23. November 2024

„Versuchskaninchen für Repression“

Auf einem Trampelpfad neben der Tangente kesselte die Wiener Polizei am Sonntag 1.338 Rapid-Fans sieben Stunden lang bei Minusgraden. Frauen und Kinder waren auch dabei. Du bist Augenzeuge: Hat irgendein Beamter protestiert?

Georg Maurer: Was die Polizisten der Einsatzeinheit sich jeweils dabei dachten ist naturgemäß schwer zu sagen. Als Fußballfan, der seit Jahren zu Spielen fährt, ist man sich dessen bewusst, dass dir Polzisten grundsätzlich eher negativ gegenüber eingestellt sind. Schikanen aller Arten sind da leider mehr die Regel denn die Ausnahme, wenngleich der Kessel eine nie dagewesenen Ausmaßes darstellt. Das hat man teilweise auch den PolizistInnen angemerkt. Deren Antworten und Aussagen waren größtenteils patzig und passiv-aggressiv. Von einem Protest der BeamtInnen war wenig bis nichts zu merken. Ganz im Gegenteil: Einige drohten den Fans bei Beschwerden, waren abweisend oder erklärten, sie müssten auch seit Stunden hier stehen. Der Hinweis, dass es schon einen Unterschied mache, ob man hier als Eingekesselter steht oder Einkesselnder ist, stieß auf Unverständnis. Die „positivste“ Aussage, die ich mitbekam war, dass ein Polizist meinte er könne nichts machen, da er selbst nur ganz unten in der Rangordnung steht.

Kam der Kessel plötzlich?

Es dauerte einige Zeit bis wir überhaupt realisierten, dass wir uns in einem Kessel befinden. Mehrminütige Anhaltungen durch die Polizei sind bei einer Auswärtsreise durchaus üblich. Alle Vorwürfe der Polizei sind völlig lächerlich, keinem in diesem Kessel wäre irgendetwas aufgefallen, was diesen zu solch menschenunwürdigen Umständen gerechtfertigt hätte. Nach gut zwanzig Minuten realisierten wir, dass etwas komisch ist und uns die Polizei wohl provozieren möchte. Dass das in eine solche Schikane münden würde, haben wir zu dem Zeitpunkt noch nicht gedacht. Nach knapp einer Stunde war uns dann klar, dass wir das Spiel wohl nicht mehr sehen und die meisten noch länger hier stehen würden.

Angeblich wurdet ihr mit Heißgetränken und Essen von der Polizei versorgt, die Rechtshilfe verneint das. Wer hat Recht?

Während ich im Kessel war, gab es weder Getränke noch Essen – und schon gar nicht die Möglichkeit, ungestört sein Geschäft zu verrichten. Klagen über Schwindel, Durst oder die sanitären Verhältnisse wurden seitens der Exekutive abgewiesen, Frauen wurde gar erzählt sie sollen sich einfach an die Wand hocken und dort ihren Bedürfnissen freien Lauf lassen, was einige dann auch notgedrungen taten. Erst zu späterer Stunde – als ich nicht mehr eingekesselt war – erhielten einige Personen Heißgetränke. Diese wurden allerdings von freigelassenen Fans organisiert und nicht von der Polizei und es bedurfte viel Überredungsarbeit, bis der Tee den Eingekesselten ausgehändigt wurde, wie ich hörte. Ich konnte aufgrund des Platzverbotes, das jeder Eingekesselte nach seiner Identitätsfeststellung erhielt, leider nicht mehr vor Ort sein. Deshalb kann ich auch nicht sagen, wer zum fraglichen Zeitpunkt wirklich etwas zu trinken erhielt.

Warum hat die Polizei überhaupt dieses Nadelöhr zum Stadion festgelegt?

Schon seit Jahren werden Auswärtsfans bei der Anreise von der Polizei durch diesen schmalen Trampelpfad neben der Tangente geschleust. Es gäbe mit Sicherheit andere Möglichkeiten, die Anreise weniger gefährlich zu gestalten. Warum die Polizei trotz Hinweisen von Fans immer wieder diesen Weg wählt, weiß sie wohl nur selbst. Möglicherweise, weil es die Möglichkeit gibt, dort Fans schnell und einfach einzukesseln.

Für die Rechtshilfe war das eine typische Kickl-Aktion. Mit ihm als Minister habe sich die Repression gegen organisierte Fans verschärft. Wie empfindest du das?

Die Repression hat mit der schwarz-blauen Regierung deutlich zugenommen. Das merkt man bei fast jedem Spiel. Die Polizei agiert wesentlich aggressiver und repressiver und man hat das Gefühlt, dass sie vom Innenminister einen Freifahrtschein für ihr Handeln bekommen hat. So wollte Kickl alle Fortschritte, die man in den letzten Jahren bezüglich der Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion gemacht hat wieder rückgängig machen. Auf die – zugegeben teils provokanten, doch meiner Meinung nach vollkommen nachvollziehbaren – Proteste der Rapid-Fans gegen seine Person, reagierte er, indem er Verfassungsschutz auf sie ansetzte. Auch Fans anderer Klubs mussten viel unangenehmere Erfahrungen mit Polizei machen, als das vor der neuen Regierung der Fall war. Aber die Kesselaktion vom Derby war mit Sicherheit der bisherige Höhepunkt in diesem Prozess.

Was hast du in der Richtung vernommen?

Man merkt wie gesagt, dass die Polizei wesentlich ungezügelter auftritt als zuvor. Und dass mit aller Härte gegen jede Gruppe vorgegangen wird, die im Widerspruch zur herrschenden Politik stehen. Fußball-Fans genießen generell einen schlechten Ruf in der Gesellschaft, was auch mit allerhand Stereotypen zusammenhängt, die über sie verbreitet werden. Deshalb dienen sie traditionell als Versuchskaninchen für diverse Repressionsmaßnahmen. Selbst das sonst so schnell empörte links-liberale Bürgertum begrüßt oftmals ungerechtfertigtes Vorgehen gegen Fußball-Fans, vor allem wenn es die aktive Fanszene betrifft. Beispielsweise wurde der Landfriedensbruchparagraph, der lange als totes Recht galt, erstmals wieder auf Rapid-Fans angewandt, um kurze Zeit später auch gegen politische Demonstrationen wieder zum Einsatz zu kommen. Die Reaktion diverser FPÖ und ÖVP Politiker auf den Kesselskandal sagt denke ich genug darüber aus, wessen Geistes Kind diese Aktion war.

Mit welchen weiteren Repressalien ist zu rechnen?

Wie die Repressalien ausfallen werden bleibt abzuwarten. Das könnte jemand mit juristischem Hintergrund wohl besser beantworten als ich. Allerdings meine ich durch die Erfahrungen der letzten Monate: Nichts Gutes. Es bleibt zu befürchten, dass die Repression erneut steigen wird.

Welche Rolle spielt die Austria in diesem Zusammenhang?

Die Austria ist nicht gerade für ihren fanfreundlichen Umgang bekannt. So sprechen sie sich auch für Kollektivstrafen aus und kooperieren erfahrungsgemäß sehr undifferenziert mit der Polizei.

Wie können sich radikale und revolutionäre Linke solidarisieren?

Wichtig wäre, den Fans nicht ständig das Gefühl zu vermitteln, sie für ihre politischen Zwecke vereinnahmen zu wollen, sondern ihre Anliegen ernst zu nehmen. Generell ist die Politikverdrossenheit innerhalb der Fanszene sehr hoch. Das soll nicht heißen, dass Fußball-Fans keine politische Meinung hätten, sondern dass alles was in Form einer Partei oder politischen Organisation auftritt durch die Erfahrungen der Vergangenheit bei vielen schnell auf Ablehnung stößt. Das Problem vieler Linken im Umgang mit Polizeirepression in der Vergangenheit war, dass sie sich dieser erst immer ernsthaft entgegenstellten, wenn es sie selbst betraf. Das liegt daran, dass vielen der Zugang zum Thema Fußball fehlt und man Fußball-Fans deshalb oft nur mit Ignoranz begegnet oder ihnen das Gefühl vermittelt, man möchte sie instrumentalisieren. Fakt ist, dass die aktive Fankultur in sehr vielen Ländern die größte (Jugend-)Bewegung darstellt. Außerdem ist sie gleichzeitig ihrem Naturell nach Gegenkultur zum Kapitalismus, weil sie im Endeffekt dafür eintritt, dass Fußball Volkssport bleibt bzw. wird und somit gegen den zunehmenden Ökonomisiserungsprozess des Sports auftritt. Das zu verstehen ist die Prämisse, um wahre Solidarität zeigen zu können und sich nicht in leeren Worthülsen zu verlieren.

*Georg lebt in Wien. Er ist seit Jahren aktiver Rapidfan. Sein echter Name ist der Redaktion bekannt. Das Interview führte Moša Marković.

Die Rechtshilfe Rapid trägt auf ihrer Website laufend neue Infos zum Kesselskandal zusammen.

Quelle:

Partei der Arbeit Österreichs

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