5 Jahre „Wir schaffen das!“
Anlässlich des Jahrestages des Satzes „Wir schaffen das“ zieht PRO ASYL Bilanz: Die Aufnahme und Integration ist insgesamt viel besser gelungen, als Pessimist*innen und rassistisch Eingestellte erwartet hätten, obwohl die Bundesregierung seit Herbst 2015 auf eine integrationserschwerende Abwehrpolitik umschwenkte. „Die seit Jahren laufende Debatte um vermehrte Abschiebungen trotz dramatischer Situation in den Hauptherkunftsländern ist allerdings ein integrationspolitischer Bremsklotz“, bilanzierte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. „Angst nimmt die Energie für Arbeitsuche, soziale Kontakte, Sprache lernen.“
Dabei ist weder nach Syrien noch nach Afghanistan eine Rückkehr in absehbarer Zeit in Sicht. Syrien liegt in Schutt und Asche. In Afghanistan droht die Rückkehr der Taliban an die Macht. Dies waren die beiden Hauptherkunftsländer 2015. In der Zwischenzeit entwickelt sich das Durchgangsland Türkei unter Erdogan immer mehr zu einem fluchtauslösenden Faktor. Nach dem Einmarsch der türkischen Armee sind in Nordsyrien Hundertausende auf der Flucht. Gleichzeitig suchen von Erdogan Verfolgte zunehmend in Deutschland Schutz. Der EU-Türkei-Deal hat zu Slumlagern an der EU-Außengrenze geführt und versperrt den Zugang zu dem Recht auf Asyl.
Trotz dieser Abwehrpolitik, für die die Bundesregierung mitverantwortlich ist, ist die Aufnahme von 890.000 Geflüchteten im Jahr 2015 eine Erfolgsgeschichte, die zeigt: #offengeht! Die Untergangs- und Schreckensszenarien, die die Aufnahme von Flüchtlingen regelmäßig begleiteten, wurden regelmäßig widerlegt – dank der Menschen, die zu uns kamen und dank der Menschen, die sich für sie eingesetzt haben.
Deutschland muss und kann auch gegenwärtig eine erhebliche Zahl von Schutzsuchenden aufnehmen. Viele Flüchtlingsunterkünfte in den Kommunen stehen leer oder können kurzfristig reaktiviert werden, die Bereitschaft zu Unterstützung und Engagement ist bei Haupt- und Ehrenamtlichen ungebrochen. Gleichzeitig verzweifeln Flüchtlinge in Elendslagern auf den griechischen Inseln, auf der Balkanroute und vor den Toren Europas, u.a. in der Türkei, im Libanon und in dem Folterstaat Libyen.
Angesichts ihrer Schicksale ist die aktuelle Politik der Bundesregierung von Kaltherzigkeit und Kleinmut geprägt.
Zusammenfassender Überblick über die Gesetzesverschärfungen seit 2015
»Asylpaket I«, Ende September 2015: U.a. das mit dem Asylpaket beschlossene »Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz« hat zur Folge: Geflüchtete werden aufgrund ihrer Herkunft für die Teilnahme an Integrationskursen pauschal in Menschen mit »guter« oder »schlechter« Bleibeperspektive eingeteilt, mit der Folge, dass der Zugang zu Integrationskursen und Arbeitsmarkt erschwert wird. Der Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen wird von drei auf sechs Monate erhöht, für Personen aus »sicheren Herkunftsstaaten« wird eine Befristung gänzlich aufgehoben.
»Asylpaket II« Anfang 2016: Das mit dem zweiten Asylpaket beschlossene »Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren« hat zur Folge: Für subsidiär Schutzberechtigte – also für einen großen Teil der Geflüchteten – wird bis zum 16.03.2018 der Familiennachzug ausgesetzt, es werden Schnellverfahren in »Besonderen Aufnahmeeinrichtungen« verabschiedet und es wird die Abschiebung von kranken Menschen erleichtert. Der damalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer tritt aus Protest zurück. Parallel sinken die Zahlen der Flüchtlingsanerkennung von Asylsuchenden aus Syrien stetig, so dass immer mehr nur noch den subsidiären Schutzstatus erhalten, also von der Aussetzung des Familiennachzugs betroffen sind (2015 lag die Flüchtlingsanerkennung von Syrer*innen noch bei 99,7 %, 2016 schon nur noch bei 58%, 2017 nur noch bei 38 %, siehe bereinigte Schutzquote errechnet aus den BAMF-Zahlen aus den jährlichen Antrags‑, Entscheidungs- und Bestandsstatistiken)
»Erstes Hau-Ab-Gesetz«, Mitte 2017: Seit dem »Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« können die Bundesländer Geflüchtete bis zum Ende ihres Asylverfahrens (maximal zwei Jahre) in Erstaufnahmeeinrichtungen unterbringen anstatt sie auf die Kommunen zu verteilen. Ausreisegewahrsam ist nun länger möglich. Die Regeln zur Abschiebungshaft werden weiter verschärft, um diese auszuweiten.
Familiennachzugsregelung, Sommer 2018: Entgegen der Hoffnungen vieler subsidiär Schutzberechtigten, dass die 2‑jährige Aussetzung des Familiennachzugs am 16.03.2018 ausläuft und das Recht auf Familieneinheit grundsätzlich wieder hergestellt wird, wird mit dem »Gesetz zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten« vom 12.07.2018 beschlossen, dass zum 01.08.2018 monatlich lediglich bis zu 1.000 Angehörige zu ihren Verwandten nach Deutschland einreisen dürfen.
»Desintegrationsgesetz«, August 2018: Seit dem sogenannten »Integrationsgesetz“ können bei Asylbewerber*innen, die angeblich ihre Mitwirkungspflicht verletzen, Sozialleistungen noch weiter gekürzt werden. Das Aufenthaltsrecht wird weiter verschärft, es wird eine Wohnsitzauflage für die Zeit nach einer Anerkennung eingeführt (ein Instrument, das vielen Geflüchteten den Wechsel des Wohnortes und die Arbeitssuche erschwert).
»Zweites Hau-Ab-Gesetz«, August 2019: Das »Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« vom Bundesinnenministerium euphemistisch »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« genannt, hat besonders viele Verschärfungen: Trotz Krankheit soll verstärkt abgeschoben werden. Die neu eingeführte »Duldung light« führt zum Arbeitsverbot, der Weg in ein Bleiberecht wird versperrt. Alle Asylbewerber*innen (bis auf Familien mit Kindern) können nun bis zu 18 Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen festgehalten werden, manche Gruppen noch länger. Zum Beispiel all diejenigen, die in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen. Eine Bilanz nach einem Jahr „Zweites Hau-Ab-Gesetz“ von PRO ASYL finden Sie hier.
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