Wahlen trotz Einmischung
In Venezuela wird am 6. Dezember ein neues Parlament gewählt. Das kündigte die neue Präsidentin des Nationalen Wahlrats (CNE), Indira Alfonzo Izaguirre, am 1. Juli an. Die Bürger des Landes, die noch nicht im Wahlregister erfasst sind, sollen sich zwischen dem 13. und 26. Juli eintragen können, Parteien sollen ihre Kandidatinnen und Kandidaten zwischen dem 10. und 19. August anmelden.
Es geht um einen Neuanfang: 2015 hatte die rechte Opposition die Parlamentswahlen gewonnen und verfügt seither über eine Zweidrittelmehrheit in der Legislative. Allerdings verspielten die Regierungsgegner diese Machtposition leichtfertig. Im Überschwang ihres Sieges hatten sie den Sturz von Präsident Nicolás Maduro „innerhalb der nächsten sechs Monate“ angekündigt und der Regierung den Krieg erklärt. Aus dieser Haltung heraus ignorierte das von den Rechten kontrollierte Parlamentspräsidium auch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs. Dieses erklärte daraufhin in mehreren Urteilen alle Beschlüsse der Nationalversammlung für null und nichtig. Das gilt bis heute.
Auf Initiative Maduros wurde deshalb im Sommer 2017 eine Verfassunggebende Versammlung gewählt. Sie sollte, so zunächst die Ankündigung, eine Reform des Grundgesetzes vorbereiten, um so die politische Krise zu beenden. Offiziell liegt jedoch bis heute kein Entwurf vor, die zuständige Kommission tagt hinter verschlossenen Türen. Doch die Existenz der „Constituyente“ hat für das Regierungslager einen entscheidenden Vorteil: Laut der geltenden Verfassung ist sie allen anderen Staatsgewalten übergeordnet, kann also auch selber Gesetze erlassen. Und da die Opposition 2017 die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung boykottiert hatte, verfügt die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas in ihr über eine unangefochtene Mehrheit. Es entstand eine parlamentarische Doppelherrschaft.
Seit Anfang des Jahres können wir sogar von einer dreifachen Legislative sprechen. Bei der jährlichen Neuwahl des Parlamentspräsidiums kam es im Januar zu tumultartigen und kaum durchschaubaren Szenen. Seither beanspruchen zwei Oppositionspolitiker, an die Spitze der Legislative gewählt worden zu sein. Einerseits Juan Guaidó, der sich zudem immer noch als „Übergangspräsident“ des Landes bezeichnet, sowie Luis Parra, der sich für einen Dialog mit der Regierung ausspricht und die Einmischung der USA und anderer Länder in die inneren Angelegenheiten Venezuelas ablehnt. Inzwischen gibt es sogar zwei verschiedene Internetseiten, die für sich beanspruchen, jeweils die offizielle Homepage des Parlaments zu sein. Von Plenartagungen der Nationalversammlung war dagegen in den vergangenen Monaten kaum etwas zu hören, was auch an den Infektionsschutzmaßnahmen im Zuge der Coronavirus-Pandemie liegen dürfte.
Nicht nur die USA, sondern auch die Bundesregierung und die EU haben sich in dieser Frage erneut auf die Seite von Guaidó gestellt. Ende Juni verhängte Brüssel weitere Sanktionen gegen elf venezolanische Politikerinnen und Politiker. Weil sie „die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela untergraben“ würden, finden sich nun auch Parlamentspräsident Parra, sein Stellvertreter Franklyn Duarte sowie Funktionäre der Verfassunggebenden Versammlung und des Obersten Gerichtshofs auf der Liste. Ihnen ist die Einreise in die EU verboten, etwaiges Vermögen auf europäischen Konten soll eingefroren werden.
Venezuelas Regierung reagierte auf diese Aggression umgehend und wies die EU-Botschafterin aus. Isabel Brilhante Pedrosa habe 72 Stunden Zeit, das Land zu verlassen, erklärte Maduro. Doch dann kam es zu einer überraschenden Entwicklung: Mit Datum vom 1. Juli veröffentlichten Venezuelas Außenministerium und der Auswärtige Dienst der EU eine gemeinsame Erklärung, wonach man übereingekommen sei, „den Rahmen der diplomatischen Beziehungen aufrechtzuerhalten“. Deshalb habe Caracas die Ausweisung der Diplomatin außer Kraft gesetzt. Dem vorhergegangen war ein Telefonat zwischen Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza und dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Bemerkenswert an dem gemeinsamen Kommuniqué ist auch, dass von der „venezolanischen Regierung“ die Rede ist – womit Brüssel de facto Maduro als Präsidenten des Landes anerkennt. Die Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten hält derweil weiter an der Fiktion eines „Übergangspräsidenten“ Guaidó fest.
Das gilt auch für Britannien. Dort entschied ein Gericht Ende Juni, dass die Bank von England das dort lagernde Gold Venezuelas nicht an Caracas herausgeben müsse. Begründet wurde das von den Richtern damit, dass London Guaidó als Präsidenten anerkannt habe und das Kabinett von Maduro deshalb keinen Zugriff auf das Edelmetall im Wert von rund einer Milliarde Dollar habe. Venezuelas Vizepräsidentin Delcy Rodríguez warf daraufhin der „von Guaidó geführten kriminellen Organisation“ vor, sich mit dem Gold Venezuelas die Anerkennung durch London erkauft zu haben. Man werde gegen die Gerichtsentscheidung vorgehen.
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