Heuchelei um »nationale Solidarität«
Ohne Ausnahme votierten die Regierungs- und Oppositionsparteien für den nationalen Notstand und gaben der Regierung damit weitgehende Entscheidungsrechte für die nächsten drei Monate.
Würde es Kommunisten in der Chamber geben – und zum Schaden der Lohnabhängigen ist das leider nicht der Fall –, wäre diese Einstimmigkeit im Namen der »nationalen Solidarität« nicht zustande gekommen, denn die Kommunisten hätten sich geweigert, diese Regierung mit einer solchen Machtfülle auszustatten.
Die Strafe für die Abgeordneten, die behaupten, sie würden die Interessen der Lohnabhängigen verteidigen, folgte auf dem Fuße, als die Koalition von DP, LSAP
und Grünen entschied, umgehend das Arbeitsgesetz über den Haufen zu werfen und gleich in 14 (!) Wirtschaftsbereichen den 12-Stundentag und die 60-Stundenwoche zu ermöglichen.
Etwas verwunderlich ist schon, wenn Gewerkschafter da nur »Bauchweh« haben. Keine Überraschung ist es hingegen, dass die Chamber eine von allen Parteien getragene und ausgerechnet von déi Lénk initiierte Motion verabschiedete, in welcher gefordert wurde, die Abgeordnetenkammer müsse das begutachten und kontrollieren, und der Arbeitsminister müsse nach der Krise Bilanz dieser Maßnahme ziehen, nach dem Motto: Erst sollen die Lohnabhängigen über längere Arbeitszeiten verstärkt ausgebeutet werden, und anschließend darf dann im Hohen Haus darüber geplaudert werden.
Die Unternehmer werden sich dafür bedanken. Die KPL hat hingegen in einer Stellungnahme unter dem Titel »De Mënsch virum Profit« gefordert, die Verordnung über den 12-Stundentag und die 60-Stundenwoche sofort rückgängig zu machen.
Wie hypokritisch die gegenwärtig stark strapazierte »nationale Solidarität« in vielerlei Hinsicht ist, sieht man auch daran, dass – wie sich der LSAP-Arbeitsminister ausdrückte – »kein Geld da ist«, um den Kurzarbeitern 100 statt nur 80 Prozent ihres Lohnes zu finanzieren, wie das die Kommunisten fordern. Aber offenbar ist genug Geld da, um die Ausgaben für einen Militärsatelliten über Nacht von 170 auf 350 Millionen Euro zu erhöhen!
Warum sollte man einer Regierung, die solche Ungeheuerlichkeiten beschließt, Vertrauen schenken, zumal gerade in der Krise die Defizite der Regierungspolitik der vergangenen Jahre noch deutlicher zu Tage treten?
Wo war denn die »nationale Solidarität« als es erfordert gewesen wäre, die rasch steigende Armut, die hohe Arbeitslosigkeit und die wachsende Wohnungsnot zu bekämpfen?
Warum wurde in der Gesundheitspolitik systematisch gespart, statt die nötigen Investitionen in wichtige medizinische Bereiche vorzunehmen und hierzulande genügend Ärzte und Gesundheitspersonal auszubilden?
Wieso wurden nicht bereits vor der Krise die bestehenden Ungleichheiten im Bildungswesen, von denen nun ganz erstaunt festgestellt wird, sie würden sich unter den gegenwärtigen Krisenbedingungen noch verschärfen, systematisch bekämpft?
Wer Antworten auf diese Fragen sucht, sollte stets im Hinterkopf haben, dass wir in einem kapitalistischen Land leben, für dessen Regierung und Parlament die Umverteilung zugunsten des Kapitals wichtiger ist als Investitionen in eine Schule der Chancengleichheit und eine gleichwertige und bestmögliche medizinische Betreuung aller Menschen in Luxemburg, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihren finanziellen Möglichkeiten.
Die Losung der Kommunisten »De Mënsch virum Profit!« ist in dieser Krise aktueller denn je.
Ali Ruckert
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