Und immer die Vögel
Für den Solidaritätsabend im Schauspielhaus Wien verfasste Max Zirngast den eindrücklichen Essay „Geräusche. Ein Versuch“. Sein langjähriger Freund, der Autor und Dramatiker Thomas Köck, verlas ihn zu Beginn der Veranstaltung. Übersetzt wurde das Schriftstück von Alp Kayserilioğlu.
4. Dezember 2018
Hochsicherheitsgefängnis Sincan 2, Ankara
Geräusche. Ein Versuch.
Morgens Stille. Manchmal der Regen, wie er in den Hof fällt. Vielleicht die Vögel. Das Vogelgezwitscher: unser Freund. Spatzen, Meisen, Raben. Einige sind schon weg, einige bleiben mit uns, im Winter von Ankara.
Vielleicht das Geräusch von laufendem Wasser aus dem angrenzenden Zimmer. Irgendwo geht eine Tür auf: Die Schlüssel der Wächter. Aber großteils Stille, vor allem morgens. Die Geräusche des Stadtlebens gibt es hier nicht. Ab und an hört man ein Flugzeug.
Zählung. Die Tür zum Hof wird mit Tritten geöffnet. Quasi ein „Guten Morgen!“, getreten gegen Eisen.
Die Tür zum Korridor. Drei Schlösser werden geöffnet. Klak – klak – klak. Schritte, Schlüssel klirren. Kommen sie zu uns? Nein, zum Nebenzimmer. Medizin bringen.
Dann macht ein Wagen seine Runde. Obwohl, eher eine Plastikbox auf Rädern. Warum wohl, kommt er etwa zu uns?
Die Tür zum Korridor geht wieder auf. Klak – klak – klak. Diesmal ist es für uns! Einmal „tak“, das Gitter in der Mitte unserer Tür geht auf. „MAX“, „BRIEF!“. Oder: „UNTERSCHRIFT!“. Oder unsere Tür wird ganz aufgemacht. Dann heißt es „BESUCH!“ oder „ANWALT!“ oder „TELEFON!“. In diesem Fall verlassen wir das Zimmer. Leibesvisitation, das „beep, beep“ der Metalldetektoren.
Mittlerweile können wir von vornherein antizipieren, worum es geht. Manche Wächter klopfen auf den Eisenriegel, der zur Schließung und Öffnung des Gitters an unserer Tür dient, um uns zu „rufen“. Tik – tik – tik – tik – ein schnelles und nervtötendes Geräusch. Eisen auf Eisen. Ich hasse dieses Geräusch. Allein schon damit sie es nicht machen, halte ich mich immer bereit.
In irgendeinem Hof wird Ball gespielt. Irgendeiner singt immer. Aus unterschiedlichen Zimmern rufen sie sich zu. Brüllend Gespräche führen. In der Entfernung die Geräusche der Soldaten. Sie grüßen irgendjemanden. Oder ist gerade Schichtwechsel der Wächter? Und immer die Vögel.
Sie kommen, um die Tür zum Hof zuzumachen. Manchmal schmeißen sie die Tür zu. „TSCHAK!“. Genug frische Luft für den heutigen Tag!
Wasser tropft. Von dem eisernen Rahmen des Fensters. Aufgrund des Temperaturunterschiedes sammelt sich viel Wasser auf der Innenseite an. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Es tropft. Ganz langsam. Damit es nicht auf den Boden tropft, haben wir einen großen Wasserbehälter aufgeschnitten und ihn drunter gestellt. Quasi als Eimer. Damit das tropfende Wasser nicht zu viel Geräusche macht, haben wir noch einen Schwamm reingetan.
So ist das. Drei bis fünf Geräusche, alles mittlerweile altbekannt. Immer dasselbe. Und ab und an: unsere eigenen Stimmen! Gespräche unter Freunden, der Klang der Gitarre, eine Arabeske. Jeden Tag neue Themen, neue Gedanken, neue Arabesken. Gemeinsam mit den Vögeln sind wir das Leben an diesem verlassenen, leblosen Ort.
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