Noch mehr Flexibilisierung?
Praktisch in allen Wirtschaftsbereichen haben Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitszeitorganisation in den letzten Jahren dermaßen zugenommen, dass inzwischen in vielen Betrieben kurzfristig abgeänderte Schichtpläne, unregelmäßige Arbeitszeiten und häufig wechselnde Schichtdauern genauso zum Arbeitsalltag gehören wie chronischer Personalmangel, längere Arbeitszeiten, zunehmende Mehrarbeit, nicht vergütete Überstunden, gekürzte Ruhepausen oder gestrichene freie Tage. Fakt ist, dass sich die Arbeitsbedingungen vielerorts deutlich verschlechtert haben.
Während beispielsweise im Handel Supermärkte inzwischen jeden Sonntag – auch zu Ostern und Pfingsten – bis 13.00 Uhr geöffnet haben und an Samstagen und am Vorabend von Feiertagen seit einigen Jahren längere Öffnungszeiten gelten, werden den Beschäftigten in anderen Sektoren zunehmend Überstunden aufgezwungen. Sogar zu Weihnachten musste das Personal eines Supermarktes Präsenz zeigen.
Eine Entwicklung, die zur Folge hat, dass immer größere Teile der Beschäftigten – es trifft größtenteils Erwerbstätige, die kaum mehr als den Mindestlohn verdienen – Probleme damit haben, Beruf, Privatleben und Freizeit in Einklang zu bringen. Ihnen werden seit Jahren rücksichtslos Verschlechterungen aufgezwungen, ohne dass zuvor die erforderlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen wurden. Fehlende Kinderkrippen und Tagesstätten, in denen Kinder während den abendlichen Arbeitszeiten sowie an den Wochenenden betreut werden könnten, während ihre Eltern arbeiten müssen, belegen dies in aller Deutlichkeit.
Hinzu kommt, dass die zunehmende Flexibilisierung und massive Deregulierung der Arbeitszeitregelung für die Betroffenen auch gesundheitlich immer schwerer zu verkraften sind. Wie es nämlich offizielle Statistiken zeigen, ist sowohl physische wie auch psychische Überlastung immer häufiger die Ursache von Krankschreibungen.
Eine Wende zum Positiven ist kaum zu erwarten. Das Gegenteil ist eher der Fall, zumal Unternehmer bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Einführung einer noch größeren Flexibilität fordern. Meistens mit Erfolg, wie es die bei der letztlichen Reform des PAN-Gesetzes erfolgten Ausweitung der Referenzperiode von einem auf vier Monate zeigt.
Weder die Regierungsparteien noch die CSV sprechen sich offen gegen längere Arbeitszeiten aus. So könnten sich die Grünen beispielsweise gewisse Anreize für Betriebe bei innovativen Arbeitszeitmodellen vorstellen, die LSAP wäre nicht abgeneigt flexibleren Arbeitszeiten zuzustimmen, wenn diese zuvor mit Gewerkschaften und Personalvertretern abgesprochen wären – also ebenfalls nicht unbedingt gegen längere Arbeitszeiten und mehr Flexibilität – , während die DP ihrerseits nicht nur für eine Schwächung der gewerkschaftlichen Verhandlungsrechte zugunsten von mehr Flexibilität durch Innerbetriebliche Vereinbarungen steht, sondern sich im Koalitionsprogramm auch einen Ausbau der Referenzperiode auf 12 Monate hätte vorstellen können.
Heuchlerich hielt die Partei von Premier Bettel schon in ihrem Wahlprogramm fest, Arbeitszeitmodelle und neue Arbeitszeitregelungen sollten auf »freiwilliger« Basis eingeführt werden, man solle jeden so arbeiten lassen, wie er möchte – wissend, dass nicht die Erwerbstätigen über Arbeitszeiten und Schichtpläne entscheiden, sondern allein das Patronat.
Arbeitszeitmodelle im Interesse der Schaffenden sind unter solchen Umständen kaum vorstellbar.
gilbert simonelli
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