Lektion in Sachen »Demokratie in der EU«
Das Ergebnis der »Wahl« am Dienstagabend im Straßburger EU-Parlament dürfte für niemanden eine Überraschung gewesen sein. Obwohl für »frühestens 19.30 Uhr« angekündigt, hatten die meisten Redaktionen die Meldung bereits vorher geschrieben, um dann nur noch die Zahlen der abgegebenen Stimmen zu ergänzen. Immerhin war sich Frau von der Leyen, die Frau für wirklich alle Fälle, so sicher, den Posten der Kommissionschefin der EU zu übernehmen, daß sie sogar zuvor ihren Rücktritt von ihrem Amt als Ministerin für Militärisches in Berlin bekanntgegeben hatte. Das tut man nicht, wenn man nicht den nächsten Chefsessel sicher vor Augen hat.
Offensichtlich haben die Sherpas im EU-Parlament zuverlässig gearbeitet: Stimmen gezählt, Abgeordnete bequatscht, noch mehr Zusagen gemacht – Kuhhandel eben. Als man sicher war, daß die Stimmenzahl ausreicht, konnte man Vollzug melden, ein paar renitente SPD-Leute zum Schein weiter murren lassen und sich zurücklehnen, um das »Wahlergebnis« in aller Ruhe abzuwarten.
Die Agentur dpa meldete wenig später: »Erstmals seit Walter Hallstein (1958-1967) erobert jemand aus Deutschland das Amt.« Abgesehen davon, daß »erobert« wohl die passende Vokabel sein dürfte, fällt hier der Hinweis auf Hallstein auf. Für die Spätergeborenen sei erwähnt, daß jener Herr Hallstein, der sich unter Kanzler und Außenminister Konrad Adenauer als Staatssekretär im westdeutschen Auswärtigen Amt seine politischen Sporen verdiente, im Jahr 1954 der »Erfinder« und Namensgeber jener Doktrin wurde, laut der eine mögliche Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der DDR von der Bonner Regierung als »unfreundlicher Akt« angesehen und mit dem Abbruch der Beziehungen mit dem betreffenden Staat sanktioniert würde.
Im Sinne dieser auch »Alleinvertretungsanspruch« genannten Hallstein-Doktrin gebärdet sich seit Jahrzehnten auch die Europäische Union durch den Anspruch, »Europa« genannt zu werden und »Europa« in aller Welt zu vertreten – was im Umkehrschluß bedeutet, daß jegliches europäisches Territorium außerhalb der EU nicht zu Europa gehört, und die dort lebenden Menschen folglich keine Europäer sind.
Müßig zu erwähnen, daß sich diese Betrachtungsweise seit dem Verschwinden der sozialistischen Länder Europas von der politischen Landkarte in erster Linie gegen Rußland richtet. Und gegen Rußland richtet sich auch ein großer Teil der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen der EU. Nicht zuletzt die Idee der sogenannten »Verteidigungsinitiative« und der Schaffung einer »Armee der Europäer« – also einer massiven militärischen Aufrüstung mit Ausrichtung vor allem gegen Rußland. Eine der vehementesten Vertreterinnen dieser Linie war und ist Ursula von der Leyen. Sie verfügt zudem über beste Kontakte zum USA-Militär und hat sich mehr als einmal dafür ausgesprochen, das berüchtigte Zwei-Prozent-Ziel der NATO nicht nur zu erfüllen, sondern möglichst zu überbieten.
»Europa« hat also jetzt die richtige Führungskraft. Und »die Europäer« dürfen zugleich eine weitere Lektion in Sachen »Demokratie in der EU« lernen: Es ist völlig gleich, bei welcher Partei Ihr bei den EU-Wahlen Euer Kreuzchen macht – »gewählt« wird am Ende eine Präsidentin, die nicht einmal selbst zur Wahl angetreten war, sondern auf die sich Merkel und Macron (die Namen sind austauschbar) in einem der Hinterzimmer geeinigt hatten.
Herzlichen Glückwunsch, »Europa«!
Uli Brockmeyer
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