren und gegen die pauschalisierende Einstufung als »sichere Herkunftsländer«.
Quelle: