15. November 2024

Die Segen eines „Digitalen Tagebuches“

Ein Schüler berichtet über seine Erfahrungen mit einer App für den Unterricht

Anfang dieses Schuljahres verkündete unsere Schulleitung, dass wir jetzt ein “Digitales Tagebuch” haben und wir uns eine App auf unser Handy laden sollen. Was zuerst praktisch klang, entpuppte sich jedoch nach kurzer Zeit als ziemlich unangenehm. Das neue “Digitale Tagebuch” zeigt nämlich nicht nur den Vertretungsplan, sondern ermöglicht den LehrerInnen noch viel mehr. So können sie jetzt die Hausaufgaben in die App eintragen und alle SchülerInnen des Kurses können es dann sehen. Jedoch kann auch die Schulleitung sehen welche LehrerInnen, wie viel Hausaufgaben aufgeben und leider ist unsere Schulleitung der Meinung es könne gerne viel mehr sein. Denn Hausaufgaben sind angeblich “sehr wichtig für das spätere Leben”. LehrerInnen, welche unregelmäßig oder gar keine Hausaufgaben geben, werden von der Schulleitung darauf angesprochen. Sie geben uns deshalb Hausaufgaben auf, sogar wenn sie es selbst als sinnlos ansehen. Doch damit nicht genug: Demnächst sollen die LehrerInnen sogar online sehen können, wer wann in der App die Hausaufgabe als “Erledigt” markiert hat. Dadurch sollen diejenigen, die regelmäßig keine Hausaufgaben machen, „entlarvt“ werden.

Fehlzeiten bestimmt die App

Alle SchülerInnnen haben in der App ein eigenes Profil (welches jedoch nur LehrerInnen einsehen können), indem Name und ein Foto gespeichert sind. Diesem “Profil” können die LehrerInnen auch Vermerke hinzufügen, wie “Klassensprecher”, “Stört häufig den Unterricht” oder “Kommt häufig zu spät”, damit dann alle derzeitigen und zukünftigen Lehrerkräfte direkt Bescheid wissen. Am Anfang jeder Stunde wird die Anwesenheit kontrolliert. Blöd nur, dass jeder standardmäßig auf “Abwesend” steht. Das bedeutet: Vergisst ein Lehrer die Anwesenheit zu kontrollieren bleibt jeder auf „Abwesend“. Noch blöder: Da ich in meiner Klasse als einziger “Wirtschaftsinformatik” besuche, bin ich von dem Kurs “Wirtschaftsgeographie” befreit. Das sah das “Digitale Tagebuch” jedoch anders und da ich in Wirtschaftsgeographie logischerweise „Abwesend“ war, bekam ich einen automatischen Eintrag. Erst meine Klassenlehrerin bemerkte dann das irgendwas nicht stimmte. Sie wurde vom “Digitalen Tagebuch” informiert, ich würde angeblich sehr häufig fehlen. Jetzt habe ich über 50 Fehlstunden, die nicht gelöscht werden können.

Ein Werkzeug für Helikoptereltern

Über eine “Messenger-App” haben alle SchülerInnen und alle LehrerInnen die Möglichkeit, sich gegenseitig anzuschreiben. Was zuerst gut klingt ist jedoch nervig. Denn alle sind dadurch ständig erreichbar. So werden LehrerInnen kurz vor Klassenarbeiten nachts mit Nachrichten wie “Welche Themen kommen nochmal dran” bombardiert und schreiben den SchülerInnen umgekehrt gerne mal noch extra Hausaufgaben auf. Wenn jemand minderjährig ist, wird alles noch unangenehmer: Dann bekommen die Eltern Zugriff auf die Daten. Das bedeutet, sie sehen Fehlzeiten, Verspätungen, ob ihr Kind die Hausaufgaben gemacht hat oder nicht und haben die Möglichkeit, LehrerInnen direkt anzuschreiben.

Jens, Stuttgart

Quelle:

SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend

Jugend, Schule & Uni