26. Dezember 2024

Annette Düring: Rede zur Erinnerung an 100 Jahre Bremer Räterepublik

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde,

Ich begrüße euch zu unserer Gedenkveranstaltung für die Gefallenen der Niederschlagung der Bremischen Räterepublik.
100 Jahre Gedenken an die Bremer Räterepublik, einhundert Jahre deutsche Geschichte, 100 Jahre Geschichte in Bremen.
Ich habe dabei ein Bild vor Augen, immer, wenn ich am Bremer Rathaus vorbeigehe: das Bremer Rathaus mit der roten Flagge im November 1918, ein Bild, das wir gerade in diesen Zeiten des Gedenkens wieder des Öfteren in den Medien sehen.

Was war geschehen in diesen Novembertagen, den letzten Tagen des ersten Weltkrieges? Der Zusammenbruch einer verantwortungslosen monarchistisch-militaristischen deutschen Staatsführung und ihren Helfershelfern in Verwaltung, Justiz und Wirtschaft, die Millionen Menschen auf den Schlachtfeldern an den Fronten in den Tod getrieben hatte, hunderttausende Verletzte und Invaliden in den kriegführenden Ländern zurückgelassen und die Bevölkerung in den deutschen Städten und Dörfern in Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit getrieben hatte.

Am 9. November ruft Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichtages die erste deutsche Republik aus. Am 14. November 1918 übernimmt ein Arbeiter- und Soldatenrat die politische Macht in Bremen. Am 22. November beschließt die im Kaffee Flora tagende Volksversammlung unter anderem die sofortige Bewaffnung der industriellen Arbeiterschaft, die Aufhebung des Bremer Senats, der Schutzmannschaften und der Kriminalpolizei. Am 10 Januar wird die sozialistische Rätepublik Bremen proklamiert. Bereits am 15. Januar leiten die bürgerlichen Kräfte das Ende der Räterepublik ein. Die Banken sperren die Kredite und verweigern der neuen Regierung die Auszahlung von Geldern für Löhne und Gehälter, Abgesandte der Bremischen Kaufleute, der Bremer Wirtschaft, fordern die in Berlin unter Friedrich Ebert gebildete Regierung auf, in Bremen wieder Ruhe und Ordnung herzustellen.

Am 4. Februar erfolgte dann auf Befehl des Reichswehrministers Gustav Noske der Angriff auf Bremen. Gegen Abend brach der Widerstand der Verteidiger zusammen, 30 Arbeiter und Soldaten waren auf Seiten der Bremer Räterepublik gefallen

Heute, fast auf den Tag genau einhundert Jahre später, stehen wir am Mahnmal dieser Menschen, die ihr Leben für das erste demokratische Gemeinwesen in Bremen gegeben haben. Sie haben gekämpft für die Prinzipien von Freiheit und Gleichberechtigung, letztlich von umfassender gesellschaftlicher Mitbestimmung und dem Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens.

Wie ging es weiter nach der Niederschlagung der Bremer Räterepublik? Die alten Institutionen, Senat und Bürgerschaft, übernahmen wieder die Staatsgewalt – in einer neuen Republik zwar, der Weimarer Republik. Deren Scheitern war aber bereits in der Zerrissenheit der politischen Kräfte, der Kämpfe um Macht und Einfluss in der Arbeiterschaft, zwischen den Parteien und auch in den Gewerkschaften angelegt. Und so konnten in der kommenden Dekade deutsch-nationale Strömungen mit massiver Unterstützung des Kapitals die Ansätze einer demokratischen Entwicklung in Deutschland aushebeln mit den bekannten Folgen.
Ein weiteres Bild in meinem Kopf, und nur 14 Jahre später, am 5. März 1933, Reichstagswahlen in Deutschland und die Hakenkreuzfahne am Roland. Die Nazis an der Macht. Und sie verfahren schlimmer als die Freicorps, die die Räterepublik niederkartäscht haben. Sie merzen aus, was an die Republik erinnert: Parteien und Gewerkschaften der Arbeiterschaft: Sie bringen diejenigen, die sich für Freiheit, für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, für die Menschenwürde einsetzen, in die Gefängnisse und Konzentrationslager. Sie propagieren ein Herrenmenschentum, dass die arische Rasse zum Leitbild macht, dem sich alle anderen zu unterwerfen haben. Als Spitze aller Perfidität erklären sie das Judentum zur Ursache allen Übels in der Welt und ermorden – auch in der Mitte der deutschen Gesellschaft – 6 Millionen Juden in ihren Konzentrationslagern. Sie entfachen einen Weltkrieg, in dem insgesamt 50 Millionen Menschen umgekommen sind.

Mit der Erklärung der Menschenrechte am 10 Dezember 1948 sollten Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als Grundrechte aller Menschen zur Leitlinie politischen Handelns werden, damit Willkür, Ausbeutung, Rassismus und Ausgrenzung keinen Raum bekommen sowohl im staatlichen Handeln als auch im Umgehen der Menschen miteinander.

Und heute, 100 Jahre nach dem Ende der Räterepublik, mehr als 70 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus? In welchen Zeiten leben wir? Mehr als 70 Jahre Frieden in unserem Land. Eine wirtschaftliche Entwicklung, die uns zu einer der reichsten Nationen der Welt gemacht hat. Eine europäische Union, die die Grenzen zu ehemaligen sogenannten Feinden beseitigt zu haben scheint. Eine Veränderung in der Welt, die alte Machtblöcke zerrissen und neue geschaffen hat.

Und wenn ich ein weiteres Bild bemühen sollte: wenn ich heute an manchen Tagen am Rathaus vorbeigehe, dann sehe ich die Speckflagge und daneben die europäische Fahne und um mich herum eine Stadt in all ihrer Vielfalt; eine Stadt, in der ich gerne lebe.

Und doch sehen wir heute eine gefährliche Veränderung in unserem Alltag und auch in der politischen Entwicklung in Europa und darüber hinaus. Die Gier nach Profit hat ein nie gekanntes Maß erreicht. Die Spaltung der Gesellschaften, ja die Spaltung der Welt in arm und reich nimmt in einem Maße zu, das das Leben für viele Menschen auf anderen Kontinenten aber auch in Europa und in Deutschland schwer erträglich macht.

Die zunehmende Konkurrenz um Ressourcen, um Arbeit, um menschenwürdige Lebensumstände befördert Nationale Egoismen, kulturelle Vorurteile, Diskriminierung und Ausgrenzung Anderer. Sie bereitet den Boden für diejenigen, die die Schwachen verachten, die Rücksichtslosigkeit und Geschichtsvergessenheit zur Leitschnur ihres politischen Handelns machen. Wer die Nazizeit als historischen Vogelschiss verharmlost, für den hat unser Leitspruch Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg! keine Bedeutung.

Das wollen und können wir nicht hinnehmen. Gerade deswegen stehen wir heute hier im Gedenken an die Gefallenen des 4. Februar 1919. Sie haben für die Idee eines menschenwürdigen Lebens für die arbeitende Bevölkerung gekämpft und sind dabei getötet worden. Ihr Andenken verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung.

Die getöteten Kämpfer der Bremer Räterepublik mahnen uns auch gerade heute wieder, aus der Vergangenheit Lehren zu ziehen.
Wenn wir uns nicht auf den Weg begeben, herauszuarbeiten, was die zunehmende Spaltung der Gesellschaft aufhalten kann; wenn wir uns nicht gemeinsam gegen soziale Ungleichheit, Spaltung, Hass und Hetze stellen, jede und jeder an seinem Platz; und gerade auch die Gewerkschaften zusammen mit den Betriebs- und Personalräten, den Vertrauensleuten in der Arbeitswelt, in unserem Wohnumfeld, in der Politik, müssen wir uns fragen lassen, was wir dagegen getan haben, als wir es noch in der Hand hatten?

Ich danke euch!

Quelle:

VVN-BdA Landesvereinigung Bremen

Bremen