15. November 2024

Strahlende Altlasten

Jahr für Jahr fallen nach Angaben des Weltverbandes der Kernkraftwerksbetreiber rund 12.000 Tonnen hochradioaktive Abfälle an. Viele Ideen, wie man mit dem Atommüll umgehen sollte, entpuppten sich als Utopie. Denn wollte man ihn z.B. mit Raketen ins Weltall befördern, müßten jedes Jahr 2.000 Raketen starten – etwa sechs pro Tag. Und dann blieben uns immer noch 300.000 Tonnen an strahlenden Altlasten, die weltweit bis heute angefallen sind. Allein in Zwischenlagern in EU-Staaten sollen es 60.000 Tonnen sein.

Abgesehen davon, daß diese Art der Entsorgung unbezahlbar wäre, muß man sich klarmachen : Würde nur ein einziger Raketenstart mißlingen, so gäbe es eine Katastrophe vergleichbar mit dem Super-GAU in Fukushima oder Tschernobyl. Es bleibt uns also nichts übrig, als auf der Erde ein »Endlager« zu finden.

Bis Anfang der 90er Jahre haben es sich die Staaten, die Nukleartechnik nutzen, leicht gemacht und große Teile der atomaren Abfälle im Meer »entsorgt« . Was genau auf diese Weise in den Tiefen verschwand, weiß heute niemand mehr.
Schätzungen zufolge liegen allein im Atlantik 250.000 Fässer mit strahlendem Müll. Radioaktivität, die mit den Stoffkreisläufen der Erde in Berührung kommt, wird zwar verteilt, sammelt sich aber in Organismen an. So wandert die Radioaktivität immer weiter die Nahrungskette hinauf, wird immer konzentrierter, und landet eines Tages wieder auf unseren Tellern.

Gegenwärtig sind in 19 der 41 Länder, die Kernenergie nutzen, Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Betrieb, ein Lager für hochradioaktive und entsprechend langlebige Abfälle gibt es weltweit noch kein einziges. Jedoch sind in Yucca Mountain (USA), Olkiluoto (Finnland), Forsmark (Schweden), im 130 Kilometer von unserer Grenze entfernten Bure (Frankreich) und mittlerweile auch im belgischen Grenzgebiet sogenannte Endlager mehr oder weniger konkret geplant.

Was der Mensch bisher nicht geschafft hat, soll Mutter Erde übernehmen. Zurzeit ist es für die meisten Experten das Sicherste, die radioaktiven Gifte in tiefgelegenen stabilen geologischen Strukturen zu lagern. Dabei werden derzeit vor allem drei Steintypen erforscht. In Finnland und Schweden sprengen sie Stollen in Granit, Frankreich setzt auf Ton und in Deutschland hat man Salz wiederentdeckt.

Jede Gesteinsart hat Vor- und Nachteile, eine perfekte Lösung gibt es nicht : Ton läßt zwar kaum Wasser durch, ist aber eine Herausforderung für die Bergbautechnik – es lassen sich nur schwer Stollen graben, in denen man den Atommüll ablegen kann. Im Salz ist es kein Problem, ein Lager zu errichten. Aber dafür ist es wasserlöslich. Granit ist sehr hart, aber durchzogen von Rissen, die Wasser führen. Und Wasser ist das größte Problem bei der Endlagerung. Unter keinen Umständen darf das Grundwasser in Kontakt mit den radioaktiven Giften kommen, denn sonst gelangt Radioaktivität in die Biosphäre.

Mindestens 100.000 Jahre sollen die »Endlager« künftige Generationen vor den radioaktiven Altlasten schützten. Doch nach dem Betrieb der zukünftigen Endlager und der Verfüllung mit Beton würden die Gebäude und Anlagen in wenigen Jahrzehnten abgebaut und der Natur überlassen. Über die Zeit wird sich das Klima immer wieder ändern. Die nächste Eiszeit in Europa vermutet man schon in einigen Zehntausend Jahren. Durch den Wechsel von Warm- und Eiszeiten wird die Erde ihr Gesicht verändern : Berge entstehen und tiefe Täler.

Standorte scheinen heute sicher, sind aber in geologischen Zeiträumen ein radioaktives Pulverfaß. Wo sich heute Wüste erstreckt, kann in 10.000 Jahren ein Fluß liegen oder aber ein einst ruhiger Vulkan ausbrechen. In den USA mußte man das einzige Endlagerkonzept aus diesem Grund nach 20 Jahren Forschungsarbeit aufgeben. Yucca Mountain mitten in der Wüste von Nevada schien zwar geeignet für 10.000 Jahre, aber für 100.000 Jahre stellt der Standort ein zu hohes Risiko dar. Denn die Stollen in dem Wüstenberg sind umgeben von aktiven Vulkanen. Und im belgisch-luxemburgischen Grenzgebiet ?

Oliver Wagner

Quelle:

Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek

Umwelt