»Helden im Gesundheitswesen« haben ungesunde Arbeitsbedingungen
Durch die Coronapandemie wurde wohl jedem klar, wie wichtig eine gute Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen ist. Viele Menschen beginnen zu verstehen, was der Begriff »systemrelevant« bedeutet. Jetzt gilt es, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen und den seit Jahren bestehenden Notstand in unserem Gesundheitswesen endlich zu beenden.
Es reicht eben nicht, die Pflegekräfte für die von ihnen tagtäglich geleistete körperlich und psychisch anstrengende und gesellschaftlich wichtige Arbeit zu beklatschen. Wenn sich die Personalausstattung und die übrigen Arbeitsbedingungen in den Spitälern und Altenheimen nicht schnellstens verbessern, wird es bald nicht mehr genug motivierte und qualifizierte Schaffende für die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen geben.
Es darf einfach nicht sein, daß das Personal in unseren Spitälern, dessen verantwortungsvollen Handeln in der Coronakrise es in erster Linie zu verdanken ist, daß unser Gesundheitssystem bis jetzt nicht zusammengebrochen ist, mit nur 82 Prozent des berechneten Personalbedarfs zurechtkommen muß.
Aber genau das sieht das aus Kanada übernommene PRN-System (»Projet de recherche en nursing«) vor, das seit Anfang der 90er Jahre auch in Luxemburg angewendet wird, um den Personalbedarf der Spitäler erst korrekt zu ermitteln, um ihn dann aber dennoch – also wider besseres Wissen! – um 18 Prozent zu drücken.
Die Forderung des OGBL, das Personal in den Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen sowie dem Sozialbereich um zehn Prozent aufzustocken, ist also alles andere als überzogen.
Die Pandemie läßt die schon lange bestehenden Probleme in unserem Gesundheitssystem sichtbarer werden als je zuvor: der Personalmangel, daraus folgende Überstunden und körperliche wie psychische Belastungen – auf Kosten der Schaffenden und letzten Endes auch der Patienten.
Deshalb sollten die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen gemeinsame Sache mit den Gesundheitsarbeitern machen und sich mit ihnen für einen angemessenen Personalschlüssel starkmachen. Das wäre ein erster Schritt in Richtung Veränderung. Denn hinter dem Problem des Personalmangels in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen sowie den für das Pflegepersonal so ungesunden Arbeitsbedingungen steht das Problem kapitalistischer Profitlogik.
Die Coronapandemie hat den Klassengegensatz zwischen Patronat und Salariat nicht im Geringsten verändert. Es werden reale Kämpfe nötig sein, um eine Veränderung durchsetzen zu können. Es gibt kein gemeinsames Interesse an einer guten Bewältigung der Krise, denn die Ziele sind gegenläufig:
Das Patronat hat ein Interesse daran, die gewaltigen Krisenkosten auf die Bevölkerung und insbesondere auf die Schaffenden abzuwälzen, Schutz- und Arbeitsrechtsstandards möglichst auch über das Ende der Pandemie hinaus auf Dauer abzusenken und so auch aus dieser weltweiten Krise letztendlich gestärkt herauszukommen.
Hingegen haben die Schaffenden ein Interesse daran, das in der Pandemie gewachsene Bewußtsein für die grundlegenden Widersprüche im Kapitalismus in Widerstand und den Kampf für eine solidarische Gesellschaft umzusetzen.
Oliver Wagner
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