Weiße Fahnen am 18. April
In diesem Jahr jährt sich die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus zum 75. Mal. Auch Leipzig wurde am 18. April 1945 von der 69. Infanteriedivision der ersten US-Armee eingenommen. Dass dies einigermaßen unblutig verlief, hat die Stadt auch den damals aktiven Antifaschist*innen zu verdanken. So riefen die Aktivist*innen des NKFD (Nationalkomitee Freies Deutschland) schon Tage zuvor die Leipzigerinnen und Leipziger über Flugblätter zur Kapitulation auf. Leipzig empfing die amerikanischen Truppen mit weißen Fahnen.
Als Zeichen der Erinnerung an diesen Tag, an alle Menschen, die für die Befreiung gekämpft haben und an die Millionen, die ihr Leben lassen mussten, rufen wir die Leipzigerinnen und Leipziger dazu auf, am 18. April weiße Fahnen aus ihren Fenstern und Balkonen zu hängen.
Aber wir nehmen uns diesen Tag auch zum Anlass, in das Heute zu blicken. 75 Jahre nach der Befreiung und dem Ende des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte müssen wir schmerzlich feststellen, dass Antisemitismus, Rassismus und menschenverachtende Hetze wieder Platz in der Gesellschaft finden. Rassist*innen, Antisemit*innen und andere Hassprediger*innen sitzen in Deutschland wieder in den Parlamenten und Behörden, extreme Rechte begehen Anschläge und Morde, Staat und Gesellschaft üben sich weiter darin, die Hufeisentheorie zu bedienen. Der Kampf gegen den imaginierten Feind von links, gegen „die Antifa“ ist dabei allgegenwärtig. Dies muss aufhören, denn unsere pluralistische Demokratie ist in ihrem Grundverständnis antifaschistisch. Wer also vorgeblich demokratische Werte verteidigt, darf nicht nur plakativ gedenken. Die Demokratie ist nur dann wehrhaft, wenn Menschen, die für eine weltoffene, plurale, antifaschistische Gesellschaft einstehen, dafür auch bedingungslosen gesellschaftlichen Rückhalt erfahren. Sie sollten sich nicht stigmatisiert fühlen, weil sie als antidemokratisch verleumdet werden oder sonstigen dogmatischen Rufschädigungen ausgesetzt sind.
Wir verstehen uns als Antifaschistinnen und Antifaschisten und damit als Streiter*innen in der langen Tradition des Kampfes gegen Rechte jeglicher Couleur. Wir sehen es als Verpflichtung, alles zu tun, damit sich das Grauen des Nationalsozialismus nicht wiederholt. Deswegen ist für uns der Tag der Befreiung nicht nur ein Grund zum Feiern, sondern insbesondere auch zum Mahnen. Dies gilt jetzt umso mehr, da der Geschichtsrevisionismus mit der AfD einen in die Parlamente reichenden politischen Arm hat. Warum wir die Befreiung gemeinschaftlich feiern müssen, hat Esther Bejarano (Überlebende von Auschwitz) erst Anfang dieses Jahres in einem offenen „Brief an die Regierenden“ passend zusammengefasst:
Ich fordere: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes.
Wie viele andere aus den Konzentrationslagern wurde auch ich auf den Todesmarsch getrieben. Erst Anfang Mai wurden wir von amerikanischen und russischen Soldaten befreit. Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit. Und dann können wir, dann kann ein Bundespräsident vielleicht irgendwann sagen: Wir haben aus der Geschichte gelernt. Die Deutschen haben die entscheidende Lektion gelernt.
Weitere Informationen: https://www.facebook.com/events/243967263316918/
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