Eingetrübte Stimmung auf dem Arbeitsmarkt
Der Jubel über sinkende Arbeitslosenzahlen ist verstummt. »Mehr Arbeitslose als vor einem Jahr«, war gestern ein Einspalter im Bistumsblatt überschrieben. Auch im »Journal« wurde auf knappen 17 Zeilen mitgeteilt, im April sei die Zahl der Arbeitsuchenden über ein Jahr betrachtet »minimal um 0,5 Prozent« gestiegen. Indes verzichtete ausgerechnet das gewerkschaftseigene »Tageblatt« darauf, seinen Leserinnen und Lesern die jüngsten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt kundzutun. Ob das Verschweigen darauf zurückzuführen ist, daß am Sonntag ein neues EU-Parlament gewählt wird, in dem die LSAP und ihre politischen Freunde angeblich eine »Koalition links der Mitte« anstreben, entzieht sich unserer Kenntnis.
Auch wenn natürlich noch nicht ausgemacht ist, ob die im April im Vergleich zum Vormonat erstmals seit Januar 2015 wieder gestiegenen Arbeitslosenzahlen eine Trendwende zum Negativen darstellen, so haben selbst die bis Montag verbreiteten Jubelmeldungen dem widersprochen, was die Gewerkschaften nicht müde werden, zu betonen.
In ihren gemeinsamen Beiträgen zu den Sitzungen des Wirtschafts- und Sozialrats, dem alljährlichen Sozialpanorama der CSL und zu vielen anderen Gelegenheiten warnen die Salariatsvertreter, trotz des bescheidenen Rückgangs seit Anfang 2015 befinde sich die Zahl der Arbeitslosen noch immer auf einem Rekordhoch, das noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre, weil die durchschnittliche Arbeitslosenrate zwischen 1985 und 2008 lediglich bei drei Prozent, im April 2019 jedoch fast doppelt so hoch bei 5,4 Prozent lag.
Natürlich kann man vermuten oder schlicht hoffen, bei den gestiegenen Arbeitslosenzahlen im April handle es sich um einen kleinen Ausreißer, doch dann sollte man auch zur Kenntnis nehmen, daß der Anteil der Langzeitarbeitslosen seit 1995 immer weiter zugenommen hat, auch wenn ihre absolute Zahl im April um 7,7 Prozent gesunken ist.
Aus älteren Ausgaben des Adem-Bulletins geht nämlich hervor, daß im April 2010 von den damals offiziell 14.111 Arbeitslosen 5.393 oder 38,2 Prozent seit zwölf Monaten oder länger auf der Suche nach einer Anstellung waren. Fünf Jahre später waren von 17.731 Arbeitslosen bereits 8.113 langzeitarbeitslos, was einem Anteil von 45,8 Prozent entsprach. Im vergangenen Monat wurden 15.453 Arbeitslose gezählt, von denen noch immer 6.637 (43,0 Prozent) seit einem Jahr oder länger auf Arbeitsuche sind.
Und weil es in der Regel nach einem Jahr kein Arbeitslosengeld mehr gibt, sank der Anteil derer, die eine Entschädigung in voller Höhe erhalten, auf nur noch 40 Prozent im April 2019.
Nun ist Langzeitarbeitslosigkeit in kapitalistischen Gesellschaften nicht nur eines der größten Armutsrisiken, bereits oberhalb der Armutsschwelle geht sie mit gravierenden Folgen für die Gesundheit und die gesellschaftlich-kulturelle Teilhabe der Betroffenen und ihre Familien einher. So sind sie im Verhältnis zu Erwerbstätigen doppelt so oft von Krankheiten, Spitalsaufenthalten oder der Behandlung mit Psychopharmaka betroffen.
Wer länger als zwei Jahre arbeitslos ist – ihren Anteil gibt die Adem neuerdings nicht mehr an, er dürfte aber nach wie vor bei knapp über 30 Prozent liegen –, hat nach Angaben des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen gegenüber Erwerbstätigen ein fast viermal so hohes Sterblichkeitsrisiko.
Wann wird statt der Arbeitslosen endlich die Arbeitslosigkeit bekämpft?
Oliver Wagner
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