Braunau, Hitler und das Verdrängen
Kommentar von Raffael Schöberl, Stv. Vorsitzender des KZ-Verbandes/VdA Oberösterreich und Mitglied der Partei der Arbeit. Er wuchs im Bezirk Braunau auf, organisierte antifaschistische Demonstrationen in Braunau und war viele Jahre im Bündnis „braunau gegen rechts“ aktiv.
Die aktuelle Debatte rund um die geplante Entsorgung des Mahnsteins gegen Faschismus und Krieg in Braunau am Inn ist Ausdruck des Verdrängen und Vergessens durch das offizielle Österreich.
Am 20. April 1889, halb sieben Uhr abends, soll im Gasthaus „Zum Pommer“ in Braunau am Inn ein Kind zur Welt gekommen sein. Die Mutter Klara war zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes 28 Jahre alt. Der Vater Alois war mit 50 Jahren nicht nur deutlich älter als seine Gattin und bereits dreimal verheiratet, später sollte man den Zollbeamten als streng und jähzornig beschreiben. All das wäre heute wohl nicht einmal als eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern vermerkt, es kam aber anders und so sind die beiden Elternteile aus keinen Schulbüchern mehr wegzudenken. Denn es handelte sich bei ihrem Kind um den späteren faschistischen Diktator Adolf Hitler. Tatsächlich erklärt nichts davon die Ursachen und den Aufstieg des deutschen Faschismus, doch die Geburt dieses Kindes sorgte dafür, dass die Stadt Braunau bis heute ein schweres historisches Erbe zu tragen hat.
Das Erbe der Stadt Braunau
Hitler selbst sah es als „glückliche Bestimmung“ an, in der Grenzstadt zu Deutschland geboren zu sein. Für alte und neue Nazis hatte die Stadt, das Geburtshaus mit der Adresse Salzburger Vorstadt 15 und besonders der 20. April als Geburtstag ihres Führers bereits ab den 1950er Jahren eine offensichtlich mystische Anziehungskraft. Natürlich war es keinerlei, wie auch immer geartete Bestimmung, dass Hitler gerade in Braunau am Inn geboren wurde, sondern lediglich ein Zufall. Und „richtig ist [auch], dass im Hitler-Geburtshaus weder ein Gestapo-Folterkeller untergebracht war, noch Verbrechen geplant oder Menschen ermordet wurden“, wie der oberösterreichische Landesverband der AntifaschistInnen, WiderstandskämpferInnen und Opfer des Faschismus, KZ-Verband/VdA OÖ, bereits mehrmals folgerichtig schlussfolgerte, „mit Orten des Terrors wie Mauthausen oder Hartheim, aber auch mit Orten der Planung der Kriegs- und Vernichtungszüge wie dem Obersalzberg ist daher das Geburtshaus Hitlers in Braunau nicht zu vergleichen.“ Dass Braunau das Stigma der Geburtsstadt Hitlers aber dennoch nicht hinter sich lassen kann, daran trägt das offizielle Österreich mit seiner bestenfalls rudimentären Aufarbeitung des NS-Faschismus große Mitschuld – und dies spiegelt sich auch in der aktuellen Debatte rund um die Umbaupläne des Geburtshauses wieder.
Verklärung und Vergessen
Seit jeher wird die NS-Terrorherrschaft viel zu oft auf die Person Adolf Hitler reduziert und die tatsächlichen gesellschaftlichen wie auch ökonomischen Ursachen des Faschismus damit verschleiert. Und auch der Erinnerung an die Widerstandskämpfer und teilweise der verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes wird in der bürgerlichen Geschichtsschreibung nicht jene Bedeutung zugemessen, die sie eigentlich verdient hätten. Oder erinnern wir uns heute noch an den Braunauer Wilhelm Bestereimer, der zur illegalen Gruppe der KPÖ in Braunau gehörte, wegen „Hochverrats“ inhaftiert wurde und später zur Roten Armee desertierte? An Alois Moser aus Braunau, der wegen seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas verhaftet und bis zur Befreiung 1945 in mehrere Konzentrationslager gesperrt wurde? Und wie viele von uns kennen den Namen Engelbert Wenger, einem Soldaten aus Altheim, der sich einer Widerstandsgruppe aus Österreichern und Norwegern anschloss und schließlich im Jahr 1943 in Oslo wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet wurde? Diese und viele weitere Namen sind einer breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt. Mit der geplanten Entfernung des Gedenksteins gegen Faschismus und Krieg, der im Jahr 1989 in der Salzburger Vorstadt errichtet wurde, „neutralisiert“ man gewiss nicht das Stigma der Stadt Braunau als Geburtsstadt Hitlers, man entsorgt dabei lediglich die letzten Erinnerungen an jene Frauen und Männer, die vom deutschen Faschismus verfolgt, in die Gaskammern getrieben, durch Zwangsarbeit ermordet oder in den Konzentrationslagern entmenschlicht und millionenfach getötet wurden.
Der NS-Faschismus ist nicht mit dem Wahnwitz Hitlers zu erklären
Wenig hilfreich in der aktuellen Debatte um die weitere Nutzung des Hitler-Geburtshauses ist aber auch die abermalige Forderung nach Errichtung eines „Hauses der Verantwortung“ im besagten Objekt. Denn diese wird auch dadurch nicht richtiger, wenn man sie über zwanzig Jahre hinweg immer wieder versucht, in die mediale Öffentlichkeit zu tragen. Denn für eine ernsthafte historische Auseinandersetzung mit den Jahren 1938 bis 1945 bedarf es keiner Reduzierung auf den Wahnwitz Adolf Hitlers, sondern es braucht eine wissenschaftliche Beleuchtung der ideologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen für die Machtergreifung der Nazis und vor allem aber braucht es Orte für die Erinnerung an die WiderstandskämpferInnen und Opfer des faschistischen Terrors. Für beides ist das Geburtshaus Adolf Hitlers aber keineswegs der geeignete Ort.
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