Brexit, Corbyn, Class struggle
Interview: Das Vereinigte Königreich erlebt aktuell viele politische Krisen. Wir haben Johnnie (25) und Robin (24) von der Young Communist League YCL nach ihren Einschätzungen gefragt.
POSITION: Obwohl die Brexit-Kampagne vor allen von rechten Kräften getragen wurde, seid auch ihr für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Warum?
JOHNNIE: Unsere Haltung zur Europäischen Union (EU) ist eine grundsätzliche und wir sind uns da ja auch mit den anderen kommunistischen Jugendorganisationen aus Europa einig: Die EU ist eine imperialistische Institution, die antidemokratisch und imperialistisch ist.
Klar, bei der Kampagne vor der Abstimmung über den Austritt aus der EU haben vor allem die bürgerlichen Torries und die rechte UKIP-Partei die Debatte dominiert. Das ist aber nicht verwunderlich, schließlich schenkten die kapitalistischen Medien ihnen die meisten Aufmerksamkeit. Aber es ist nicht so, dass es nur diese rechte Kampagne für den Brexit gab. Innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zum Beispiel gab es durchgehend auch linke und progressive Stimmen, die sich für einen Brexit ausgesprochen haben. Und auch die Abstimmung selber war immerhin die größte demokratische Entscheidung in der Geschichte unseres Landes. Ich denke nicht, dass die Mehrheit der WählerInnen aufgrund der xenophoben oder immigrantenfeindlichen Hetze der Rechten für den Brexit gestimmt hat. Ich denke vielmehr, dass es der Respekt vor einem gewählten Parlament, also das Verlangen nach nationaler Selbstbestimmung ist, was viele bewegte für den Brexit zu stimmen.Robin: Hinzu kommt natürlich dass durch die EU-Mitgliedschaft unsere Industrie verwüstet wurde und die Verbreitung von Armut dadurch eine neue Stufe erreichte. Rechte und opportunistische Kräfte haben diese Situation und das Fehlen einer Alternative ausgenutzt um ihre Kampagne gegen die EU zu begründen.
POSITION: Wie stehen die Herrschenden in Großbritannien zum Austritt aus der EU? Sind sie dafür oder dagegen?
JOHNNIE: Wir haben beobachtet, dass die Veränderung der Umfragewerte zum Brexit auch die Haltung der Konservativen Partei angepasst hat. Das ist am Ende ein Ausdruck der Zerrissenheit der herrschenden Klasse in unserem Land. Der Riss zur Frage, wie sie zum Brexit stehen, geht durch alle Teile der herrschenden Klasse und ihrer konservativen Torie-Partei. Die Mehrheit von ihnen ist aber klar für den EU-Austritt. Diese Mehrheit kommt durch die Verflechtungen mit dem US-Amerikanischen Kapital zustande, welche eben auch Interesse an einem Austritt hat um den eigenen Einfluss zu verstärken.
POSITION: Welche Folgen ergeben sich durch den Brexit für Jugendliche und die Arbeiterklasse?
JOHNNIE: Der Brexit eröffnet natürlich neue Möglichkeiten: Zum Beispiel, dass eine demokratisch gewählte Regierung in Britannien progressive Politik machen könnte, die in der EU bisher nicht machbar gewesen wäre. Wie beispielsweise Investitionen in regionale Industrien oder die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie sowie weitere Maßnahmen, die durch die EU-Regeln verboten sind.
ROBIN: Für die Arbeiterklasse und die Jugend ist durch den Brexit also nichts garantiert aber unsere Möglichkeiten durch den Klassenkampf Druck auf die Herrschenden auszuüben werden konkreter. Bisher konnten die Herrschenden immer auf Brüssel und die EU zeigen und sagen, dass ihnen die Hände gebunden seien. Jetzt ist wieder für alle offensichtlich, dass die Macht in Westminster London liegt. Das kann innerhalb der Jugend und der Arbeiterklasse das Bewusstsein heben.
POSITION: Der letzte Menschenrechtsreport der Vereinten Nationen (UNO) weist auf die wachsende Armut in Großbritannien hin. Was macht ihr dazu?
JOHNNIE: Die sozialen Angriffe auf die Arbeiterklasse treffen natürlich als erstes und am heftigsten die Ärmsten. Bei uns wächst eins von vier Kindern bereits in Armut auf. Das ist ein Verbrechen, schließlich sind wir eines der reichsten Länder der Welt. Wir versuchen also die Öffentlichkeit darüber zu informieren und die Politik des Sozialraubs zu beenden. Dazu haben wir eine landesweite Sammlung von Lebensmittel auf die Beine gestellt, um niemanden alleine zu lassen. Denn die Herrschenden haben den steuerfinanzierten Wohlfahrtsstaat zerschlagen und die Bevölkerung mit leeren Händen stehen lassen. Deswegen organisieren wir eben unter anderem diese Essenssammlungen und erreichen damit viel Aufmerksamkeit sowie viele freiwillig helfende Hände. Warum? Vielleicht weil das keine Charity-Aktion von oben ist, sondern echte Solidarität innerhalb unserer Klasse.
ROBIN: Ich will noch ergänzen, dass die Regierungspolitik oder vielmehr die Politik der herrschenden Klasse eben darauf setzt die öffentlichen Angebote und Hilfen zu kürzen und die sozialen Leistungen verschiedenen Nicht-Regierungs-Organisationen zu überlassen. Davon abgesehen, dass das trotzdem staatliche Aufgaben sind, haben viele von diesen Organisationen auch diskriminierende Hürden, achten zum Beispiel darauf welcher Religion du angehörst.
POSITION: Mit wem zusammen wollt ihr dagegen vorgehen? In Deutschland hört man viel von Jeremy Corbyn, dem linken Vorsitzenden der britischen Labour-Partei.
JOHNNIE: Er ist durch und durch überzeugter Sozialdemokrat und steht in der gleichen Tradition wie Sozialdemokraten in ganz Europa. Ich denke Corbyn als Individuum ist überzeugt von seinem Programm, er stand dafür schon an der Spitze von antiimperialistischen Kampagnen. Und jetzt ist er der Chef der sozialdemokratischen Partei. Wir denken es ist positiv, dass durch Corbyn Millionen, mindestens aber hunderttausende Menschen politisiert werden, vor allem Jugendliche. Das ganze kann eine große Chance für uns sein: Denn natürlich wollen wir sie für unsere Politik begeistern anstatt sie auf der falschen Route der Sozialdemokratie hängen zu lassen.
ROBIN: Hier besteht eine echte Gefahr für all jene, die sich nun durch Corbyn politisieren. Denn er ist ja Sozialdemokrat und Labour ist eine sozialdemokratische Partei. Falls oder wenn sie also an die Macht kommen und all die schönen Versprechen sich dann als nicht umsetzbar erweisen, werden viele dieser Menschen frustriert sein. Denn die Labour-Party ist in ihrem tiefsten Inneren eine imperialistische und eigentlich rechte Partei. Klar, viele ihrer neuen Mitglieder sind überzeugte Linke, aber in der Summe sind das auch nur ein paar. Und selbst die linken Parlamentarier wie Corbyn haben vielleicht ein paar Ämter inne, aber die Kontrolle über die Partei und vor allem den Parteiapparat haben sie nicht.
POSITION: Die Vorschläge von eurer Premierministerin May finden keine Mehrheit. Wie muss es eurer Meinung nach nun weitergehen?
JOHNNIE: Im Sinne einer Lösung die wir vorschlagen braucht es nun einen vollen Brexit. Wir fordern Neuwahlen, denn es braucht eine linke Regierung. Diese könnte einen progressiven Brexit-Deal durchsetzen, die öffentlichen Sozialleistungen garantieren und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie in Angriff nehmen.
ROBIN: Bedingung dafür ist natürlich, dass es kein fauler Kompromiss mit der EU rauskommt. Denn in allen Parteien, sowohl bei den Konservativen, Labour, Liberaldemokraten oder bei den Grünen; überall gibt es Stimmen, die einen Kompromiss mit der EU vorschlagen. Was bringt uns ein Deal mit dem wir am Ende zwar offiziell kein EU-Mitglied mehr wären, aber immer noch Teil der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verflechtungen der EU?
[Das Interview führten Jann, Essen und Mark, München]
Johnnie Hunter ist 25 Jahre alt und Anwalt, Robin Talbot ist 24 und Campaigner. Beide sind Mitglieder der Jungen Kommunistischen Liga Großbritanniens (YCL). Auf ihrem Kongress Ende letzten Jahres wurden sie ins Exekutiv-Komitee gewählt. Robin ist verantwortlich für die internationalen Beziehungen, Johnnie steht der Organisation als Generalsekretär vor.
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