Gilets Jaunes – Zwischen Widerspruch und Hoffnung
Die Gilets Jaunes, die sogenannten„Gelbwesten“, und die wöchentlichen Riots auf den Straßen Frankreichs liefern jede Woche aufs Neue Bilder eines rebellischen Frankreichs von Paris bis Lyon. Doch dass Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus, dass Banlieu-Kids, die Basis der Gewerkschaften und Abgehängte, von Schüler*innen bis Rentner*innen dort in einer Revolte zusammenfließen, scheint weite Teile der deutschen radikalen Linken bislang kalt zu lassen. Dies kritisierte schon der Artikel „Die gelbe Weste und Wir“, der im Februar im re:volt magazine erschien. Darin wird nicht nur ein Umdenken eingefordert, was die Rolle der radikalen Linken in sozialen Kämpfen anbelangt, sondern einhergehend damit, Antifa-Strategien erneut zu überdenken. Als Zeichen der Solidarität mit den französischen Genoss*innen beziehen die Autor*innen Position für ein aktives Einmischen hierzulande. Es solle darum gehen, Rechte mittels der eigenen Intervention aus Strukturen zu drängen und dadurch eine linke Deutungshoheit zu gewinnen. Im Gegensatz dazu sehen sie Blockaden hiesiger Gelbwesten-Demonstrationen als eine falsche Haltung an, da diese ein falsches Bild auf die französischen Kämpfe werfe. In der Folge entstand eine Debatte, in der sich auch kritische Stimmen zur vorgestellten Position zu Wort meldeten.
Es ist aus unserer Sicht zu begrüßen, dass die radikale Linke sich mit den Gilets Jaunes auseinandersetzt und sich auch positiv zu diesen positioniert. Dass auch Rechte in Frankreich immer wieder bei diesen Protesten in Erscheinung treten, ist kein Grund, sich abzuwenden. Die Berichte, nach denen im Zuge der Europawahl bei einer Befragung der Gilets Jaunes-nahen Bevölkerung vierzig Prozent den „Rassemblement National“ (ehemalig „Front National“) gewählt hätten, müssen kritisch eingeordnet werden: Zunächst einmal ist die Bewegung keine homogene Gruppe, über die sich so einfach generalisierende Aussagen machen lässt. Weiter bleibt unklar, wer bei einer solchen Befragung überhaupt antwortetet und wer nicht. Zudem bezieht diese nur diejenigen mit ein, die überhaupt noch Hoffnung auf eine gesellschaftliche Veränderung durch Wahlen haben. Diese Ambivalenzen bedeuten für uns vielmehr, den Genoss*innen vor Ort, die wöchentlich die antifaschistische Auseinandersetzung suchen, aktiv beizustehen. Gleichzeitig ist die Situation und Verfasstheit der Proteste in Frankreich aber dann doch nicht so einfach zu verstehen. Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, wie sich diese Revolte beschreiben lässt. Was können wir aus ihr lernen? Wie können wir unsere Genoss*innen vor Ort unterstützen? Und wie gehen wir mit von Rechten dominierten „Gelbwesten“-Demonstrationen in Deutschland um?
Die Revolte aus dem Nichts
Was sich gerade in Frankreich zuträgt, widerspricht allen Regeln der etablierten Demonstrationskultur. Die Bewegung der Gilets Jaunes zeichnet sich durch immer wiederkehrende wilde, unangemeldete, normbrechende Demos aus. Ursprünglich einem Protest gegen die Erhöhung der Benzinsteuer entsprungen, verselbstständigte sich die Bewegung rasant. Schüler*innen, Arbeiter*innen, Rentner*innen, Kids aus den Pariser Vororten und viele mehr treffen im Herzen von Paris aufeinander und widersetzen sich der etablierten Demonstrationskultur – etwa einer angemeldeten Demonstrationsroute oder einer gewerkschaftlichen Laufordnung. Eine Menge, die mit verschiedenen Aktionsformen und Parolen unkontrolliert durch die Straßen zieht, dabei Banken, Autos und Geschäfte zerstört, sich vor der Polizei verteidigt, oder diese aktiv angreift. Währenddessen wählen wieder andere friedliche Aktionsformen. Diese Widersprüchlichkeit und Spontanität der Bewegung, ihre Unkontrollierbarkeit und der Umstand, dabei keine gemeinsame Forderung zu haben außer ihrer geteilten Wut. Das zeichnet die Gilets Jaunes aus und macht sie gleichzeitig auch so schwer zu fassen.
Eine Revolte oder ein Riot ist in seinem Kern erst einmal weder gut noch schlecht, sondern lebt durch seine Spontanität. Es handelt sich um eine Gemengelage, in der sich auch revolutionäres Potenzial finden lässt. Sie (die Revolte) ist nicht ausschließlich unten gegen oben, sondern von zahlreichen Widersprüchen geprägt, da diverse Akteur*innen mit verschiedenen sozialen und politischen Hintergründen teilnehmen. Es gibt eben keine Adressat*innen, lediglich die Forderung nach Veränderung, die sich zumeist erst einmal in einer umfassenden Ablehnung gesellschaftlicher Verhältnisse ausdrückt. Es gibt zwar einen „offiziellen” Katalog an Forderungen, aber die Bewegung geht in ihren Bezugnahmen weit darüber hinaus. Dabei scheint es oft keinen anderen Weg zu geben als die Zerstörung. Die Spontanität und Widersprüchlichkeit der Revolte zeichnen aber auch die Stärke der Gilets Jaunes-Bewegung aus. Die Revolte lebt genau durch diese Widersprüchlichkeiten und durch die Missverständnisse, die sich unter den einzelnen Akteur*innen immer wieder zeigen, und die Bearbeitung erfahren. Die Aufgabe der radikalen Linken muss es demnach sein, sich einzumischen und Partei zu ergreifen. Wohin sich die Bewegung entwickeln wird, lässt sich schwer vorhersagen. Und auch deshalb stehen unsere französischen Genoss*innen jede Woche auf der Straße, um den emanzipatorischen Charakter der Bewegung zu stärken.
Welche Schrecken diese Revolte für den französischen Staat birgt, zeigt die massive Repressionswelle gegen die Gilets Jaunes. Der französische Polizei- und Justizapparat geht immer hemmungsloser und willkürlicher gegen diese vor. Emmanuel Macron und seine Regierung haben die Demonstrationsrechte massiv eingeschränkt, die Polizei setzt alles ein, was ihr an Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen zu Verfügung steht und nimmt damit wissentlich Tote in Kauf. Nach bisherigen Angaben gibt es bislang sechs Tote, hunderte Schwerverletzte – mit abgesprengten Armen, dem Verlust von Augen und schweren Kopfverletzungen. Und zwischenzeitlich Tausende, die die französischen Knäste füllen. Als am 16. März in Paris auf der Champs Elysées die Situation eskalierte, Luxusgeschäfte geplündert wurden und ein enormer Sachschaden entstand, mobilisierte der Staat für die darauf folgende Woche das Militär, um die Stadt zu besetzen. Davon ließen sich die Menschen jedoch nicht abbringen auf die Straße zu gehen. Es kam am 23. März zu einer größeren Beteiligung, als in der Woche zuvor. Auch die massiven Angriffe seitens der Polizei am 1. Mai oder bei jeder anderen Aktion in Frankreich haben nicht zu einem Einbrechen der Bewegung geführt. Der Staat zittert weiter vor dem Gespenst der Gelben Weste und versucht alles, um den Widerstand zu ersticken. Die Wut und Hoffnungslosigkeit der Menschen scheinen größer zu sein, als die Angst vor schweren Verletzungen, Knast oder Schlimmerem. Seit über einem halben Jahr, trotz all dieser Repression, findet in Frankreich eine Massenrevolte statt, die die bürgerliche Klasse und den Staat weiter in Angst und Schrecken versetzt.
Welche Stärke die Bewegung im Moment genau hat und zukünftig haben wird, ist nicht abzusehen. Nach der anhaltenden Repression und den Europawahlen finden die großen Aktionstage nicht in derselben Intensität wie vor einigen Monaten statt. Gleichzeitig kommt es jedoch regelmäßig zu kleineren Aktionen, wie Mautstellenbesetzungen und Blockaden von Fährterminalen. Hier könnte sich ein Strategiewechsel der Aktivist*innen ankündigen.
Antifa in Frankreich und in Deutschland
In Teilen der Antifa in der Bundesrepublik trifft man dennoch einzig auf das Argument, bei den Gilets Jaunes liefen und randalierten auch Rechte und Faschist*innen mit. Aus diesem Grund könne es sich nicht um eine emanzipatorische Bewegung handeln. Richtig ist: Nicht alle Forderungen der Gilet Jaunes sind emanzipatorisch oder progressiv. Und dabei geht es nicht nur um die Forderungen der Rechten in der Bewegung. In der laufenden Revolte steckt Wut und Ausweglosigkeit, aber auch die Hoffnung auf eine positive Veränderung der sozialen Verhältnisse. Die Bewegung der Gilets Jaunes hat eine Situation hervorgebracht, die eine gesellschaftliche Veränderung gegen die Politik des Kapitals und eine sich zuspitzende autoritäre Formierung zumindest möglich erscheinen lässt. Diesen Aspekt gilt es hervorzuheben, zu unterstützen und zu stärken. Auf der anderen Seite liefern beziehungsweise lieferten sich die Genoss*innen in Frankreich wöchentlich Auseinandersetzungen mit Faschist*innen auf der Straße und versuchten, diese aus der Bewegung zu drängen. Hier muss sich die kritische deutsche Antifa-Linke mit ihren Beißreflexen die Frage gefallen lassen, ob nicht vielmehr dort, im Kampf um Deutungshoheit in der Bewegung, der wichtigste und effektivste antifaschistische Kampf geführt wird.
Anders jedoch stellt sich die Situation in anderen Ländern dar, in denen die Gelbwesten im Moment keine massenhafte gesellschaftliche Bewegung darstellen. Hier werden die französischen Proteste unterschiedlich aufgenommen. Während in Ägypten der Verkauf von gelben Westen eingeschränkt wurde, demonstrierten in Dublin Personen damit gegen hohe Mieten. In England und Deutschland entwickelte sich der Protest hingegen bis jetzt auch verstärkt zu Mobilisierungen von rassistischen und nationalistischen Organisationen. Wie also mit diesen Bewegungen als Antifaschist*innen umgehen? In Deutschland wurden die Proteste unter anderem von der „Aufstehen-Bewegung“, die mit gelben Westen vor dem Kanzleramt demonstrierte, sowie in Stuttgart in Demonstrationen gegen das Dieselfahrverbot aufgegriffen. Dazu gesellte sich eine Demonstration in Wiesbaden, die explizite Schnittstellen zur rechten und nationalistischen Szene hat. In England, wo die Gelbwestenproteste vornehmlich von der rechtspopulistischen UKIP dominiert werden und im Zeichen des „Brexit“ stehen, hat sich die Antifa-Bewegung bereits auf den Sprachgebrauch der „Yellow Pest“ verständigt. Das soll auf der einen Seite gegen diese rechten Demonstrationen mobilisieren und auf der anderen Seite auch eine klare Abgrenzung zu dem ziehen, was sich in Frankreich als soziale Revolte vollzieht. Im Sinne von „das hier sieht nur so aus, aber ist etwas ganz anderes“. Doch ganz so einfach kann die Strategie aus unserer Sicht nicht sein. Was in den jeweiligen Ländern unter dem Stichwort der „Gelbwesten“ passiert, prägt auch, wie der Kampf unserer Genoss*innen in Frankreich wahrgenommen wird.
Wichtig für uns ist dabei zu beachten, dass wir eben „leider“ in Deutschland und nicht in Frankreich leben und aktiv sind. Gesellschaftliche Verhältnisse, oder eine bestimmte Demonstrationskultur, lassen sich nicht einfach von einem Land auf das andere übertragen. Sie können Inspiration sein, einen Stein ins Rollen bringen, Diskurse anstoßen und so weiter, lassen sich aber nicht wie eine Blaupause auf die hiesige Situation übertragen. Es bedarf für unsere Zwecke einer Analyse der Verhältnisse in Deutschland, die eben nun einmal andere sind, als die in Frankreich. Eine Massenbewegung entsteht, wie der Name schon sagt, aus einer Masse heraus und kann nicht einfach durch einen gesamtgesellschaftlich gesehen marginalen Prozentsatz einiger radikaler Linker angestoßen werden. Ein möglicher Akt der Solidarität gegenüber den französischen Genoss*innen wäre es aus unserer Sicht daher, die Rechten hierzulande daran zu hindern, die Gelbwesten-Bewegung für sich politisch zu vereinnahmen.
Die Intervention in Wiesbaden
So haben einige Genoss*innen am 9. Februar in Wiesbaden versucht, den dortigen Protest der „Gelbwesten“ zu unterwandern und diesen mit antirassistischen, antifaschistischen und antikapitalistischen Parolen zu übernehmen. Dieser Versuch kann nicht als Erfolg gewertet werden. Hier muss viel mehr gesehen werden, dass diese Taktik gescheitert ist. Die meisten antifaschistischen Teilnehmer*innen wurden nach 15 Minuten durch die Polizei aus der Demonstration gedrängt und erhielten Platzverweise. Die Demonstration der rechten „Gelbwesten“ konnte, nach diesem Vorfall, ihren Weg ungestört fortsetzen. Was sollte mit dieser „Unterwanderungspraxis“ schlussendlich erreicht werden? Ging es um die Verhinderung der nachfolgenden Aufmärsche rechter „Gelbwesten“? War es ein symbolisches Zeichen der Solidarität mit den französischen Genoss*innen? Oder der Aufbau einer eigenen Gelbwesten-Bewegung? Letzteres muss als illusorisch abgetan werden, denn es gelingt sicher nicht aus einer rechts-dominierten Demonstration heraus, mit gerade einmal einigen hundert Teilnehmer*innen. Erschwerend hinzu kommt die in Deutschland vorherrschende Organisierungsschwäche.
Dennoch können wir auch hierzulande versuchen, in entstehende Gelbwesten-Proteste zu intervenieren. Es gilt allerdings, dabei kreativer zu werden. Das „Unterwandern“ dieser Bewegung könnte eine Möglichkeit sein, wenn es gelingt, sich zuvor ein klares politisches Ziel zu setzen, was damit in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht erreicht werden soll. Dadurch können andere Bilder in der Öffentlichkeit entstehen, die mediale Aufmerksamkeit kann sich ändern und im Optimalfall kommt es zu einem politischen Diskurs in unserem Sinne. Diese Form der Intervention wird allerdings nicht die hiesigen gesellschaftlichen Verhältnisse ändern und noch viel weniger die Gelbwesten in Deutschland zu einer emanzipatorischen Massenbewegung machen können. Wir sollten uns als antifaschistische Linke davor hüten, uns auf eine Aktionsform zu versteifen. Antifaschismus lebt von kreativen, vielfältigen Aktionen auf unterschiedlichsten Aktionsfeldern. Es sollte sich situationsbedingt immer die Frage gestellt werden, wie wir mit rechten Mobilisierungen umgehen und hier auch immer das gesamte Aktionsfeld – von Blockaden, über Unterwanderung, bis hin zu offensiveren Formen – in Betracht gezogen werden. In jedem Fall sollte es uns in Bezug zu den Gelbwesten-Protesten darum gehen, in Solidarität mit den kämpfenden Menschen in Frankreich, Rechte daran zu hindern, sich des Symbols der Gelbwesten zu bemächtigen. Wie wir das schaffen, ist derzeit noch offen und muss weiter erprobt werden.
Solidarität und Selbstorganisation
Es bleibt wichtig festzuhalten, dass es nicht an unserem fehlenden Elan hängt, dass in Deutschland keine massenhafte Bewegung, wie die der Gelbwesten auftritt. Es wäre fatal, davon auszugehen, dass dieser Fakt lediglich unser Verschulden ist. Unsere Aufgabe als radikale Linke ist es aber, die Voraussetzungen für eine soziale Massenbewegung von links zu schaffen. Das bedeutet, gesellschaftlich andere Möglichkeiten des Zusammenlebens zu erschaffen und aufzuzeigen, Strukturen aufzubauen und uns mit Fragen von Herrschaft, Hegemonie, sozialen Kämpfen, Klassenkämpfen und so weiter zu beschäftigen. Damit bauen wir ein Fundament auf, das Vorstellungen eines alternativen, solidarischen und gemeinschaftlichen Zusammenlebens überhaupt erst ermöglicht.
Schon jetzt scheint ein Umdenken in der radikalen Linken in Deutschland stattzufinden. Es findet wieder eine Diskussion über Klassenpolitik und Basisarbeit statt. Es gründen sich Stadtteilzentren, Mieter*innenorganisationen und Stadteilgruppen. Viele Gruppen versuchen, sich von einem identitären Fokus zu lösen und sich aus einem Szenesumpf weg hin zu „Normalbürger*innen“ und ihren bzw. gemeinsamen Problemen zu öffnen. Inwieweit genau das ein Projekt des Erfolgs ist, muss an anderer Stelle diskutiert werden. Der Prozess an sich ist allerdings positiv und begrüßenswert und bedarf weiterer Intensivierung.
Oft bewegt sich die radikale Linke selbst in ihrem eigenen Umfeld und mobilisiert ein akademisches, links-liberales Milieu. Dagegen ist im Grunde ja auch nichts einzuwenden. Aus der Warte vieler Beteiligter heraus muss jedoch die eigene Politik auch für einen selbst nachhaltiger gestaltet sein, um weiter aktiv zu bleiben zu können. Entscheidend ist hier, uns immer vor Augen zu halten, dass wir in den Prozessen Leute radikalisieren wollen. Es kann also nicht darum gehen, uns am Ende selbst zu befrieden und für die Schaffung von Ansprechbarkeit dann schließlich unsere Radikalität aufzugeben.
Dazu gehört zum Beispiel auch, über den Tellerrand hinaus zu blicken. Wir müssen uns die Frage stellen, wer geeignete Bündnispartner*innen sein könnten, um unsere Ausgangssituation soweit zu verbessern, dass Situationen, wie sie gerade in Frankreich stattfinden, auch hier möglich werden. Die Brände in den Pariser Vororten von 2005 zeigen, dass eine (Massen-)Revolte, ausgehend von einem Stadtteil, die höchste Stufe der Basisorganisierung ist. Das ist Teil der Stärke der heute stattfindenden Revolte in Frankreich. Menschen in den Vororten von Paris und anderen ausgeschlossenen Stadteilen französischer Städte fingen an, sich zu organisieren. Es entstanden informelle Zusammenschlüsse und es wurde Kontakt zu Genoss*innen aufgebaut, welche sich dort einbringen. Es handelt es sich um Menschen, die aufgrund von Rassismus und ihrer „Überflüssigkeit“ für das Kapital komplett aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Die Klasse des Surplus-Proletariats, also jene Klasse der für das Kapital „Überflüssigen“ und Nicht-Verwertbaren, wird auch in Deutschland entscheidender und zu einer immer größeren sozialen Gruppe. Diesen Menschen wird tagtäglich vor Augen geführt, dass sie keine Möglichkeit mehr haben, in dieser Gesellschaft Fuß zu fassen. Sie beginnen schließlich ihrer Wut Ausdruck zu verleihen und sich zu organisieren, wie dies hierzulande etwa schon beim G-20-Gipfel in Hamburg geschehen ist. Im Hamburger Schanzenviertel haben, abgesehen von organisierten militanten Autonomen und einem Party-Publikum, auch junge Migrant*innen mitrandaliert. Es handelt sich hier nicht zwangsläufig um eine gesellschaftliche Klasse mit emanzipatorischen Zielen. Radikalen Linken sollte aber klar sein, dass hier Menschen zumindest anfangen, sich zum Beispiel gegen die Polizei zu wehren und Fähigkeiten entwickelt haben, sich abseits des Staates zu organisieren, ohne wöchentlich zum linken Plenumsritual anzutreten. Hier könnte die Möglichkeit für eine radikale Linke in Deutschland sein, sich mit diesen Menschen zu organisieren und sich auch selbst diese Fähigkeiten anderer Formen der Organisierung anzueignen.
Praktisch werden!
Unsere Solidarität mit den französischen Genoss*innen muss lauten, Rechte daran zu hindern, die Gelbwesten in Deutschland für sich zu vereinnahmen, praktische Solidarität zu üben, über die Bewegung aufzuklären, Soliaktionen zu organisieren und sie in Frankreich auf der Straße zu unterstützen. Dabei gilt es, nicht zu vergessen, auch über politische Strategien und Ziele der Bewegung, die sich durch ihre (Weiter-)Entwicklung verändern, in Frankreich kritisch zu diskutieren. Gleichzeitig muss Solidarität auch bedeuten, Strukturen aufzubauen, die in der Zukunft auch hierzulande Situationen möglich machen, in der die gesellschaftliche Hegemonie in Frage gestellt werden kann. Wir müssen darüber hinaus diskutieren, mit wem wir uns weiter organisieren wollen. Ist eine vermeintliche Zivilgesellschaft der richtige Akteur oder müssen wir über unseren eigenen Tellerrand schauen und neue Möglichkeiten der Organisierung finden, auch wenn dies bedeutet, unsere Komfortzone zu verlassen und Widersprüche auszuhalten?
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