ver.di begrüßt Urteil des LAG Berlin-Brandenburg
Bulgarischer Betreuerin wird Nachzahlung des gesetzlichen Mindestlohns zugesprochen – Modell der sogenannten 24-Stunden-Pflege basiert auf Gesetzesbruch
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt das heutige Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, das einer bulgarischen Betreuerin die Nachzahlung des gesetzlichen Mindestlohns zugesprochen hat. Sie lebte im Haushalt einer 96-Jährigen und sollte dort rund um die Uhr für Körperpflege, Hilfe beim Essen und Ankleiden sowie soziale Aufgaben zur Verfügung stehen. Bezahlt wurde sie laut Arbeitsvertrag allerdings nur für 30 Stunden pro Woche und erhielt knapp 1.000 Euro netto. Vermittelt wurde die Beschäftigte von einer deutschen Agentur, angestellt war sie bei einer bulgarischen Firma, die nun zur Nachzahlung von über 30.000 Euro allein für das Jahr 2015 verurteilt wurde. Die Revision ist zugelassen, weshalb der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht landen könnte.
„Das Urteil ist ein wichtiger Erfolg für die Kollegin und für ver.di und den DGB, die sie in diesem Prozess unterstützt haben“, bilanzierte Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist. „Es bestätigt, dass die hiesigen Arbeitsschutzgesetze auch für ausländische Betreuungskräfte gelten, die zu Hunderttausenden in den Haushalten pflegebedürftiger Menschen tätig sind.“ Über die Zahl dieser sogenannten Live-in-Kräfte gibt es keine genauen Daten, Schätzungen reichen bis zu einer halben Million.
„Das System ist so ausgelegt, dass die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutschland in weiten Teilen auf der illegalen Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte basiert. Das ist ein Skandal“, kritisierte Bühler. Das gehe nicht nur zulasten der betroffenen Beschäftigten, sondern auch der Menschen, die auf eine qualitativ hochwertige Versorgung angewiesen seien. Die allermeisten dieser Kolleginnen und Kollegen seien keine gelernten Pflegekräfte, dennoch müssten sie Pflegetätigkeiten ausführen.
„Das Modell der sogenannten 24-Stunden-Pflege basiert auf systematischem Gesetzesbruch – das ist schon lange bekannt und nun auch gerichtlich bestätigt“, erklärte Bühler. Wenn Beschäftigte rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssten, sei das auch mit dem Arbeitszeitgesetz und anderen Vorschriften nicht vereinbar. „Pflegebedürftige und ihre Familien brauchen Alternativen zu dieser illegalen Praxis. Die ambulanten Pflege- und Betreuungsangebote müssen massiv ausgebaut werden.“ Die Gewerkschafterin plädierte dafür, die Pflegeversicherung zu einer „Solidarischen Pflegegarantie“ weiterzuentwickeln, bei der alle pflegebedingten Kosten übernommen werden und die von allen Bürgerinnen und Bürgern solidarisch finanziert wird. „Das Urteil ist für die politischen Entscheidungsträger ein Weckruf. Sie dürfen nicht länger wegschauen, sondern müssen die Versorgung pflegebedürftiger Menschen endlich auf eine solide und gesetzeskonforme Grundlage stellen.“
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