Aus der Schockstarre holen
Was ver.di in den Verhandlungen bei Karstadt Kaufhof erreicht hat – darüber sprach UZ mit Orhan Akman. Er leitet die Bundesfachgruppe Einzel- und Versandhandel beim ver.di-Bundesvorstand und führt die Tarifverhandlungen mit Galeria Karstadt Kaufhof.
UZ: Umsatz-Minus wegen der Pandemie, Niedergang des stationären Einzelhandels – ist es überhaupt möglich für die Beschäftigten, sich gegen die Schließungen und Entlassungen bei Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) zu wehren?
Orhan Akman: Die Frage ist doch: Ist die Pandemie wirklich an allem schuld? In der Pandemie hat sich nur offenbart, was für ein Missmanagement bis dahin bei GKK geherrscht hat. Andere Unternehmen konnten sich trotz der Krise neu aufstellen, bei GKK war das Management jahrelang nicht dazu fähig.
UZ: Wie haben die Kolleginnen und Kollegen die Nachricht von der Einigung am vergangenen Freitag aufgenommen?
Orhan Akman: Das ist zunächst überschattet von den beiden Zahlen: 62 Filialen sollen geschlossen, 6.000 Kolleginnen und Kollegen entlassen werden. Doch man darf die Menschen nicht auf Zahlen reduzieren. Bei Galeria Karstadt Kaufhof arbeiten Kolleginnen und Kollegen seit zwanzig, dreißig, manche seit vierzig Jahren mit viel Herzblut. 6.000 Menschen wird nun ihre Existenzgrundlage entzogen – das ist ein Drama. Daher hatten wir seit der Tarifeinigung noch keine Gelegenheit, um durchzuatmen und zu sehen, was das Ergebnis im Einzelnen bedeutet. Die Menschen aus dieser Schockstarre herauszuholen – das ist die Aufgabe für die nächsten Tage und Wochen. Wir akzeptieren die Schließungen ja nicht – wir kämpfen weiterhin um jede Filiale und um jeden Arbeitsplatz.
UZ: In der ver.di-Pressemitteilung zum Ergebnis heißt es, die Tarifkommission habe „nahezu alle Verzichtsforderungen wegverhandelt“. Also ein Erfolg?
Orhan Akman: Wenn man bedenkt, dass wir in einem fast insolventen Unternehmen verhandelt haben, haben wir ein gutes Ergebnis. Leider können wir als Gewerkschaft nicht bestimmen, welche ökonomischen Entscheidungen das Unternehmen trifft und welche Filialen geschlossen werden.
Wir haben durchgesetzt, dass die Beschäftigten seit Beginn des Schutzschirmverfahrens Tarifgehälter bekommen, inklusive Urlaubsgeld. Das hat Auswirkungen darauf, wie viel Arbeitslosengeld diejenigen bekommen, die entlassen werden. Diese Differenz macht teilweise deutlich mehr aus als die Abfindungen, die zu erwarten sind.
Wir haben eine Transfergesellschaft vereinbart – darum mussten wir hart kämpfen. Wir haben erreicht, dass die Azubis auch in den geschlossenen Filialen ihre Ausbildung beenden können. Wir haben tarifiert, dass die Kolleginnen und Kollegen im Waren-Service-Team bis Ende 2024 nicht ausgegliedert werden können. Die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes ist ebenso geregelt.
Es gilt, den Druck auf die Vermieter der Filialen und die Gesellschafter aufrechtzuerhalten. Die Geschäftsleitung und der Generalbevollmächtigte haben größeren Verzicht der Beschäftigten gefordert und wollte auch in den Filialen, die weiterbetrieben werden sollen, 10 Prozent des Personals abbauen. Diese Wahnvorstellungen haben wir abgewehrt, obwohl die andere Seite massiv mit einer Zerschlagung des Unternehmens gedroht hat.
Wir haben jetzt zwei Tarifverträge verhandelt: Einen Sozialtarifvertrag und einen Vertrag „Für gute und gesunde Arbeit / Beteiligung Zukunftskonzept“ – danach sollen die Beschäftigten an Zukunftskonzepten für das Unternehmen beteiligt werden, diese Mitsprache ist tarifpolitisches Neuland. Die Geschäftsleitung hat es bis heute nicht geschafft, das Warenhaus für die Zukunft aufzustellen. Jetzt können die Erfahrung und das Wissen der Beschäftigten in ein Zukunftskonzept einfließen.
UZ: Setzen die Signa-Holding und René Benko als Eigentümer von Karstadt Kaufhof eher darauf, die Immobilien zu vermarkten oder eher, die Warenhäuser langfristig zu betreiben?
Orhan Akman: Das müssen Sie die Signa und Herrn Benko selbst fragen. Viel wichtiger ist, was die Geschäftsleitung von GKK macht, ob es ihr gelingt, den stationären Handel mit dem Online-Handel zu vernetzen und die Erfahrungen der Mitarbeiter zu nutzen. Wir sind der festen Überzeugung, dass das Warenhaus eine Zukunft hat, wenn man die verschiedenen Vertriebskanäle miteinander gut verzahnt und die Kundenwünsche, aber auch das sich ändernde Kundenverhalten bei den Konzepten und im Sortiment entsprechend berücksichtigt.
Die Manager stellen sich als Opfer der Entwicklung im Einzelhandel hin – aber die Vernetzung von stationärem und digitalem Handel ist möglich. Dafür muss man den Beschäftigten zuhören, anstatt auf teure Berater zu setzen.
UZ: Heißt das, dass der Kahlschlag absehbar war?
Orhan Akman: Der Kahlschlag hat mehrere Parameter: Wir leben im Kapitalismus, es gibt eine Monopolisierung im Handel, und das heißt auch: Verdrängungswettbewerb, Kannibalisierung und Preisschlachten. Die Krise bei GKK ist auch ein Ergebnis dieser Entwicklung. Zwischen den Formaten im Handel gibt es Verschiebungen, Aldi und Lidl gehören mittlerweile zu den größten Textilhändlern. Dafür hat der Gesetzgeber durch Liberalisierungen gesorgt. Der Wettlauf um immer längere Öffnungszeiten hat den Vernichtungswettbewerb gefördert. Und natürlich gab es Fehler der Kommunalpolitik: Die Kommunen haben immer neue Flächen erschlossen, um Einkaufszentren auf der grünen Wiese zu bauen, und sich dann gewundert, dass die Innenstädte veröden. Deutschland ist Weltmeister bei der Verkaufsfläche pro Einwohner.
Wenn 62 Kaufhof- und Karstadt-Filialen schließen, gefährdet das die Städte. Da ist auch die Politik gefragt: Wie gelingt es uns, die Häuser zu retten und die Innenstädte zu stärken?
UZ: Im Dezember 2019 haben die Beschäftigten bei GKK für Bezahlung nach Flächentarifvertrag gestreikt. Haben diese Kämpfe etwas gebracht?
Orhan Akman: Absolut. Wir haben damals ja einen Tarifvertrag vereinbart und den tariflosen Zustand in beiden Unternehmen beendet. Der Tarifvertrag von Dezember schreibt Insolvenzschutz fest, rückwirkend gilt der Flächentarif. Das heißt: Ohne diesen Vertrag hätten die Leute unter dem Schutzschirmverfahren kein Tarifgehalt bekommen. Alle Kollegen erhalten jetzt Ende Juni ihr tarifliches Urlaubsgeld und anteilig das tarifliche Weihnachtsgeld.
UZ: Wird es weitere Aktionen geben, oder ist das im Moment nicht möglich?
Orhan Akman: Wir werden die Beschäftigten informieren, es wird Betriebsversammlungen geben. Die Tarifkommission ist aktiv. Wir bereiten uns auf weitere Aktionen vor. Wir kämpfen um jede Filiale und um jeden Arbeitsplatz. Wir werden in der Öffentlichkeit auf die Lage der Kolleginnen und Kollegen aufmerksam machen und ihnen zur Seite stehen.
UZ: Wie erfolgversprechend ist das?
Orhan Akman: Wir wissen nicht, was dabei herauskommt, aber kämpfen lohnt sich immer. Es geht darum, den Kolleginnen und Kollegen Mut zu machen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen wie ausgepresste Zitronen weggeworfen werden.
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