11. Dezember 2024

Kommunalwahlen: Opposition meldet Unregelmäßigkeiten

Pressemitteilung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 31.03.2019

Die Kreuze sind gemacht, nun werden die Stimmen ausgezählt: In den kurdischen Regionen der Türkei ist die Stimmabgabe bei den Kommunalwahlen abgeschlossen. Die Wahllokale in den östlichen Provinzen schlossen um 16.00 Uhr Ortszeit. Erste Ergebnisse sollen am frühen Abend bekannt gegeben werden. Die Kommunalwahl ist ein Stimmungstest für Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Regierungspartei AKP. In der Wirtschaftsmetropole Istanbul und der Hauptstadt Ankara wird ein knapper Ausgang erwartet.

Rund 57 Millionen Personen sind bei den Kommunalwahlen in der Türkei und Nordkurdistan am Sonntag stimmberechtigt. Die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter werden für fünf Jahre gewählt. Landesweit werden 194.390 Wahlurnen aufgestellt. Die Wahllokale sind in den östlichen Provinzen von 7 bis 16 Uhr geöffnet, im Westen von 8 bis 17 Uhr. Gewählt werden Bürgermeister, Stadt- und Provinzräte sowie Ortsvorsteher.

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat zur Kommunalwahl in der Türkei massiven Druck auf ihre Anhänger und Politiker beklagt. Während des gesamten Wahlkampfs seien 713 HDP-Funktionäre und Anhänger festgenommen worden; 107 von ihnen sitzen in Untersuchungshaft, teilte die HDP am Sonntag mit. Die Wahl finde unter ungleichen Voraussetzungen statt. So habe die Regierung staatliche Ressourcen im Wahlkampf missbraucht, Medien zensiert und für einen «gefährlichen politischen Diskurs» geführt, der das «Land polarisiert und alle kritischen Stimmen als Terroristen kriminalisiert». Aus diesem Grund rief die Demokratische Partei der Völker (HDP) zur internationalen Wahlbeobachtung auf.

Die Wahlen wurden nach den bisherigen Informationen von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitet, welche internationale Wahlbeobachter insbesondere aus Nordkurdistan meldeten. Im Folgenden ein grober Überblick über die bisher bekannten Unregelmäßigkeiten:

Hohe Polizei- und Militärpräsenz in HDP-Hochburgen

In der nordkurdischen Metropole Amed (Diyarbakir) sind am heutigen Wahltag knapp 19.000 Polizisten und Gendarmarie im Dienst. Die seit dem 20. November 2018 vor der HDP-Zentrale stationierten Polizeitruppen sind heute abgezogen worden. „Das Bedrohungsszenario vor den Wahlurnen hat heute Vorrang“, lautete der Kommentar aus dem HDP-Vorstand. Internationale Wahlbeobachter bestätigen die große Militärpräsenz in der Kreisstadt Hezro (Hazro) in der Provinz Amed (Diyarbakir) und zweifeln am demokratischen Charakter der Wahlen.

Auch in Serêkaniyê (Ceylanpınar) in der Provinz Riha (Urfa) sind tausende polizeiliche Sondereinheitskräfte und militärisches Personal stationiert worden. Die massive Verlegung in die Kreisstadt mit 82.000 Einwohnern verweist auf die Atmosphäre am Wahltag. Internationale Wahlbeobachter wurden nicht in den Ort gelassen. Der HDP-Abgeordnete Ömer Öcalan rief die Urnen-Beauftragten seiner Partei dazu auf, sich dennoch „besonnen und mutig“ zu verhalten.

Eine weitere Meldung aus der Provinz #Urfa/#Riha: In Serêkanî werden die Wahlbeobachter*innen erst gar nicht in die Stadt gelassen! Sechsköpfige Gruppe aus Italien wird an ihrer Arbeit gehindert. #TurkeyElections2019https://t.co/i9pHa9Yds2

— Civaka Azad (@civaka_azad) 31. März 2019

Im Stadtteil Yeşilova in Erdîş (Erciş, Provinz Wan), einer Hochburg der HDP, haben AKP-Anhänger die Wähler bedroht. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, woraufhin Bereitschaftspolizisten das Wahllokal besetzten. Vor dem Gebäude versuchte die Polizei, die Menschenmenge mit Wasserwerfern auseinanderzutreiben. Die Urnen-Beauftragten der HDP wurden aus dem Wahllokal entfernt, zwei von ihnen wurden festgenommen.

Polizei überfällt Wahllokal in Erdîs | Im Stadtteil Yeşilova in Erdîş (Erciş, Provinz Wan), einer Hochburg der HDP, haben AKP-Anhänger Wähler bedroht. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, woraufhin Bereitschaftspolizisten das Wahllokal besetzten. https://t.co/8jYbgEqzRI

— ANF Deutsch (@FiratNews_DE) 31. März 2019

Repression gegen europäische Wahlbeobachter

Auf Einladung der HDP beobachten 72 Personen aus Europa die Kommunalwahlen in Nordkurdistan. 14 Wahlbeobachtern wurde die Einreise verweigert. In Idil (Provinz Şirnex/Şırnak) sind zwei Wahlbeobachter aus Deutschland nach einer Personalkontrolle wieder freigelassen worden. Sie wurden anschließend aus der Stadt verwiesen.

#IndependantObservers sind in #Idil unerwünscht. Nach langen Kontrollen durfte dieDelegation zwar in die Stadt einfahren, aber keine Wahllokale besuchen
Es wird von bewaffneten „Sicherheitskräften“ in den Wahllokalen berichtet.#WahlenTürkei#Wahlbeobachtung#TurkeyElections

— HamburgDiyarbakir (@HHDiyarbakir) 31. März 2019

Zwei Italienerinnen wurden in Hênê (Hani, Provinz Amed) vorübergehend festgenommen und in die Abteilung der Antiterrorpolizei gebracht, anschließend wieder freigelassen.

Wahlfälschung und Geisterwähler

Am gestrigen Samstag sind in Sêrt (Siirt) bereits sind Dutzende Busse mit „Geisterwählern“ eingetroffen. Der Konvoi wurde von gepanzerten Fahrzeugen begleitet. Im Vorfeld der Kommunalwahlen hatte sich herausgestellt, dass 6488 Wahlberechtigte nicht im Wahlregister aufgeführt sind. Stattdessen fanden sich in dem Verzeichnis tausende Wahlberechtigte, die in öffentlichen Gebäuden oder unbewohnten Baustellen gemeldet sind.

In der Kreisstadt Xalfetî (Halfeti) in Riha (Urfa) haben aus Mersin kommende Polizisten ihre Stimme an der Urne 1094 abgegeben. Beamte brauchen eine Sondergenehmigung, wenn sie außerhalb ihres Wohnorts wählen wollen. Dieses Papier konnten die Polizisten allerdings nicht vorlegen. Seit gestern Nacht werden „Geisterwähler“ aus Mersin, Adana, Antalya und Konya in Polizeifahrzeugen in die Stadt gebracht.

Entscheiden sie in dem kurdischen Ort Halfeti/Xelfetî die Wahlen? Zahlreiche Polizeilkräfte aus anderen Orten geben heute hier ihre Stimmen ab! #TurkeyElections2019https://t.co/Ulnruj00qk

— Civaka Azad (@civaka_azad) 31. März 2019

In der Kreisstadt Curnê Reş (Hilvan, Provinz Riha/Urfa) sind 45 Wählerstimmen gesammelt abgegeben worden, ohne dass die Wahlberechtigten darüber Bescheid wussten. Die Betroffenen fordern die Annullierung der Wahlurne.

Meletî: Drei Tote bei Schießerei in Wahllokal

In Şîro (Pütürge) in der nordkurdischen Provinz Meletî (Malatya) ist es in einem Wahllokal zu einem Streit zwischen zwei Gruppen gekommen, bei der drei Personen erschossen wurden. Bei den Toten handelt es sich um Wahlhelfer der Partei Saadet Partisi (SP). Die Täter stammen aus dem Umfeld des örtlichen AKP-Bürgermeisterkandidaten. Eine Person wurde festgenommen.

https://t.co/Jk0wsuEnlC

— Civaka Azad (@civaka_azad) 31. März 2019

Hungerstreik im Schatten der Wahlen

Die Kommunalwahlen finden im Schatten des Hungerstreiks von rund 7.000 politischen kurdischen Gefangenen in der Türkei statt, die ein Ende der Isolation Abdullah Öcalans fordern. Unter den Hungerstreikenden befindet sich auch die HDP-Abgeordnete Dersim Dağ, die in Amed-Kayapinar ihre Stimme abgegeben hat. Die kurdische Politikerin ist seit dem 3. März im Hungerstreik. Auch der ehemalige Gefangene Sedat Akin, der sich seit 84 Tagen im Hungerstreik gegen die Isolation Öcalans befindet, erschein zur Stimmabgabe im Rollstuhl. Der ehemalige Gefangene setzt die Aktion nach seiner Entlassung in seiner Wohnung in Êlih (Batman) fort. Da sich das Wahllokal im zweiten Stock einer Schule ohne Fahrstuhl befindet, musste er im Rollstuhl zur Urne getragen werden.

Sedat Akın – seit 84 Tagen gegen die Isolation Abdullah Öcalans im Hungerstreik – bei seiner Stimmabgabe in #Batman/#Êlih#TurkeyElections2019https://t.co/lD0PQWNkFA

— Civaka Azad (@civaka_azad) 31. März 2019

Quelle:

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.

Türkei