26. Dezember 2024

American Spring

In diesen Tagen erleben wir eine Art „american spring“, einen US-amerikanischen „Frühling“. Ausgelöst von der öffentlichen Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch uniformierte Rassisten kommt es derzeit in den USA zu größten landesweiten Protesten gegen die bestehende Ordnung seit Jahrzehnten.

Überbordende Kriegsmacht, Dominanz in der Finanzwelt, kulturimperialistischer Popanz, können die Fassade des failed states, des gescheiterten Staates USA seit einiger Zeit weder nach innen noch nach außen verdecken. Zivilisatorischer Verfall und klassische Kennzeichen von gesellschaftlicher Unterentwicklung wie Analphabetismus, Hunger, Obdachlosigkeit, Erwerbsarmut (working poor), marode Infrastruktur, fehlende Gesundheitsversorgung etc. nehmen in den USA immer weiter zu. Der amerikanische Traum ist für den überwiegenden Teil der Menschen im Land ein realer Alptraum, von dem Medien-, Kultur- und Sportindustrie kaum mehr ablenken können.

Die Widersprüche des Kapitalismus, die in den Vereinigten Staaten ohnehin immer offener und näher bei einander waren als in anderen westlichen Staaten, haben sich seit der Finanzkrise 2008 immer weiter zugespitzt und im Laufe der Corona-Pandemie noch einmal verschärft. Die Unfähigkeit und Unüberlegtheit, aber auch Uneinigkeit der herrschenden Klasse in den USA ist in der Person Donald Trumps verkörpert (er ist aber mitnichten der erste durchgeknallte Selbstdarsteller im Weißen Haus und wahrscheinlich auch nicht der letzte). Die menschenverachtende Überheblichkeit der Herrschenden in den USA tritt immer offener zu Tage. Die Corona-Pandemie – in den USA ähnlich, doch schlimmer als in anderen westlichen Ländern aufgrund rassistischer Arroganz gegenüber China falsch eingeschätzt – rafft jeden Tag Tausende dahin, mit überproportionalem Anteil von Minderheiten. Abermillionen sind arbeitslos. Wie überall wird die Krise in den USA genutzt, um den Klassenkampf von oben noch weiter zu verschärften. Während der traurige Rest der Mittelschichten immer ärmer wird und die Ärmsten vor dem Nichts stehen, vermehren die Reichsten ihren unfassbaren Reichtum wieder einmal durch von der Öffentlichkeit finanzierte Rettungspakete weiter. Es gibt keine Perspektive auf Besserung der Verhältnisse, egal welche der Systemparteien auf nationaler Ebene regiert. Die USA befinden sich wahrscheinlich in der schlimmsten ökonomischen, sozialen und politischen Krise ihrer Geschichte.

Die massenhaften Kundgebungen dieser Tage nehmen daher auch immer mehr den Charakter eines Aufstandes an. Eines Aufstandes, der sich nicht nur gegen Rassismus und Polizeigewalt, sondern generell gegen das kapitalistische System in den USA richtet. Wenn dieser Protest, der nun der herrschenden Ordnung entgegenschlägt, auch (noch) spontan und (noch) mehr Wut als Widerstand ist, er kommt nicht aus dem Nichts. Trotz auseinanderdividierender akademischer Identitätspolitik, gewerkschaftlichen Reformismus und der Zersplitterung der fortschrittlichen Kräfte ist in den letzten Jahren ein neues Klassenbewusstsein in den USA entstanden, das sich aus verschiedenen Strängen speist. Zu diesen zählen antidiskriminatorische und Antikriegs-Initiativen ebenso wie Teile der Gewerkschaften und die Bewegung für einen landesweiten einheitlichen Mindestlohn bis hin zu im Rahmen der US-Verhältnisse relativ fortschrittlichen Kreisen der Demokratischen Partei wie etwa Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez.

Die aktuelle Wut entlädt sich größtenteils nicht blind, sondern gegen Polizei- und Regierungsgebäude, Medien- und Konzernzentralen, sowie Luxusboutiquen. Hier scheint Klassenbewusstsein durch (was auch nicht von durch polizeiliche und rechtsextreme agents provocateur gesetzte Aktionen getrübt werden kann).

In welche Richtung sich der american spring entwickeln wird, ist noch nicht abzusehen. Die aktuellen Ereignisse in den USA sind ein Vorbote weltweit auf uns zukommender verschärfter Klassenkämpfe im Zuge der aktuellen Krise des Kapitalismus. Die unheimliche Brutalität, mit der die Repressionsorgane der USA gegen die Menschen zu Felde ziehen, lässt noch viel Schlimmeres erahnen.

Sollte der Protest massenhaft in Form von Streiks auch auf die Arbeitswelt übergreifen, wie dies da und dort schon zu beobachten ist, würde dies eine neue Qualität des Klassenkampfes in den USA markieren, mit weltweiten Konsequenzen.

Der american spring ist aber schon jetzt ein Zeichen von erwachendem Klassenbewusstsein und verdient daher unsere volle Solidarität.

Quelle:

KOMintern

USA