23. Dezember 2024

Geschlossener Himmel?

Momentan scheint kein Stein mehr auf dem anderen zu bleiben. Zumindest was die Beziehungen des US-Imperiums zu den Staaten der eurasischen Kooperation, zu Russland, China und Iran angeht. Die USA sind zum Hotspot der Seuche und zum Brennpunkt der millionenfachen Not geworden. In dem Maße, wie das auf Profit getrimmte US-Gesundheitssystem und die Trump-Regierung ihre Unfähigkeit unter Beweis stellen, effektiv gegen die Seuche vorzugehen und die materielle Existenz der Bürger zu sichern, nimmt die Rhetorik gegen Russland und die Volksrepublik China immer militantere Formen an. Diese militante Rhetorik ist nicht neu, aber durch den Pandemieausbruch massiv verschärft worden. Ein aktuelles, aber wenig beachtetes Beispiel: Der 1992 unterzeichnete „Open Skies“-Vertrag. Seit einiger Zeit wird der Vertrag von US-Offiziellen wie dem US-Kriegsminister Mark Esper infrage gestellt. US-Präsident Trump hatte schon im letzten Jahr Kritik an „Open Skies“ geäußert. Selbstredend hätten sich Russland und Präsident Wladimir Putin des Vertragsbruchs schuldig gemacht, indem sie die Überflüge im russischen Grenzbereich limitiert und ihrerseits die Überflüge zu Spionagezwecken genutzt hätten.

„Experten, die die Entwicklungen hier genau beobachten, glauben, dass die USA schon die Entscheidung getroffen haben. aus dem Vertrag auszusteigen“, sagte der russische Außenminister Sergei Lawrow. Er glaube nicht, dass andere Staaten dem US-amerikanischen Schritt folgen würden. „Es scheint mir, dass die Europäer verstanden haben, dass der ‚Open Skies‘-Vertrag seinen Wert gewonnen hat als ein Instrument des Vertrauens, ein Instrument der Berechenbarkeit, der Transparenz. So sehen wir ihn auch“, so Lawrow.

Der 2002 in Kraft getretene „Open Skies“-Vertrag erlaubt den 35 Unterzeichnerstaaten kurzfristig angekündigte, unbewaffnete Aufklärungsflüge über das Territorium der jeweils anderen Staaten. Unterzeichnerstaaten sind zum einen Russland und die USA, zum anderen weitere NATO-Staaten West- und Osteuropas sowie Staaten des früheren Warschauer Vertrages. Kirgistan als 35. Vertragsmitglied hat den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Die Überflugrechte jedes Landes sind nach seiner jeweiligen geographischen Größe quotiert. Die USA und Russland haben eine Quote von jeweils 42 Überflügen, Portugal beispielsweise hat eine Quote von zwei Überflügen. Wobei sich die Anzahl der passiven Quoten (die Überflugrechte anderer über das eigene Territorium) und aktiven Quoten (die eigenen Überflugrechte über das Territorium anderer) entsprechen. Die Flüge müssen mindesten 72 Stunden zuvor angekündigt werden, das gastgebende Land hat 24 Stunden, den Überflug zu genehmigen.

Die Überwachungsausrüstung der Flugzeuge ist vertraglich festgelegt. Sie besteht im Wesentlichen aus vier unterschiedlichen Sensortechnologien: 1. optischen Panoramakameras. 2. Echtzeit-Videokameras. 3. Infrarotscannern. 4. Ein sogenanntes „Synthetic Aperture Radar“, das die Konstruktion dreidimensionaler Bilder des überflogenen Terrains erlaubt. Das überflogene Land muss eine Kopie aller so gewonnenen Daten erhalten. Alle Unterzeichner-Staaten müssen einen Bericht über den Überflug erhalten und haben die Möglichkeit, eine Kopie der gewonnenen Daten zu erwerben. Zusammengenommen sind etwa 1.500 Überflüge durchgeführt worden.

Die mit Hilfe von „Open Skies“ gewonnenen Daten können zum Teil sicherlich ebenso gut oder besser durch moderne Spionagesatelliten gewonnen werden. Allerdings sind Flugzeuge flexibler, nicht an fixe Flugbahnen gebunden und die Daten stehen allen Vertragsparteien zur Verfügung. Das ist bei Satelliten, über die nur wenige Nationen verfügen, bekanntlich nicht der Fall. Deutschland/Europa würde ohne „Open Skies“ keine Aufklärungsdaten über die Ukraine und die Donbass-Republiken erhalten. Das von Sergei Lawrow vermutete Interesse der Europäer an der Aufrechterhaltung von „Open Skies“ hat also einen durchaus realen Hintergrund. Das US-Imperium würde sich mit einer Aufkündigung des Vertrages, wie in vielen anderen Bereichen, isolieren. Allerdings hat auch die devote Vasallentreue der deutsch/europäischen Atlantiker schon zu wesentlich krasseren Schüssen ins eigene Knie geführt.

Quelle:

UZ – Unsere Zeit

USA