Von Kollektivverträgen und Solidarität
Kollektivverträge sind eine der wichtigsten Errungenschaften der Arbeiterbewegung, weil sie Abmachungen, die zwischen dem Patronat und den Gewerkschaften über die Arbeitsbedingungen und die Löhne getroffen werden, schriftlich festhalten und gesetzlich bindend sind.
Allerdings hängen die gesetzlichen Bestimmungen über Kollektivverträge immer davon ab, in welchem Maße Regierung und Parlament an das Kapital gebunden sind und ihre politische Macht nutzen, um die Gewerkschaften in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. Sei es, dass das Streikrecht stark eingeschränkt wird, wie das in Luxemburg der Fall ist, oder dass über Jahre, beziehungsweise über Jahrzehnte verhindert wird, dass die gewerkschaftlichen Verhandlungsrechte gestärkt werden, was auch auf Luxemburg zutrifft.
Dass das Kollektivvertragsrecht nicht an gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft angepasst wurde, hat dazu geführt, dass nicht einmal jeder zweite Beschäftigte unter einem Kollektivvertrag arbeitet, was im Interesse des Patronats, aber nicht der Lohnabhängigen ist. Aus der Optik der Schaffenden ist daher eine Nachbesserung längst überfällig.
Doch Kollektivverträge sind auch und vor allem Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit.
Sind Gewerkschaften stark und Belegschaften kämpferisch, können dem Patronat Zugeständnisse abgerungen und kollektivvertraglich festgehalten werden. Sind sie schwach oder zersplittert, und resigniert die Belegschaft, ist es dem Patronat ein Leichtes, Verbesserungen zu verweigern und Zugeständnisse aus vorangegangenen Jahren zurückzunehmen. Beispiele dafür gibt es genug.
Die meisten der 3.400 Beschäftigten der privaten Busbetriebe, die noch immer überlange Arbeitszeiten hinnehmen, dürften froh sein, dass diese Woche ihr Kollektivvertrag unterschrieben wurde und sie dank des Einsatzes ihrer Gewerkschaftskollegen während der nächsten drei Jahre zumindest eine kleine Lohnaufbesserung bekommen werden.
Aber berechnet auf die dreijährige Laufdauer des Kollektivvertrags und die mehr als fünfjährige (!) Verhandlungszeit bleibt das Resultat bescheiden und kann nicht mithalten mit der Produktivitätsentwicklung, deren Resultate zum allergrößten Teil in die Taschen der wenigen Privatbesitzer der Busunternehmen fließen.
Bei der Supermarktkette Cactus ist die Auseinandersetzung um die Erneuerung des Kollektivvertrags hingegen noch in vollem Gang. Hier weigert sich das Patronat, das während der vorangegangenen drei Jahre einen Gewinn von nahezu 100 Millionen Euro machte, die Hauptforderung der Gewerkschaften zu erfüllen, die darin besteht, den Beschäftigten nicht nur alle drei Jahre eine Lohnanpassung von 29 Euro zu gewähren, sondern alle zwei Jahre.
Doch Cactus mauert und will es offenbar darauf ankommen lassen, in der Hoffnung, dass das Kräftemessen mit den Verkäuferinnen, Kassiererinnen, Lagerarbeitern und Lkw-Fahrern, von denen die allermeisten nur den Mindestlohn oder kaum mehr bekommen, dafür aber harte Arbeit und völlig deregulierte Arbeitszeiten in Kauf nehmen müssen, zu seinen Gunsten ausgeht.
Die Antwort auf diese Provokation kann nur Solidarität heißen. Solidarität aller Cactus-Beschäftigten, aber auch Solidarität der Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen aus allen anderen Wirtschaftsbereichen mit dem Cactus-Personal.
Ali Ruckert
Quelle: