PRO ASYL zum heutigen EU-Innenministertreffen in Zagreb
Stellungnahme zum BMI-Vorschlag zur »Neuausrichtung« des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)
Heute ist die Bundesregierung in zwei Staaten in Sachen Verhinderung des Zugangs zu Asyl in Europa und Perfektionierung der Abschottung unterwegs. Neben dem Erdoğan-Merkel-Treffen in der Türkei ist das Thema Haft in Grenzverfahren, Zurückweisung in Nicht-EU-Staaten und Verteilung der in der EU befindlichen Schutzsuchenden auch ein Thema beim informellen EU-Innenministertreffen in Zagreb.
PRO ASYL ist angesichts der bekannt gewordenen Vorschläge des Bundesministeriums des Innern (BMI) für eine »Neuausrichtung« des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) vom 14. November 2019 äußerst besorgt. Diese Pläne werden nun weiterverfolgt. Hinter dem Begriff »Verteilmechanismus von Flüchtlingen« verbirgt sich eine Komplettrevision des Asylsystems in der EU. »Es droht die Komplettaushebelung des Zugangs zu einem fairen Asylverfahren in der EU sowie Haft in Grenzverfahren mit Zurückweisung in Nicht-EU-Staaten, die nicht sicher sind«, befürchtet Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Merkel will dies in der Türkei vorantreiben, Seehofer beim EU-Innenministertreffen. Mit wohlklingenden Worten würden Humanität und Rechtsstaatlichkeit vorgegaukelt. »De facto wird ein System erdacht, das bar jeder Realität ist und neben unsäglichem menschlichen Elend das Recht auf Zugang zu Asyl in der EU aushebelt. PRO ASYL befürchtet, dass Haftlager entstehen und die Elendslager in Griechenland zur Blaupause werden. Dieses Konstrukt wird zu Massenabschiebungen zurück in Transitstaaten führen, die mit Geld gekauft werden«, so Burkhardt. Unerklärlich bleibt, wie unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten diese Ideen funktionieren sollen.
Die bekannt gewordenen Überlegungen sind gerade nicht geeignet, um die vom BMI selbst gesteckten Ziele zu erreichen, nämlich ein System zu schaffen welches »humanitären Standards genügt«, »in der Praxis funktioniert« und welches die »Überlastungen einzelner Mitgliedstaaten und die Bildung von menschenunwürdigen Lagern vermeidet«. Stattdessen ist absehbar, dass es genau zu der Überlastung und den Lagern kommt – mit dramatischen Auswirkungen für die Schutzsuchenden. Der Vorschlag ist ein systematisch angelegter Angriff auf den Zugang zum individuellen Asylrecht in der gesamten EU und auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.
Die Stellungnahme von PRO ASYL beruht auf einer menschenrechtlichen Analyse der Vorschläge und auf den praktischen Erfahrungen von PRO ASYL in Deutschland und in Griechenland. Sie zeigt, dass
- eine Prüfung von »sicheren Drittstaaten« oder eine »Prima-facie-Prüfung« der Fluchtgründe in der Praxis so umfassend und umfangreich sind, dass große Lager und lange Haftzeiten unvermeidbar sind;
- durch die Grenzverfahren und die Haftlager die Hauptverantwortung bei den gleichen Staaten liegen würde wie bisher;
- eine pauschale Inhaftierung aller Asylsuchenden nach der Einreise in die EU unverhältnismäßig ist und zu katastrophalen Zuständen wie aktuell auf den griechischen Inseln führen wird;
- ein angemessener Rechtsschutz an den Grenzen nicht bestehen wird und Rechtsschutz entgegen der Vorschläge vor Verteilung bzw. Rückführung erfolgen muss, um in Konformität mit EuGH- und EGMR-Rechtsprechung zu sein.
Anstatt zum aktuellen Zeitpunkt auf eine Reform des GEAS zu setzen, hat PRO ASYL mit zahlreichen anderen Organisationen mit dem Berliner Aktionsplan im November 2019 eine Implementierung der bestehenden Regelungen zur Aufnahme von Flüchtlingen und zum Asylrecht gefordert. Ein Neuanfang in der europäischen Asylpolitik bedeutet in erster Linie die Rückkehr zu Recht, Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung von Völkerrecht an Europas Grenzen. Da es in absehbarer Zeit keine neue Asylzuständigkeitsregelung geben wird, müssen in der Zwischenzeit die humanitären Spielräume der Dublin-III-Verordnung genutzt werden – z. B. bei der Familienzusammenführung sowie der Aufnahme von Bootsflüchtlingen oder Flüchtlingskindern aus Griechenland.
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