Gegen die Diktatur
In Brasilien sind am vergangenen Wochenende erneut zahlreiche Menschen gegen den faschistischen Präsidenten Jair Bolsonaro auf die Straßen gegangen. Die seit Wochen anhaltenden Aktionen von Gewerkschaftern, sozialen Organisationen und linken Parteien haben sich damit zu einer wachsenden landesweiten Protestbewegung etabliert. Eine Woche zuvor hatten trotz brutaler Einsätze staatlicher Sicherheitskräfte bereits ähnliche Demonstrationen in Brasilia, Rio de Janeiro, São Paulo und weiteren Städten stattgefunden. Dabei hatten sich den Protesten auch organisierte Anhänger der regionalen Fußballclubs angeschlossen. „Wir wollen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen die tödliche Politik der Regierung ist“, begründete Danilo Pássaro von der Bewegung „Somos Democracia“, gegenüber der Deutschen Presseagentur den Aufruf zu weiteren Demonstrationen.
Die unter anderem von der „Frente Brasil Popular“ (Volksfront) und der „Frente Povo Sem Medo“ (Volk ohne Angst) organisierten Proteste vom vergangenen Wochenende richteten sich gegen „Rassismus und Faschismus“ und die „Vernichtungspolitik der Regierung“. Beide Organisationen hatten den 13. Juni zum „Nationalen Tag des Kampfes gegen Bolsonaro“ erklärt. Die Demonstranten forderten zur „Verteidigung der Demokratie“ auf und warfen dem rechtsextremen Machthaber und dessen Anhängern vor, eine Diktatur errichtet zu haben. „Dieser Mann kann Brasilien weder politisch noch menschlich repräsentieren“, zitierte der multinationale Sender Telesur am Samstag die Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT), Gleisi Hoffmann. Wie Telesur unter Berufung auf brasilianische Medien zugleich berichtete, hat die Regierung seit dem Amtsantritt Bolsonaros im Jahr 2019 alle Daten über Polizeigewalt aus den jährlichen Berichten über Menschenrechtsverletzungen entfernen lassen. Während in diesen Berichten bis 2018 noch Vorfälle von polizeilicher Gewalt und Willkür veröffentlicht worden waren, fehlten derartige Informationen in der Ausgabe 2019. Ein Beitrag im Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, „Granma“, vom 12. Juni lässt einen der Gründe dafür erahnen. Von allen als „durch Mord infolge polizeilicher Intervention“ registrierten Opfern waren 79 Prozent schwarzer Hautfarbe, zitierte „Granma“ Daten, die von „Amnesty International Brazil“ veröffentlicht wurden. Neben der Zunahme von Polizeiterror, Verfolgung politischer Gegner und der Zerstörung des Regenwaldes wird dem Machthaber vor allem Verharmlosung und totales Versagen in der Coronavirus-Pandemie vorgeworfen.
Mit über 850.000 nachgewiesenen Infektionen und rund 43.000 verstorbenen Covid-19-Patienten bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ am Dienstag steht das Land in beiden Statistiken inzwischen weltweit auf dem zweiten Platz hinter den USA. Und im Gegensatz zu anderen Ländern steigen die Zahlen in Brasilien rasant weiter an. Da Infizierte und Verstorbene in abgelegenen Amazonas-Regionen oder in den extrem dicht besiedelten Favelas der Millionenmetropolen Rio der Janeiro und São Paulo statistisch kaum erfasst werden, dürfte die Dunkelziffer noch erheblich über den von der Johns-Hopkins-University veröffentlichten Zahlen liegen. Doch trotz des Massensterbens spricht der Staatschef von einer „leichten Grippe“. Bolsonaro lehnt Schutzmaßnahmen sowie Kontakt- und Hygienevorschriften ab. Er droht – wie sein Vorbild Donald Trump – damit, die Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufzukündigen und versuchte sogar, die Veröffentlichung der Infektionszahlen zu verhindern. Das war selbst dem obersten Gericht des Landes zu viel. Dessen Richter ordneten Anfang vergangener Woche an, dass die Regierung künftig wieder alle Daten veröffentlichen muss.
Für Schlagzeilen sorgte nicht nur diese Entscheidung der Obersten Richter. Um zigtausender Verstorbener zu gedenken und gegen die Corona-Politik der Regierung zu protestieren, verwandelten Menschenrechtsaktivisten in der Nacht zum 11. Juni den berühmten Strand von Copacabana in Rio de Janeiro in ein symbolisches „Massengrab“. Freiwillige der NGO „Rio de Paz“ hoben dort 100 leere Gräber aus und versahen sie mit Kreuzen. Doch Bolsonaro gibt sich von den zunehmenden Protesten unbeeindruckt und droht mit dem Einsatz des Militärs. Politische Gegner bezeichnet der Faschist als „Arbeitslose, die Brasilien bedrohen“, Aktivisten der auch in Brasilien erstarkenden Bewegung „Black Lives Matter“ nennt er „kiffende Terroristen“ und antifaschistische Demonstranten beschimpft der Machthaber gern als „asoziale Kriminelle“. Inmitten der Corona-Krise schüren derartige Attacken Verzweiflung und steigern die Wut der Bevölkerung. „Wir wehren uns gegen Faschismus, den Völkermord an den Armen und den Schwarzen in den Vierteln an der Peripherie und auch gegen die Gewalt gegen Frauen, die unter Bolsonaro ständig zunimmt“, zitierte Telesur Claudia Rosane Garcez, eine Sprecherin der Landlosenbewegung (Movimiento de Trabajadores Rurales Sin Tierra, MST) in São Paulo. Auch die in einem Bericht der „New York Times“ kurz vor den neuen Protestaktionen enthaltene Drohung, dass Bolsonaro selbst einen Putsch inszenieren könnte, um mit einem Militärregime die Macht der Rechten zu festigen, kann die Regierungsgegner nicht einschüchtern. „Unser Kampf“, so etliche Demonstranten am Wochenende, „hat gerade erst begonnen.“
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