Herr Guaidó und das Pfeifen im Walde
Die interessierte Öffentlichkeit hört seit Tagen kaum noch etwas über die Entwicklungen in Venezuela. Wurde am Freitag der vergangenen Woche in den bürgerlichen Medien noch der massive Stromausfall in großen Teilen des Landes genüßlich ausgewalzt, so trat auch darüber bald relative Stille ein, nachdem bekannt wurde, daß die Ursache nicht in der Unfähigkeit der Regierung zu suchen ist, sondern daß nur eine gezielte Sabotage der Grund gewesen sein kann. Zumal ein Senator der USA – der sich schon oft als Sprachrohr derjenigen hervorgetan hat, die alles hassen, was mit antiimperialistischer Politik in Kuba, Venezuela, Nicaragua, Bolivien oder sonstwo im »Hinterhof der USA« zu tun hat – sich nicht zurückhalten konnte, die freudige Nachricht über den Stromausfall per Twitter zu verkünden, als selbst die Betroffenen noch nicht wußten, was passiert war.
Der Konterrevolution in Venezuela schwimmen allmählich die Felle davon. In den mehr als 40 Tagen, seit sich ein gelehriger Schüler der USA-Geheimdienste zum »Beauftragten Präsidenten« ernannt hat – Herr Guaidó und seine Komplizen benutzen den spanischen Begriff »Presidente Encargado«, Guaido selbst nennt sich in seinen zahlreichen Twitter-Nachrichten »Presidente (E)« – hat er keinerlei ernstzunehmenden Erfolge erreicht. Seine wiederholten Aufrufe an die Armee, sich ihm als »Oberbefehlshaber« zu unterstellen, verhallten ungehört. Weniger als eine Handvoll höhere Offiziere haben sich zu ihm bekannt, und einige Dutzend Militärs der unteren Ränge sind desertiert. Guaidó und seine Kumpane haben sich allerdings angewöhnt, Zahlen zu nennen, die zuvor mit einem Faktor zwischen fünf und zehn multipliziert wurden, und so erklärte er gegenüber dem deutschen Auslandspropaganda-Sender »Deutschlandfunk«, daß bereits 600 Soldaten in Kolumbien seien, um eine Streitmacht unter seinem Kommando zu formieren.
Die Versuche des »Beauftragten Präsidenten«, mit Gewerkschaften zu paktieren, sind ebenso ins Leere gelaufen. Die großmäulig angekündigten Streiks, die am Samstag das Land lahmlegen sollten, fanden nicht statt. In den westlichen Medien, die sich mächtig darauf gefreut hatten, wurde das Wort »Streik« schon nicht mehr erwähnt. Auch die Massendemonstrationen, zu denen die Opposition mobilisieren wollte, beschränkten sich offenbar auf einige hundert Leute aus den bessergestellten Schichten.
In mehr als vierzig Tagen hat es der Möchtegern-Präsident nicht geschafft, auch nur andeutungsweise Neuwahlen vorzubereiten oder eine Regierungsmannschaft zu formieren. Bei seiner Reise durch Südamerika begleitete ihn eine Staatssekretärin aus dem Außenministerium der USA, und bei seinen Auftritten im Land ist niemand zu erkennen, der so etwas wie ein »Vizepräsident« sein könnte. Sein erneuter Aufruf zu einem »Marsch auf Caracas« klingt eher wie das Pfeifen im Walde, mit dem er sich selbst Mut macht.
Die Situation bleibt dennoch gefährlich. Die rechtmäßige Regierung Venezuelas wurde mit Sanktionen der USA und der EU überhäuft, sie hat keinen Zugang zu Dutzenden Milliarden Dollar, die in Banken in westlichen Ländern deponiert sind, während die USA es ihrem Zögling Guaidó ermöglichen, sich aus diesen Konten zu bedienen. Die USA und Guaidó reden weiterhin von der Option einer militärischen Invasion. Wenn die EU und die EU-Staaten, die sich Herrn Guaidó verpflichtet fühlen, auf ihrem dem Völkerrecht widersprechenden Standpunkt beharren, werden sie sich mitschuldig machen an weiteren Verbrechen am venezolanischen Volk.
Uli Brockmeyer
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