15. November 2024

Durchseuchung in bayerischen Flüchtlingsunterkünften?

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hatte am 1. April noch festgestellt, dass nur sehr wenige Asylsuchende infiziert seien. Das kann sich jetzt sehr schnell ändern, auch dank der dem Innenminister unterstellten Behörden. Das größte Problem sieht der Bayerische Flüchtlingsrat hier nicht bei neueinreisenden Geflüchteten, die getestet und separiert werden. Besonders in Gefahr sind die insgesamt rund 89.000 Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften, die sich jederzeit und überall in Bayern anstecken können. Die Gemeinschaftsunterkünfte unterstehen der Leitung der Bezirksregierungen und Kommunen, beim Auftreten von Infektionsfällen übernimmt dann das örtliche Gesundheitsamt die Federführung.

Der Bayerische Flüchtlingsrat hatte die Behörden schon Mitte März zu präventiven Maßnahmen in Bezug auf Flüchtlinge aufgefordert (vgl. Pressemitteilungen vom 17. und 19.03.2020). Weil nichts geschehen ist, hat er am 02.04.2020 Strafantrag gegen die verantwortlichen Behörden gestellt. Der Innenminister hatte vor allem darauf verwiesen, dass alle neu ankommenden Asylsuchenden getestet würden. Das kann nicht reichen. Wir stellen fest, dass die verantwortlichen Behörden wenig Vorbereitungen getroffen haben und bei Infektionsfällen planlos und vor allem spät und langsam reagieren. Auch ist es nicht ausreichend, im Infektionsfall nach dem Motto „keiner raus, keiner rein“ zu agieren. Meist werden die Infizierten aus der Unterkunft herausgenommen, aber durchaus nicht immer und nicht immer umgehend. Es wird mal 14 Tage (Gesundheitsamt Rosenheim), mal vier Wochen (Gesundheitsamt im Landkreis Ansbach) Quarantäne verhängt, ohne dass Unterschiede in der Sachlage erkennbar wären. Mal werden einige Bewohner*innen der Unterkünfte getestet, mal nicht. So werden Infizierte nicht erkannt, bevor sie nicht schwere Symptome zeigen. Auch wenn Kranke dann aus der Unterkunft herausgeholt werden, ist die Gefahr, dass man Infizierte eben nicht erkennt, sehr groß. Thermometer, die helfen könnten, Infektionen früher zu erkennen, gibt es für die Bewohner*innen nicht, auch Seife oder Desinfektionsmittel sind nicht oder nicht ausreichend vorhanden. Risikopersonen werden nicht oder erst spät identifiziert. Eine „Entzerrung“ der Belegungssituation findet nicht statt. Ein Infektionsfall reicht, um eine Unterkunft mit 200 oder mehr Bewohner*innen in Quarantäne zu versetzen. Eine Versorgung der in Quarantäne befindlichen Personen beschränkt sich auf Essen über Catering-Firmen. Weitere Bedarfe, Ergänzungsnahrung für Kinder, Windeln oder ähnliches, werden mal geliefert, mal nicht. Auch eine psychosoziale Versorgung findet nicht statt. Da die Ehrenamtlichen und vielerorts auch die hauptamtlichen Betreuer*innen keinen Zugang mehr haben, können solche Defizite nicht mehr abgefedert werden.

„Wir sehen eine weit verbreitete Planlosigkeit der Behörden, deren einzige Reaktion auf eine Infektion ist, die Unterkunft dicht zu machen. Das reicht nicht!“ kritisiert Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Bayerischen Behörden wird nachgesagt, dass sie umsichtig und pragmatisch agieren können. Das beobachten wir in sehr wenigen Kommunen und Bezirken. Wir wünschen uns mehr davon. Stattdessen müssen wir mitansehen, dass an einigen Orten nichts vorbereitet wurde und beim Auftreten von Infektionsfällen eine Durchseuchung, also eine Ansteckung aller Unterkunftsbewohner*innen, wohl billigend in Kauf genommen wird. Das widerspräche allem, was wir seit Wochen öffentlich diskutieren und würde eine massive Diskriminierung von Geflüchteten bedeuten.“

Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert

  • eine ordentliche Aufklärung der Flüchtlinge,
  • konsequente Entzerrung und Unterbringung in Einzelzimmern, notfalls auch in Hotels,
  • eine saubere Trennung von Infizierten und Nichtinfizierten,
  • ausreichende Tests, nicht nur für Menschen mit Symptomen, sondern für alle Kontaktpersonen
  • einen klaren Quarantäne-Plan, der Vorerkrankte und Risikopersonen vor dem Auftreten von Infektionsfällen identifiziert und wegverlegt, und der nachweislich gesunde Personen auch wieder aus der Unterkunft herauslässt
  • eine ordentliche Versorgung der Flüchtlinge mit dem, was diese für ihr Wohlergehen benötigen.

Beispiele der letzten Tage und Wochen

Rosenheim

Allein über das Osterwochenende wurden in Stadt und Landkreis Rosenheim vier Unterkünfte mit insgesamt gut 300 Personen unter Quarantäne gestellt. Die nachweislich infizierten Personen wurden verlegt, alle anderen sitzen nun für zunächst 14 Tage in Quarantäne. Sollten neue Infektionsfälle auftreten (wovon oft auszugehen ist), beginnt die Quarantänefrist aufs Neue.

Traunreut

Zwei Personen wurden positiv getestet, 184 Bewohner*innen der Unterkunft befinden sich nun in Quarantäne. Es ist nicht bekannt, ob Risikopersonen identifiziert und wegverlegt worden sind.

Landshut

Vor rund drei Wochen gab es erste Infektionsfälle in der staatlichen Unterkunft Porschestraße, 31 Personen wurden daraufhin nach Hengersberg in ein Lager für Infizierte verlegt, die Porschestraße wurde unter Quarantäne gestellt. Weitere Personen wurden unseres Wissens nicht getestet.

In der Woche vor Ostern traten Infektionsfälle in der Unterkunft Niedermayerstraße auf. Einige Infizierte wurden ebenfalls nach Hengersberg verlegt, andere wurden in Räumlichkeiten unter dem Dach eines der Gebäude untergebracht. Die Verlegungen fanden erst Tage nach dem Entdecken der ersten Infizierten statt.

Inzwischen sind weitere Infektionsfälle in der Unterkunft Porschestraße aufgetreten. Die Betroffenen können nicht nach Hengersberg verlegt werden, weil es dort keine Plätze mehr gibt. Immerhin fand gestern (15.04.20) eine umfassende Testung der Bewohner*innen statt.

Feuchtwangen

Am 07.04. wurde eine kleine Unterkunft mit knapp 20 Bewohner*innen nach dem Bekanntwerden eines Infektionsfalles Anfang April abweichend von den üblichen zwei gleich für vier Wochen unter Quarantäne gestellt. Am Abend des 8. April wurden weitere acht Personen wegen Verdachts auf Kontakt mit Infizierten in die Unterkunft verlegt. Insgesamt vier Risikopersonen, zwei mit TBC Vorerkrankungen, wurden erst auf Drängen der Ehrenamtlicheninitiative aus der Quarantänesituation herausgeholt und woanders untergebracht. Das zuständige Gesundheitsamt ordnet keine Testung der übrigen Personen an. Begründet wird dies vom Amt damit, dass ein negativer Test eine zukünftige Ansteckung nicht ausschließt.

Quelle:

Bayerischer Flüchtlingsrat

Bayern