Nichts Neues vom Affenfelsen
Die spanische Regierung befürchtet, die EU könnte sich in die von Madrid gewünschten Verhandlungen mit der britischen Regierung um den Status der Hafenstadt Gibraltar an der Südspitze der Iberischen Halbinsel einmischen und hat deshalb mit einem »Nein« zum Brexit-Abkommen gedroht. Für Madrid sei es »unvorstellbar« , daß die Zukunft des britischen Überseegebiets von Verhandlungen zwischen London und Brüssel abhängig sei, sagte Premier Pedro Sánchez am Dienstag.
Eigentlich wollten die EU und Großbritannien ihren Brexit-Kompromiß am kommenden Sonntag bei einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten beschließen. Beide Seiten haben jedoch deutlich gemacht, daß sie den nur mühsam zustande gebrachten Scheidungsvertrag nicht mehr verändern wollen. Wenn Madrid nicht nachgibt und weiter auf sein Recht pocht, die Zukunft Gibraltars in bilateralen Gesprächen mit London zu verhandeln, fiele Madrid de facto ein Vetorecht zu.
Außenminister Josep Borrell hatte bereits am Montag betont, künftige Verhandlungen über Gibraltar müßten von Verhandlungen über die Beziehungen zwischen Brüssel und Großbritannien getrennt werden. Solange dies im Brexit-Abkommen nicht eindeutig formuliert sei, »werden wir nicht in der Lage sein, unsere Zustimmung zu geben« , so Borrell.
Die Kontrolle Londons über Gibraltar geht auf den »Frieden von Utrecht« zurück, der 1713 den Spanischen Erbfolgekrieg beendete. In diesem Abkommen zwischen den europäischen Großmächten hatte das Königshaus der Bourbonen den seit 1704 von den Engländern besetzten Affenfelsen an London abgetreten. Seither wiederholte Spanien immer wieder seine Ansprüche auf die Kronkolonie. Sowohl im 18. Jahrhundert als auch während der Franco-Diktatur in den 50er Jahren versuchte Spanien mehrfach vergeblich, das nur 6,5 Quadratkilometer große Gebiet zurückzuerobern. Die heute rund 30.000 Einwohner sind meist portugiesischer, italienischer, spanischer oder marokkanischer Herkunft. Zu den wichtigsten Einnahmequellen gehört der Tourismus. Zudem hat Gibraltar seinen Finanzplatz entwickelt.
Das Ende des im 19. Jahrhundert eroberten Britischen Empires setzte mit dem Ersten Weltkrieg ein. Das Wirtschaftssystem begann zu wanken, als die Schulden des britischen Fiskus bei USA-Privatbanken stiegen und japanische, US-amerikanische und zeitweise auch deutsche Konkurrenten den britischen Konzernen den Rang abliefen. Viele Halbkolonien wie Argentinien wechselten ihren Patron und konnten nicht länger zur britischen Einflußzone gerechnet werden.
Ab 1947 erlangten Britisch-Indien und weitere britische Kolonien in Afrika, Asien, dem Pazifik und Zentralamerika ihre Unabhängigkeit, doch neben der Aufrechterhaltung postkolonialer Strukturen dort konnte sich London Minikolonien auf allen Ozeanen sichern. Die Bedeutung dieses Rest-Empires wurde zuletzt deutlich, als der Tory-Politiker Michael Howard im Frühjahr 2017 sagte, seine Parteifreundin und bis heute amtierende Premierministerin Theresa May könne geneigt sein, zur Verteidigung von Gibraltar mit Spanien in den Krieg zu ziehen. Howard zog dabei Vergleiche mit dem »Falklands War« 1982 gegen Argentinien um die Malwinen im Südatlantik.
Der britische Imperialismus ist sich der Bedeutung des Rest-Empires bewußt und würde im Ernstfall wohl bis zum Äußersten gehen…
Oliver Wagner
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